Die einen tragen Statement-Shirts, die anderen ihre Nippel zur Schau oder lassen sich gar schamlos das Achselhaar wachsen. Denn schön ist, was gefällt. Das, was unter Damen noch vor zehn Jahren als verpönt galt, wird heute salonfähig. Heute ist die Zeit der Frau. Noch nie, so scheint es, waren wir so frei und selbstbewusst wie jetzt. Ein Jahr nach #metoo ist der Begriff Feminismus nicht nur in aller Munde, sondern fordert auch nach einer Erklärung.
Text: Charlotte Andersson
Noch zu Beginn der Jahrtausendwende galten sie als harsch, aggressiv und provokant. Feministinnen wie Alice Schwarzer oder die österreichische Frauenpolitikerin Johanna Dohnal. Frauen, mit denen man sich bis dato eher weniger, und wenn dann nur als Studentin des Bereichs Gender Studies, identifizierte. Ganz anders heute: Sängerinnen wie Beyoncé oder Fergie, die ihre Körper auf der Bühne freizügig zur Schau stellen, stehen für eine neue Generation Feministinnen. Jüngst gingen sogar die amerikanische Stand-up-Comedian Amy Schumer und Model Emily Ratajkowski gegen Brett Kavanaugh auf die Straße. Jenen Mann, den US-Präsident Donald Trump als Richter für den amerikanischen Supreme Court will, und dem unter anderem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Für ihre Courage ernteten die beiden nicht nur ziemlich viel Respekt, sondern auch ein saftiges Bußgeld und eine Nacht auf dem Polizeipräsidium.
Der Feminismus ist in der Popkultur angekommen
Das biedere Image von Einst? Vergessen! Feministin zu sein ist cool, sexy und im Trend. Das belegt auch das Beispiel Maria Grazia Chiuris. Die Designerin des französischen Traditionshauses Dior entwarf für die Frühjahr/Sommer Kollektion 2017 T-Shirts mit der Aufschrift „We should all be Feminists“. Und die waren – Surprise, Surprise – sechs Monate später nicht nur restlos ausverkauft, sondern mutierten auch zum Sinnbild, ach gar zur Grundeinstellung einer ganzen Generation. Praktisch keine(r) (ja, auch Männer) wollte plötzlich mehr “oben ohne” auf die Straße. Denn ein Shirt mit Slogan auf der Brust, das ist die wohl einfachste Art, sich sowohl stilistischen als auch gesellschaftlichen Trends anzuschließen. Aber dürfen wir es uns tatsächlich so einfach machen? Nein. Denn bei allem Respekt: Feminismus ist kein modisches Accessoire, sondern eine politische Haltung. Und diese setzt auch bestimmtes Handeln voraus. Denn, dass wir 2019 das hundertjährige Jubiläum des Frauenwahlrechts in Deutschland feiern, Unternehmen führen, promovieren, habilitieren und uns, ohne mit der Wimper zu zucken, dafür mit einem Paar teurer Schuhe belohnen, ist mutigen Damen geschuldet, die sich aussprachen – gegen das Patriarchat und für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Laut Soziologin Dr. Marianne Schmidbaur sei es wichtig, sich nicht nur als Feministin zu betiteln, sondern sich auch deren Werten und Zielen anzunehmen.
Die #metoo-Bewegung ist die wichtigste unserer Zeit
Emanzipation, Geschlechtergerechtigkeit und die Abschaffung von Diskriminierung, so betont sie in einem Interview mit dem Online-Magazin Bento, seien ausschlaggebend. Aber woher kommt der plötzliche Drang nach Female Empowerment eigentlich? Angefangen hatte alles mit der #metoo-Debatte, die im Oktober 2017 losgetreten wurde. Dank dieser wurde der Diskurs um Sexismus und weibliche Emanzipation so richtig entfacht. Die Frau, ihre Bedürfnisse und Rechte stehen seither mehr denn je im Fokus des öffentlichen Interesses und bahnten sich sogar ihren Weg in die Politik. Nicht zuletzt durch die absurd-geschmacklosen Kommentare Donald Trumps. Wir erinnern uns, als er die französische First Lady Brigitte Macron bei einem Staatsbesuch mit den Worten „Wow, Sie sind ja super in Shape“, begrüßte und damit einen Seitenhieb auf ihr Alter (65) austeilte. Wie herablassend. Aber Intellekt war ja bekanntlich nie seine Stärke. Trotzdem, das Internet tobte. Und überhaupt findet feministisches Handeln heute allzu oft auf sozialen Medien statt.
#nobra zum Beispiel. Eine Bewegung, die ganz bewusst das Tragen von BHs ablehnt und blanke Nippel propagiert. Denn zwei erregte Hügelchen, die unter feinen Jersey-Tops hervorblitzen, stehen heute mehr denn je für weibliche Selbstbestimmtheit und transportieren gleichzeitig eine Prise Freiheit, Rebellion und subtile Erotik. Die Aussage:. “Ich bin frei und lasse meinen Busen (und mich) von keinem Büstenhalter bändigen”. Die Bewegung knüpft damit an die öffentlichen Verbrennungen von Büstenhaltern von 1968 an, die schon damals ein Zeichen gegen das Patriarchat und die Unterdrückung der Frauen waren.
Weniger sexy, dafür ebenso kontrovers ist der Trend zur Körperbehaarung. So vermag man in eine kurze Schockstarre zu verfallen, wenn eine Frau die Arme hebt und sich uns darunter der ungewohnte Anblick zweier dunkler Büsche bietet. Wem es dabei eiskalt den Rücken runterläuft, der sollte sich jedoch a.) locker machen und b.) daran gewöhnen. Schließlich ist nicht rasiertes Achselhaar auch ein provokanter Gegenentwurf zu glattpolierten, übersexualisierten Hollywoodkörpern, von denen wir dank Social Media praktisch rund um die Uhr umgeben sind. Wer als Achselhaar-Verfechterin den verstörten Gesichtsausdruck seines Gegenübers mit einer selbstbewussten Gleichgültigkeit nimmt, stemmt sich gegen ein stereotypes weibliches Ideal unserer Gesellschaft und stellt gängige Schönheitsnormen in Frage.
Mann? Frau? Wie wäre es mit Mensch!
Und das ist ganz im Sinne des modernen Feminismus. Dessen Bestrebungen liegen nämlich darin, ein facettenreiches Bild von Weiblichkeit zu etablieren. Dabei soll neben der Rolle der Frau aber auch die des Mannes in unserer Gesellschaft überdacht werden. Heterosexualität und traditionelle Lebensentwürfe verlieren an Bedeutung. Schwul, lesbisch, bisexuell, transgender? Ganz egal. Der Hausmann, der die Kinder hütet – total modern. Männer, die Röcke tragen? Warum nicht?! Die Frau, die im Restaurant die Rechnung bezahlt und sich nach einem Date sogar als erstes zurückmeldet – ohne drei Tage abzuwarten? Stark! Feminismus, das bedeutet auch, sich für eine ganzheitliche Gleichberechtigung einzusetzen. Johanna Dohnal drückte Ihre Vorstellung folgendermaßen aus: „Die Vision des Feminismus ist keine weibliche Zukunft, es ist eine menschliche Zukunft. Eine, die ohne Rollenzwänge, Macht- und Gewaltverhältnisse, aber auch ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn daherkommt“. Damit dürfte sie vielen Anhängern des Differential Feminismus aus der Seele sprechen. Eine der zwei Grundströmungen, die sich im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet hat. Diese Form des Feminismus erkennt Unterschiede zwischen den Geschlechtern an, sowohl körperlich als auch emotional. Plädiert aber dennoch für Gleichheit. Dieser Annahme gegenüber steht der Gleichheitsfeminismus, der zur Überzeugung kommt, dass beide Geschlechter von Grund auf gleich sind und lediglich die Gesellschaft uns zu verschiedenen Rollen erzieht. Klassischer Fall: Mädchen tragen rosa Kleider, Jungs blaue Hosen.
Die neue Generation von Feministinnen
Apropos, wie sieht eigentlich die Garderobe einer Feministin aus? Kann ich in sexy Minikleidern in Pinktönen ernst genommen werden? Die Frage ist zwar berechtigt, aber heute ziemlich überholt. Denken Sie lieber schnell um. Denn worauf es ankommt ist doch die Art und Weise, wie Frau einen Look trägt und anderen damit gegenüber tritt. Pink von Kopf bis Fuß schenkt Ihnen Selbstbewusstsein? Ein kurzer Rock betont ihre tollen Beine? Dann tragen Sie es! Und gaffende Männerblicke? Die sind, genau wie Vorurteile hinsichtlich Äußerlichkeiten – verdammt nochmal – nicht Ihr Problem. Als selbstdenkende Frau kann, will und soll ich – erhobenen Hauptes – tragen dürfen, wonach mir ist. Und vor allem: ohne Angst vor sexuellen Übergriffen. Denn heutzutage sollte uns Schutz davor gewährleistet sein – egal was wir tragen. Und diese Einstellung beweist am Ende vor allem die neue Generation von Feministinnen. Denn wer seine Stärken kennt und lebt, ist wahrhaft emanzipiert. Und das machen wir heute schon ganz schön gut.
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Dieser Text erschien zuerst in der FOGS Winterausgabe 2018. Hier nachbestellen.