Wer einmal in Kopenhagen war, weiß: hier geht es entspannter zu als in anderen Modemetropolen. Aber auch in Sachen Nachhaltigkeit ist die skandinavische Modelandschaft ganz weit vorne. Als erste ihrer Art führte die Copenhagen Fashion Week zum Beispiel bereits vor vier Jahren 18 verschiedene Nachhaltigkeitsrichtlinien für alle teilnehmenden Brands und Events ein. Im Aktionsplan wurde festgelegt, wie man die Auswirkungen der Veranstaltung auf das Klima, den Ressourcenverbrauch und das Abfallaufkommen reduzieren und gleichzeitig die Nachhaltigkeitsbemühungen der Modemarken noch weiter verbessern kann. Der Trend, den auffallend viele Labels präsentierten? Upcycling! Wir zeigen unsere Neuentdeckungen der Copenhagen Fashion Week.
Stem – Gewebte Zero-Waste-Revolution
Die dritte Kollektion des in Kopenhagen ansässigen Brands Stem spiegelt Gründerin Sarah Brunnhubers Engagement für Nachhaltigkeit wider und vereint High-Tech- und Low-Tech-Ansätze zu einer Zero-Waste-Kollektion. Die in Deutschland geborene und in London aufgewachsene Brunnhuber erfand dafür ein eigenes, innovatives System, das aus drei Hauptkomponenten besteht: einer Webtechnik, die Schnittteile direkt auf dem Webstuhl mit einer locker gewebten Struktur kombiniert, einer Schneidtechnik, die den gesamten Stoff nutzt und so den branchenüblichen Verschnittabfall von 15-25 % eliminiert, und einer Nähtechnik, die Fransen erzeugt.
In der neuen „The Pulling Collection“ kann man die spezielle Ästhetik, die daraus schlussendlich entsteht, gut nachverfolgen. Asymmetrische Fransen und gewebte Strukturen vereinen sich durch die neuartige Webmethode, die Brunnhuber in den letzten zwei Jahren entwickelte. Sichtbar wird damit ein Spiel aus Volumen und Strukturen. Stem plädiert damit für den bleibenden Wert von Handwerkskunst in einer Zeit, in der solche Fähigkeiten immer seltener werden und hinterfragt außerdem den Trend zur Automatisierung in der Modeindustrie.
Die Kleidungsstücke wurden zusammen mit der Designassistentin Mathilde Mortens entworfen und in einer Weberei im italienischen Bergamo gewebt. Sie sind die neueste Ergänzung der sich entwickelnden Capsule Wardrobe des Labels, die durch stundenlanges Ziehen und Knoten in Brunnhubers Studio mitten in der dänischen Hauptstadt entsteht. Nachhaltigkeit steht dabei stets im Mittelpunkt jeder Entscheidung. Das umfasst die Rohstoffe (nur zertifizierte Naturfasern) und die Produktionstechniken (Zero-Waste-Techniken). Ein Konzept, das bereits Früchte trägt, denn schon im Jahr 2022 arbeitete Stem mit dem dänischen Kultlabel Ganni zusammen.
Mode für alle: Sinéad O’Dwyer
Nachwuchstalent Sinéad O’Dwyer verwandelte mit ihrer Kollektion „Everything Opens To Touch“ den Park der Kopenhagener Oper in eine Plattform für Inklusion. Die irische Designerin, die in den letzten Saisons in London zeigte, wurde Anfang dieses Jahres zur Gewinnerin des Zalando Visionary Award ernannt. Das bescherte ihr einen Platz auf dem Programm der Copenhagen Fashion Week. Von ihren Fans wird O’Dywer dabei schon lange für ihre radikale Herangehensweise ans Thema Größeninklusion gefeiert. Von Anfang an verwendete sie gleich mehrere Passformmodelle, anstelle einer einzigen Mustergröße, wie sonst üblich.
Der Schauplatz am Kopenhagener Hafen wurde mit Skulpturen von Künstlerin Jade O’Belle dekoriert und untermalt von einem Gedicht, das die Londoner Autorin Anastasiia Fedorova extra für die Show schrieb. Zu Sinéad O’Dywers Models gehörte auch Blindenaktivistin Lucy Edwards, die ihren Blindenhund auf den Laufsteg mitnahm. Designtechnisch zelebrierte die SS25-Show den weiblichen Körper, geprägt von einer Spannung zwischen sanfter Sinnlichkeit und Härte. Die starken Unterschiede verschiedener Körper und Geschlechtsidentitäten stehen dabei stets im Mittelpunkt ihres Designprozesses, von der Forschung und Entwicklung bis hin zum Endprodukt. Mit cooler Selbstverständlichkeit zeigte die Irin damit der versammelten Modewelt, dass echte Inklusion möglich ist, wenn man nur will.
Gemeinsam die Zukunft verändern: The Royal Danish Academy Abschlusskollektion
Den Absolvent:innen des Studienzweigs Mode an der Königlichen Dänischen Akademie sind bereit unsere Zukunft zu verändern. Zumindest zeigten sich ihre Abschlusskollektionen geprägt von Ideen und modischen Umsetzungen zu Themen wie kulturelle Vielfalt, achtsamen Umgang mit Ressourcen und einer nachhaltigeren Modeindustrie. Die Absolvent:innen schufen Narrative für eine verantwortungsvollere Zukunft, die Kleidung wieder mehr Wertigkeit und Tiefe geben soll. Auch Themen wie Identität und emotionale Bindung an Kleidungsstücke flossen mit ein – ideologische Gedanken, die auch die Ausbildung der Dänischen Akademie prägen. „Wir streben leidenschaftlich danach, Kleidung zu schaffen, die wirklich zählt und die Fähigkeit hat, uns Hoffnung und Träume zu schenken. Etwas, das die Welt gerade dringend braucht“, heißt es in der offiziellen Pressemeldung. Die Designs reichten von Ballkleidern bis zu hautengen Catsuits, von wild zusammengenähten Second-Hand-Stücken bis zu maßgeschneiderten Roben.
Gründerin des Masterprogramms KLOTHING und Leiterin des Zweigs „Bekleidungs-, Textil- und Ökologieforschung“ an der Königlichen Dänischen Akademie, Else Skjold, kommentiert: „Durch die Schaffung von Kleidungsstücken mit emotionalem und kulturellem Wert, erdenken unsere Designer:innen eine verantwortungsvollere Zukunft für die Modeindustrie. Nicht nur durch achtsamen Umgang mit Materialien, sondern auch durch die Betonung der kulturellen Werte, die in der Mode eingebettet sind. Wir wollen Mode wieder mehr Wertigkeit geben und diese auf die Endkonsument:innen übertragen.“
Einfach selbermachen: Rolf Ekroth
Neben anderen vielversprechenden Nachwuchsdesigner:innen war auch Rolf Ekroth im New Talent Showroom der Copenhagen Fashion Week vertreten. Der finnische Modedesigner zeigte seine Frühjahr/Sommer 2025 Kollektion “Lavatanssit” aber auch in einer eigenen Show. Inspiriert von traditionellen finnischen Tanzpavillons, die über das ganze Land verstreut sind, spiegelt die Kollektion die geheimnisvolle Anziehungskraft dieser Orte wider, wo die Menschen die kalten Wintertage vergessen und sich den Freuden des Sommers hingeben. Ekroth lässt in seinen Designs eine Mischung aus Romantik und Melancholie lebendig werden, mit romantischen Blumenmustern und handgefertigten Details wie Spitzenkrägen, Mützen und gehäkeltem Macramé.
Die Kollektion enthält auch eine Kooperation mit Novita, einem finnischen Garnhersteller, mit dem Ekroth neue Texturen und Strickformen erforschte. Ein Strickpullover der Kollektion ist sogar in zwei Varianten erhältlich: als fertiges Produkt oder als DIY-Paket zum Selberstricken. Das, so der Designer, soll den Konsument:innen die Wertigkeit von Handwerk wieder näher bringen. „Wer sich mein Design nicht leisten kann, hat so die Möglichkeit, es daheim mit dem Originalgarn selbst nachzumachen. Dabei sieht man, wie viel Arbeit und Kunstfertigkeit in so einem Pullover eigentlich steckt. Ich möchte, dass man durch meine Mode wieder einen neuen Blick auf Handwerk bekommt“, so Rolf Ekroth.
Mode mit Mission: Our Shift
Our Shift ist ein aktivistisches Modekollektiv aus dem Herzen Kopenhagens. Mit der Mission, die Modelandschaft neu zu gestalten, kreiert Our Shift ethisch designte und hergestellte Kleidung, die zirkuläre Prinzipien widerspiegelt und den übermäßigen Modekonsum unserer Zeit in Frage stellt. Im Atelier im Stadtteil Nørrebro wird die Kleidung mit Upcycling-Techniken hergestellt, um unkonventionellen Materialien, wie z. B. Abfallstoffen einer Automarke oder Restbeständen der Modeindustrie, einen neuen Zweck zu geben und sie vor der Müllhalde zu bewahren.
Im Zuge der Fashion Week präsentierte Our Shift nun ihre Sonderkollektion „Upcycled Elegance“ aus Alttextilien und upgecycelten Zelten des dänischen Musikfestivals Roskilde. Rockig und cool wurden diese Abfallmaterialien in äußerst tragbare und modische Stücke verwandelt. Was wieder einmal beweist: Neu ist nicht gleich besser.
Unsere nachhaltigen Highlights der diesjährigen Berliner Fashion Week findest Du hier.