Wildromantische Schluchten, tosende Wasserfälle und urige Almlandschaften – im Kalser Dorfertal ticken die Uhren etwas langsamer, auf eine angenehme Art. Wer schon einmal durch den Osttiroler Teil des Nationalpark Hohe Tauern gewandert ist, zu dem dieses Tal gehört, schätzt die einzigartige Ruhe und unberührte Natur, die man dort vorfindet. Allein das Glucksen der Gletscherbäche und das Knirschen der eigenen Wanderschuhe sind hier zu hören. Ab und an und nur, wenn man Glück hat, kommt noch das Geschrei junger Bartgeier hinzu.
Was heute als so selbstverständlich erscheint, war in der Entstehungsgeschichte ein jahrzehntelanges Ringen um das Wasser der Hohen Tauern in seiner festen und flüssigen Form – es waren Zeiten von Auseinandersetzungen zwischen Politik, NGO‘s und Bürgerbewegungen. Was aber die wenigsten wissen: Ohne den Einsatz einiger mutiger Frauen, gebe es diese Eindrücke gar nicht. Weder die idyllischen Wanderwege noch die seltenen Bartgeier.
Zwei Frauen gegen den Energiekonzern
Vor rund 35 Jahren wurde es im sonst so ruhigen Tal nämlich laut. Es gab ein Aufbegehren der Kalser Bürgerinnen und Bürger gegen den regionalen Energieversorger. Denn bereits in den 1920er Jahren wollte dieser die Gewässer der Region energiewirtschaftlich Nutzen. Das malerische Kalser Dorfertal sollte dafür rigoros geflutet werden. Gletscherbäche wären gebändigt worden, Almen im Tal hätten weichen müssen und die Natur hätte eine komplette Umgestaltung erfahren. Nach ersten Plänen folgte eine kleine Erleichterung – denn es geschah erstmal lange Zeit nichts. Bis ins Jahr 1973. Denn da wurden die Pläne erstmals konkretisiert, ein riesiges Staubecken sollte das Tal für immer verändern.
Für die Bäuerin Marianne Gratz und ihre Nichte Theresia Hartig war dies der Startschuss, aktiv zu werden, laut zu werden. Sie organisierten sich als „Frauen von Kals“ gegen das Kraftwerk und machten den Zuständigen klar, dass sie sich ihre Almen, ihre Traditionen und ihren Lebensraum nicht wegnehmen lassen. Sie stellten sich mit Naturschützer:innen und dem Alpenverein gegen Politiker:innen und Energiewirtschaft. Das war in den 1980er Jahren. Der Kampf sollte fast ein Jahrzehnt andauern, denn erst im Jahr 1992 hatten sie es geschafft, die übermächtigen Gegner tatsächlich zu besiegen. Das gelang ihnen mit einem klugen Kniff: Die Frauen von Kals schafften es, das Kalser Dorfertal offiziell dem Nationalpark Hohe Tauern zugehörig zu machen – jegliche Bebauungspläne waren damit ein für alle Mal vom Tisch.
Der Dorfersee im Kalser Dorfertal. (c) Hannah Assil (c) M.Lackner
Naturschätze für immer verloren
Wäre diese Staumauer damals in die Tat umgesetzt worden, wäre nicht nur ein wunderschönes Tal in Osttirol im Wasser versunken, sondern der Nationalpark, so wie er heute existiert, wäre sprichwörtlich ins Wasser gefallen. Ein aus heutiger Sicht unvorstellbares Projekt. Zeitgleich entwickelte man außerdem ein vorbildliches Konzept, um die Natur besser zu verstehen, zu vermitteln und auch in der Zukunft zu schützen. Dabei ist übrigens das Wiederansiedlungsprojekt der seltenen Bartgeier einer der bislang größten Erfolge.
Selten, aber erfolgreich wiederangesiedelt: Der Bartgeier. (c) Michael Knollseisen Die Dabaklamm im Dorfertal (c) Hannah Assil, Michael Kastl
Wer also das nächste Mal durch das idyllische Kalser Dorfertal zu Füßen des Großglockners wandert, auf die glasklaren Bergseen, weitläufigen Almen und die enge Schlucht der Dabaklamm blickt, kann den mutigen Frauen von Kals danken. Marianne Gratz und ihr Gefolge an Umweltschützerinnen haben bewiesen, was alles möglich ist, wenn man sich gemeinsam für eine gute Sache einsetzt.