hessnatur ist das Flaggschiff unter den deutschen Eco-Fashion-Anbietern. Gegründet 1976 als Versand für naturgemäße Waren ging es zunächst um chemisch unbehandelte Babykleidung. Später kamen Damen- und Herrenmode, Wäsche und Heimtextilien dazu. Das Butzbacher Unternehmen wuchs, wurde Vorreiter im Bereich nachhaltig und fair produzierter Kleidung und gewann viele treue Kunden.
Vor ein paar Jahren geriet das Schiff allerdings in unruhiges Fahrwasser. Mitarbeiter und Kunden wehrten sich gegen den Verkauf an einen amerikanischen Großinvestor. Aber auch eine zwecks Übernahme gegründete Genossenschaft scheiterte. Letztendlich kaufte 2012 ein Schweizer Investor die Firma. Nach anfänglicher Skepsis haben sich die Wogen nun geglättet. Die neue Kreativchefin und der neue Geschäftsführer bringen das Flaggschiff auf einen moderneren Kurs. Die Marke hessnatur will zeitgeistiger sein, ohne dabei ihre hohen ethischen Ansprüche zu vernachlässigen. Und offenbar segelt man im Jahr 2017, ein Jahr nach dem 40sten Firmengeburtstag, mit ordentlich Rückenwind. Ein FOGS-Gespräch über Ethik und Ästhetik mit Tanja Hellmuth, Chief Creative Officer, und Kristin Heckmann, Teamleiterin Corporate Responsibility .
Interview:
FOGS: Frau Hellmuth, wieso geht Ethik nicht ohne Ästhetik?
Tanja Hellmuth: Weil wir alle als Endverbraucher, gerade im Bereich Mode, durch schöne Dinge gelockt werden wollen. Wir wollen ja unvernünftig sein und reagieren beim Konsumieren auf optisch schöne Reize. Wenn diese dann noch mit dem ethischen Aspekt kombiniert sind, können wir uns darüber doppelt freuen: Zum einen haben wir uns etwas gegönnt, zum anderen haben wir dies vernünftig und verantwortungsvoll umgesetzt.
FOGS: Frau Heckmann, wieso geht Ästhetik nicht ohne Ethik?
Kristin Heckmann: Mir stellt sich die Frage: Wie schön kann etwas sein, das unter menschen- und umweltverachtenden Bedingungen gefertigt wurde? Das muss jeder für sich beantworten, aber für mich und auch für unser Unternehmen geht das eine nicht ohne das andere, Ästhetik und Ethik bedingen sich gegenseitig.
FOGS: Frau Hellmuth, nach fast zwanzig Jahren bei einem konventionellen Label hat man Sie 2015 geholt, um hessnatur modischer und zeitgemäßer zu machen. Mit welchem Gefühl sind Sie damals an diese Aufgabe herangegangen?
Tanja Hellmuth: Das Angebot kam in einer Phase, als ich vom herkömmlichen Fashion-Zug abgesprungen war, um einfach mal innezuhalten. Ich war mir sicher, dass Nachhaltigkeit und eben auch nachhaltige Mode Themen sind, die die Gesellschaft zunehmend bewegen werden. Für mich war und ist es eine spannende Herausforderung. Ich wollte beweisen, dass etwas Ethisches oder Ökologisches nicht stigmatisiert ist mit einer bestimmten Ästhetik, sondern dass man erstmal ein ästhetisches Konzept bilden kann.
FOGS: Sie haben in den zwei Jahren, in denen Sie bei hessnatur sind, Schritt für Schritt eine einheitliche Designhandschrift entwickelt. Wie würden Sie den neuen Stil beschreiben?
Tanja Hellmuth: Wir wollen zeitlose Lieblingsstücke kreieren, echte Klassiker, die verschiedene Saisons überdauern. Das bedeutet, dass wir auch eine reduziertere Handschrift haben, also keine zu laute und zu überladene. Und dass wir sehr sophisticated mit Details umgehen, mit Materialien und mit Proportionen. Im Prinzip ein zurückgenommener Stil, der aber sehr im Zeitgeist mitgeht.
FOGS: Können Sie ein konkretes Beispiel für so ein zeitloses Lieblingsstück geben?
Tanja Hellmuth: Ich denke da zum Beispiel an unseren Double Face Mantel aus Alpaka oder an den sehr klassisch geschnittenen Mantel aus Kamelhaar – das sind beides Stücke, in die man investiert, um sie dann lange tragen zu können.
FOGS: Alpaka-Wolle aus Peru, Kamelhaar aus Asien aber auch hessisches Leinen – bei hessnatur wird viel Wert auf hochwertige Materialien gelegt. Was bedeutet es für Sie, mit dieser Art von Stoffen zu arbeiten?
Tanja Hellmuth: Es ist ein Traum! Wenn man sowieso Materialfetischist ist, dann liebt man natürlich alles, was schön und luxury ist. Was kann man schöner bearbeiten als Alpaka, Cashmere, Kamelhaar oder Seide? Wenn man dann noch den Ursprung des Materials kennt, seine Geschichte, das ist ganz wunderbar.
FOGS: Ist es nicht manchmal umständlicher, nachhaltige Mode zu machen?
Tanja Hellmuth: Man muss bestimmte Kriterien beachten, aber das schürt auch die Kreativität. Wenn wir manche Materialien nicht einsetzen wollen, weil wir sie nicht okay finden, dann suchen wir nach Alternativen und da arbeiten wir eng mit dem Corporate Responsibility Team von Kristin zusammen.
Kristin Heckmann: Manchmal müssen wir die Kreativen auch bremsen und sagen: Das geht so nicht, sonst würden wir von unseren ökologischen Standards abweichen. Dann diskutieren wir gemeinsam und „reiben“ uns an dem Thema und am Ende des Tages haben wir das beste Ergebnis. Das ist vielleicht das Erfolgsrezept.
FOGS: Haben Sie ein Beispiel?
Tanja Hellmuth: Vor ein paar Saisons gab es das Thema Neopren, das skulpturale Formen in der Mode möglich gemacht hat. Da wir aber keine „chemische Schaumfüllung“ wollten, haben wir Materialien entwickelt, die auf andere Art und Weise Leichtigkeit und Standfestigkeit vereinen. Wir fanden bestimmte Jersey- oder Strickstrukturen, die die gleichen Formen möglich machen und sich von der Oberfläche auch nicht großartig unterscheiden. Wenn die einen rechts herum gehen, gehen wir links herum und kommen genauso zum Ziel.
FOGS: Es wird immer wieder von der besonderen „Material- und Supply Chain Kompetenz“ von hessnatur gesprochen. Frau Heckmann, könnten Sie für alle Teile, die Sie verkaufen, die genaue Material- und Lieferkette nachzeichnen?
Kristin Heckmann: Ja. Wir wissen, wo die Rohmaterialien herkommen, wie die Stoffe gesponnen, gefärbt und weiterverarbeitet werden, und wo die Sachen zusammengenäht werden. Im Bereich Ökologie haben wir unsere eigene Naturrichtlinie, arbeiten aber auch mit dem GOTS-Standard, wo ja nicht nur das Rohmaterial sondern auch die Weiterverarbeitung zertifiziert wird.
Die stetige Arbeit und Verbesserung der Sozialstandards erreichen wir, in dem wir regelmäßig vor Ort sind und langjährige Beziehungen zu unseren Lieferanten pflegen. Außerdem sind wir schon lange Mitglied der Fair Wear Foundation.
FOGS: Sie reisen viel um die Welt, zu Lieferanten, aber auch zu sozialen Projekten, die hessnatur fördert. Was hat Sie da am meisten beeindruckt?
Kristin Heckmann: Unser Sozialprojekt in Nepal, wo unsere New SADLE Schals gefertigt werden. Dort bekommen ehemalige Leprakranke, die aus der Gesellschaft verstoßen wurden, die Möglichkeit, zu arbeiten und wieder Teil einer Gemeinschaft zu sein. Die Warmherzigkeit der Menschen dort hat mich tief berührt.
FOGS: Das neueste Projekt ist eine Jeans aus „Natural Indigo Selvedge Denim“. Was steckt hinter dieser Jeans „made in Bangladesh“?
Kristin Heckmann: Wir sind bewusst nach Bangladesh gegangen, um zu zeigen, dass auch hier fair und nachhaltig produziert werden kann. Unser Projekt ist im Norden des Landes angesiedelt, wo es kaum Arbeit gibt. Wir erhalten an diesem Ort das traditionelle Web-Handwerk. Es hat zwei bis drei Jahre gedauert, das Ganze aufzubauen und das nötige Wissen zu vermitteln, denn diese Jeans ist qualitativ extrem hochwertig und erfordert viel Sorgfalt in der Fertigung. Wir haben hier die gleichen ästhetischen Ansprüche, auch wenn es ein Sozialprojekt ist.
FOGS: Immer mehr Kundinnen entdecken nachhaltige und faire Mode für sich, es entstehen immer mehr neue Labels, konventionelle Hersteller denken mehr in Richtung Ethik. Wie sehen Sie die künftige Rolle von hessnatur in diesem Markt?
Kristin Heckmann: Wir sind gut aufgestellt und das basiert auf jahrelanger Erfahrung und Entwicklung. Wir achten auf Arbeitsbedingungen, aber auch auf ökologische Standards, das ist sehr umfassend. Aber ich finde, die Einhaltung von Menschenrechten sollte kein Wettbewerbsvorteil, sondern eine Selbstverständlichkeit sein. Der Grundsatz, den die hessnatur-Gründer damals verfolgt haben, ist immer noch der gleiche und fest in der Unternehmens-DNA verankert. Und er soll bei dem, der die Mode trägt, ein Wohlgefühl hinterlassen.
Tanja Hellmuth: Die Marke hat seit über 40 Jahren diesen ethischen Ansatz, das war von Anfang an unser Kern. Und das ist, was mich auch als Designerin trägt. Wenn Kristin symbolisch einen Stempel auf ein Material oder eine Produktionsstätte gibt, dann können wir uns vom Design darauf konzentrieren, einfach nur schöne Dinge zu machen.