Birthstrike oder Gebärstreik bedeutet, den Verzicht auf Kinder zum Wohl des Klimas. Wie weit kann kann Klimaaktivismus gehen?
Als wir klein waren, spielten wir Vater Mutter Kind. Das war ganz selbstverständlich. Werden wir älter, machen wir uns Gedanken, wann man den richtigen Partner findet, ein Haus baut, sein erstes Kind in den Armen hält. Für viele wird diese Vorstellung Anfang/Mitte der Zwanziger immer greifbarer und zur Realität. Aber das ist nicht immer so. Sarah *(Name von der Redaktion geändert) war 29, als sie sich dazu entscheid keine Kinder zu bekommen.
Birthstrike: Kinderlos fürs Klima
Diese Entscheidung traf Sarah nicht von heute auf morgen. Ein paar Jahre früher, wäre es für sie nicht in Frage gekommen, bewusst auf Kinder zu verzichten. Vielmehr war es ein schleichender Prozess. Mit den Jahren interessierte sie sich immer mehr für ein nachhaltiges Leben. Erst verzichtete sie auf Fleisch, dann auf Flugreisen und schließlich auch auf Kinder. “Kinder sind für mich etwas Wunderbares, zarte Wesen, die man an der Hand nimmt und in die Welt führt. Ihnen all die schönen Dinge zeigt und sie vor nicht so Schönem schützt. Nur fragte ich mich immer mehr, ob diese Welt so wie sie ist und sich entwickeln wird, ein Ort ist, an dem ich mein Kind aufwachsen sehen möchte. Und diese Frage beantwortete ich irgendwann mit Nein.”
Mit der Entscheidung gegen Kinder ist Sarah nicht alleine.
Gibt man in diverse Suchmaschinen die Worte Gebärstreik oder Birthstrike ein, stoßt man auf die unterschiedlichsten Meinungen, Reportagen und auch Gruppen. Eine davon ist die der Britin Blythe Pepino. Sie bezeichnet ihre Protestgruppe mit dem Namen Birthstrike als eine Solidaritätsgemeinschaft. Ähnlich wie die Fridays for Future-Bewegung möchte sie die Politik aufrütteln, endlich aufzuwachen und den Klimaschutz ernst zu nehmen. Dafür verzichtet sie so lange aufs Kinderkriegen, bis die Politiker anfangen, etwas zu tun. Sie und ihre Mitdemonstrantinnen unterbrechen bewusst die natürliche Fortpflanzung, um etwas zu bewegen. In einer Arte-Reportage erzählte die Sängerin Anfang des Jahres, wie sehr sie und ihr Freund sich ein Kind wünschen, es aber einfach nicht übers Herz bringen, eines in diese Welt zu setzen. Ihre Bewegung fand viele Unterstützer und Unterstützerinnen. Es gibt viele, die genau an den gleichen Gewissensbissen leiden und immer öfter die Hoffnung auf Besserung verlieren.

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Bewusste Konfrontation
Doch es gibt noch radikalere Stimmen. Im Frühjahr letzten Jahres sorgte die Lehrerin und Autorin Verena Brunschweiger für Aufruhr, Protest und teils auch Fassungslosigkeit. Auslöser: Ihr Buch mit dem Titel “Kinderfrei statt kinderlos”. Darin betitelt auch sie Kinder als den größten Klimakiller. Paare, die trotz dessen Eltern würden, täten das aus reinem Egoismus, ihre Gene weitergeben zu wollen und würden damit den Planeten gefährden. Kinderlose sind für sie hingegen regelrechte Weltretter. Brunschweiger geht noch weiter: Sie bezeichnet Frauen als willenlose Gebärmaschinen, kinderlose Paare seien die Besseren. Sie fordert eine Prämie für alle, die sich gegen Kinder entscheiden.

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Ihre Aussagen pulsieren, sie erhielt sogar Morddrohungen. Trotzdem bleibt sie standhaft. Es ginge laut Brunschweiger nicht darum, dass sie prinzipiell keine Kinder mag, sondern, dass jeder weitere Mensch auf dem Planeten noch mehr Belastung für Natur und Umwelt bedeute. Ihre Aussagen stützt die Autorin unter anderem auf eine Studie der Universität Lund in Schweden. Laut den Forschern verursacht ein Kind jährlich rund 58,5 Tonnen CO2, wohingegen der Verzicht auf ein Auto gerade Mal 2,4 Tonnen CO2 einspart.
Vor allem Kinder aus industriell hochentwickelten Ländern verursachen hohe CO2-Werte. Ein Kind aus Malawi produziert gerade mal 0,1 Tonnen CO2 pro Jahr. Umwelttipps gibt es viele, doch bis auf eine Studie keine, die das Kinderkriegen explizit als umweltschädlich deklariert. Eine Ausnahme ist die zuvor erwähnte Studie von Kimberly Nicholas, Professorin für Nachhaltigkeitsstudien an der schwedischen Lund Universität, und Seth Wynes von der University of British Columbia in Kanada. Die beiden analysierten 39 Einzelstudien und 148 Szenarien in zehn Industrieländern. Das Ergebnis: Die effektivste Methode gegen den Klimawandel ist, keine Kinder mehr in die Welt zu setzen. Dahinter stehen der Verzicht auf Auto, Flugreisen und tierische Produkte. Wer sich vor Augen führt, dass die Weltbevölkerung derzeit jedes Jahr um 80 Millionen Menschen steigt, keine Utopie. Utopisch ist es allerdings auch, den Menschen das Kinderkriegen ganz auszureden.

Ansichtssache
Es steht außer Frage, dass dieses Thema Emotionen befeuert. Nicht selten kommt es beim Gegenüber so an, als wäre allen, die sich für Kinder entscheiden, die Umwelt egal. Allerdings könnten die Befürworter dieser Bewegung umgekehrt die Frage stellen: Bist du so emotionslos, Kinder in eine kaputte Welt zu setzen?
Dass diese radikale Haltung nicht überall Anklang findet, ist zu erwarten. Die Organisation Population matters wählt daher den diplomatischeren Weg und appelliert an Paare, nur eines oder maximal zwei Kinder zu bekommen. Nur so könne sichergestellt werden, dass auf der Erde noch genug Ressourcen für alle da wären.
Bei all diesen wissenschaftlichen Ergebnissen darf man trotzdem eines nicht vergessen: Was wäre die Welt, wenn nur diejenigen Kinder bekämen, die auf Nachhaltigkeit pfeifen? Jede(r) muss seinen eigenen Weg finden. Und vermutlich ist es besser, einem starken Kinderwunsch nachzugehen und seine Kinder zu gebildeten, bewussten und verantwortungsvollen Erwachsenen zu erziehen.