Während das Thermometer auf Mallorca die 30-Grad-Grenze überschreitet, und das im März, sitze ich in Lappland in einer kleinen Hütte im Nirgendwo. Umgeben von Schnee. Hier trifft man keinen Menschen, hier gibt es nur sich selbst und die Natur. Am ehesten begegnet man noch einem wilden Tier. Fuchs und Hase sagen sich nicht gute Nacht, sondern Elch und Schneehuhn. Es ist ein Traum im Schnee. Aber wie lange noch?
Mit dem Flieger geht es für uns nach Stockholm, weiter mit einem Flugzeug, das mich beinahe zum Herzstillstand bringt, Richtung Lappland. Zwei Propeller halten das Flugzeug zusammen. Wir müssen einmal landen, um Passagiere rauszulassen, so selten geht hier ein Flieger. Während meine Hände schon nass geschwitzt sind, suche ich mir einen Platz. Das Flugzeug ist so klein, dass man nicht einmal einen Sitzplatz reservieren kann, take what you want. Während ich mich nach hinten verkrieche, stelle ich zu meiner Schockierung fest, das Reihe 13 – Unglück vorprogrammiert?- fehlt. „Das fängt ja gut an“, denke ich. Wir machen in einer kleinen Stadt einen Zwischenstopp, bis wir in Wilhelmina landen. Wir fahren vom Flughafen weitere zwei Stunden mit dem Auto und allmählich ist da weit und breit nichts mehr, außer unserem Haus im Schnee. Laut Guide liegt der nächste Ikea 200,50 km, Entfernung- München- Stuttgart, entfernt. Genau wie in Bullerbü habe ich mir Lappland vorgestellt. Leuchtende Häuser in schwedenrot, weißbedeckte Landschaften, eingefrorene Hände und Füße, Nordlichter am Himmel, und so ist es auch. Hier hat man das Gefühl, die Welt wäre noch heil. Zumindest, wenn man nicht darüber nachdenkt.
Auszeit im Schnee
In diesem Lappland-Urlaub werde ich weniger am Handy daddeln, nehme ich mir vor. Digital Detox oder auch kalter Entzug genannt, zumindest temperaturmäßig. Als ich jedoch erfahre, dass es auf Mallorca gerade 30 Grad hat, und wir gerade einmal März haben, bin ich entsetzt. Bilder von Menschen in Badehose und Bikini, die sich am Strand bräunen und Eis essen. Wie wird es weitergehen mit uns und unserer Generation? Im März waren wir noch vor ein paar Jahren regelmäßig Skifahren, als Kind habe ich noch meterhohen Schnee miterlebt. Weiße Weihnachten und Schlittenfahren am Berg nebenan waren bei uns üblich. Es konnte sogar sein, dass Schule deswegen ausfällt. Jetzt ist das Schmuddel-Wetter im Dezember schon vorprogrammiert, so matschig, grau und trist, dass man das Haus nicht verlassen will. Die Skipisten sehen aus wie ein Schlachtfeld, auf dem ein Kampf ausgeübt wurde. Mensch vs. Natur. Werden wir bald nicht mehr Skifahren können? Oder noch schlimmer, was wird eigentlich aus uns?
Starkregen, Dürrephasen, und Co.
Mittlerweile fällt es mir deswegen schwer, den Fernseher anzuschalten und Nachrichten zu schauen. Wissenschaftler übertreffen sich mit ihren Theorien und es macht mir Angst. Schon jetzt weiß niemand mehr, dass vor zwei Jahren noch halb Australien brannte, nebenbei stirbt eine Artenvielfalt nach der anderen aus, wir rutschen von einer Katastrophe in die nächste. Gerade trocknet der Gardasee aus, der Aralsee, ehemaliger größter See der Erde, ist es schon und auch die Kanäle von Venedig scheinen gerade auszutrocknen. Dann ist da noch die massenhafte Überproduktion der Fast-Fashion-Industrie, Waldbrände, Starkregen, Dürrephasen, knapp tausend Kilometer von hier tobt ein Krieg, der Meeresspiegel steigt. Beispielsweise werden, der Zeitschrift Nature Communications zufolge, bis Ende des 21. Jahrhunderts 200 Millionen Menschen aufgrund des steigenden Meeresspiegels ihre Heimat verlieren. Das entspricht dem Doppelten der deutschen Bevölkerung. Wo hört man da auf? Ist das alles nur dramatisiert?
Weiße Weihnachten ade
Im Schneeparadies, das wie eine Postkarte aussieht, denke ich mehr und mehr darüber nach. Wo werden wir in 20 Jahren stehen? Was ist bis dahin aus unserer Umwelt geworden? Wie viele Klimaflüchtlinge wird es geben und werden diese Extremwetterereignisse normalisiert? Fragen, auf die es keine richtige Antwort gibt. Nur Fakten. Laut einem neuen Bericht des Weltklimarates könnte, wer 2020 zur Welt kam, im Alter auf einer durchschnittlich vier Grad wärmeren Welt leben. Der heißeste Tag des Jahres läge im mitteleuropäischen Raum bei über 40 Grad. Wiederum belegen Daten des Grace Follow-On-Satelliten der NASA, dass die Antarktis jährlich 151 Milliarden Tonnen an Eis verlieren soll.
Nicht nur in der Antarktis ein Grund zur Sorge – das Schmelzen von Schnee und Eis.
Get off – Unberührte Natur
Abseits von jeglichen Fashion Shows und Beauty Trends wird mir bewusst, worin die eigentliche Schönheit liegt und das wir sie mehr schätzen sollten. Der Natur! Hier rechnet man nur in Kilometern. Mit dem Auto ist man fast aufgeschmissen, denn Skidos sind hier das richtige Verkehrsmittel. Mit diesem fahren wir im Morgengrauen als erstes in die noch weitere Wildnis, irgendwann holt uns ein Schneesturm ein und wir kommen nur noch langsam voran. Wir spüren die Frische, die es uns ins Gesicht weht. Das Gefährt bleibt irgendwann stecken. Man kann nur noch erahnen, wo ein Posten sein soll, an dem wir uns orientieren sollten, denn der Schnee ist so tief, wir könnten nochmal einsinken. Nach ein paar Kilometern geht es nur noch zu Fuß weiter. Wir stapfen mit unseren Langlaufskiern durch die Wildnis, der Berg ist das Ziel.
Gipfelgefühl
Oben angekommen ist es, außer unseren Echos, die nachklingen, still. Die Sonne kommt raus und der Schnee glitzert schöner als Swarovskisteine. Der Weg nach oben hat sich gelohnt, denn hier gibt es nichts Menschen gemachtes, außer Schneespuren, die nach ein paar Stunden nicht mehr zu erkennen sind. Oben auf dem Gipfel des Berges, blickt man auf den nächsten und ist eins zu eins mit der Natur. Man kann sich nur den Gegebenheiten anpassen, sonst ist man verloren. Vielleicht sollten wir, uns mehr vom Skifahren in den Bergen absehen. Immer wenn man zu übermütig ist, fällt man hin, und wird vorsichtiger. So sollte es auch gegenüber der Natur sein.
In Europas letzter Wildnis – Lappland
Am nächsten Tag fahren wir zum nahegelegenen See. Wir fahren in Europas letzter Wildnis umher. Langsam verteilen sich immer mehr einheimische Fischer um den See, sie bohren Löcher und versuchen ihr Glück beim Fischen. Ab und zu begegnet uns ein weiteres Skido, auf dem ein Mensch eingepackt in Kleidung, der Zwiebel-Look wurde hier wahrscheinlich maßgeblich erfunden, sitzt und uns mit einem „Heyhey“ grüßt. Rund herum verteilen sich einheimische Fischer, sie bohren ihre Löcher und versuchen ihr Glück. Rund um den See findet man Häuser, in allen möglichen Formen und Farben, die alle durch ihren schwedischen Charme bestechen.
Eiskalt
Dann frieren unserem Guide kurzzeitig die Hände ein. Abends knacken wir die -20 Grad Grenze. Das wir einer Klimakatastrophe bevorstehen könnten, glaubt man nur ungern. Die Berge werden früher oder später ihre weiße Schneedecke verlieren, so wie die Gletscher jetzt schon schmelzen. Auf dem Rückflug scheint noch alles gut zu sein, bis wir über den Wolken sind. Als ich aus dem Fenster blicke, sehe ich grüne Flecken, blaues Meer. Es liegt kein Schnee mehr. Werden wir in 30 Jahren noch Ski fahren? Wie geht es jetzt weiter? Es weiß keiner so genau. Weiß steht für das Gute. Das schmilzt nun.
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