Stimmungsschwankungen, Übelkeit, Krämpfe und vor allem diese stechenden Schmerzen im Unterleib – das kennen viele menstruierende Personen nur zu gut. Der Umgang damit gestaltet sich allerdings sehr unterschiedlich. Viele gehen offen mit dem Thema um, andere wiederum sehen Regelschmerzen als Schwäche, die sie sich als Frau im Job nicht leisten können und vertuschen die Beschwerden so gut es geht. Sich wegen Regelschmerzen frei zu nehmen, ist nichtsdestotrotz ein heißdiskutiertes Thema in der Arbeitswelt. „Völlig gerechtfertigt“ sagen die einen, „übertrieben“ die anderen. Starke Beschwerden während der Periode werden von Gynäkolog:innen auch oft als Schmerzen abgetan, mit dem man eben leben muss. Oder werden als psychosomatisch abgestempelt. Richtig ernst nimmt man die Beschwerden erst, wenn sie so stark sind, dass die Person gar nicht mehr das Haus verlassen kann. In solchen Fällen steckt meist eine unterschätzte Krankheit dahinter: Endometriose.
Jede 10. Frau ist betroffen
Gut zwei Millionen Frauen in Deutschland sind von Endometriose betroffen, häufig sogar ohne es zu wissen. Jährlich kommen schätzungsweise rund 40.000 Neuerkrankungen hinzu. Die Dunkelziffer ist hier allerdings hoch, denn bis zur korrekten Diagnosestellung vergehen oft bis zu zehn Jahre. Das macht Endometriose zur häufigsten Unterleibserkrankung bei Frauen und zur zweithäufigste Frauenerkrankung überhaupt. Und trotz all dieser Zahlen haben viele Frauen und Männer noch nie davon gehört.
Also: Was ist das überhaupt?
So macht sich Endometriose bemerkbar
Leidet man unter Endometriose, wächst gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe dort, wo es nicht hingehört, also außerhalb der Gebärmutter. Häufig im Bauchraum, in seltenen Fällen auch in weit entfernten Organen wie der Lunge. Dieses Gewebe unterliegt ebenfalls dem Zyklus und löst Blutungen aus. Das Blut kann aber nicht abfließen, was Zysten und Entzündungen verursachen kann. Starke Schmerzen sind die Folge, in extremen Fällen kann dies sogar andere Organe gefährden.
Rund um die Tage der Periode verursacht dieses Fremdgewebe sehr starke Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Auch ungewollte Kinderlosigkeit, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder beim Wasserlassen können Hinweise sein. Es beginnt aber meist mit Regelschmerzen und ausgeprägten zyklischen Unterbauchschmerzen, bei denen Schmerzmedikamente nicht helfen. Auch schmerzhafte Blutungen während man die Antibabypille einnimmt, können auftreten.
Die Konsequenzen reichen aber über die Schmerzen hinaus: Betroffene sind erheblich in ihrer Lebensqualität eingeschränkt, müssen sich gezwungenermaßen von der Arbeit freinehmen und können oft nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Oft kommt noch die Furcht vor Unfruchtbarkeit hinzu. Klarheit darüber, ob man an Endometriose leidet, bringt eine Ultraschalluntersuchung oder eine Bauchspiegelung unter Narkose.
Ratschläge von der Expterin
Prof. Dr. Sylvia Mechsner ist Leiterin des Endometriose-Zentrums an der Berliner Charité und Deutschlands bekannteste Expertin auf diesem Gebiet. Für sie ist die Krankheit stark unterschätzt und benötigt dringend Aufklärung. In ihrem neuen Buch, das am 1. Oktober erscheint, will sie betroffenen Frauen eine positive Aussicht und individuelle Therapieformen an die Hand zu geben. In ihrem ganzheitlichen Ratgeber erklärt Sylvia Mechsner, wie man schneller zu einer Diagnose kommt, wie sich ärztliche Versorgung verbessern lässt und wie wichtig es ist, dass gerade auch Mütter bei anhaltenden Regelbeschwerden ihrer Töchter aktiv diese Krankheit beim Arzt ansprechen und untersuchen lassen.
Leicht verständlich fasst sie den aktuellsten Stand der Forschung zusammen, gibt Tipps, wie man den richtigen Arzt bzw. die richtige Ärztin findet, und zeigt auf, welche Möglichkeiten u.a. die Naturheilkunde bietet. Erfahrungsberichten von Patientinnen machen Betroffenen außerdem Mut, aktiv gegen die Krankheit anzugehen. Denn mit Ernährung, Entspannung und Bewegung können Endometriose-Patientinnen viel für sich und den Weg aus der Schmerzspirale tun.
Fehldiagnose Regelschmerz
Nach wie vor wird die chronische Frauenkrankheit häufig falsch eingeschätzt oder nicht adäquat begleitet. Patientinnen müssen im Schnitt sogar drei Ärzte:innen aufsuchen und bis zu zehn Jahre warten bis zur Diagnosestellung. „Die Frauen gehen mit Regelschmerzen zur Gynäkologin und werden daraufhin untersucht“ erklärt Dr. Mechsner im Interview. „Wenn sich dann weitere Beschwerden dazugesellen, schickt sie die Patientin zu anderen Fachärzten weiter. Die Endometriose wird so nicht angemessen behandelt.“
Mit akuter Endometriose sind die Beschwerden nämlich sehr komplex. Deshalb gehen viele Betroffene auch zu verschiedenen Ärzten und Ärztinnen. Häufig sind das Orthopäden, weil viele Frauen sehr starke Rückenschmerzen aufgrund ihrer Endometriose haben. Fälschlicherweise wird oft auch ein Reizdarmsyndrom festgestellt. Findet man keine Lösung, werden psychosomatische Störungen diagnostiziert und es wird sich auf falsche Ernährung oder zu viel Stress rausgeredet. So kommt es, dass viele Frauen jahreslang oder gar nie eine passende Diagnose bekommen.
Polina Zimmermann via Pexels cottonbro via Pexels
Wichtige Schritte zur Verbesserung
Ein wichtiger Schritt wäre es laut Dr. Mechsner, dass die Diagnose Endometriose von Frauenärzt:innen an die Krankenkasse weitergeleitet werden soll. „Wir gehen von bis zu 40 000 Neuerkrankungen pro Jahr aus, die Krankenkassen wissen aber offiziell nur von zwei bis drei Prozent Endometriose-Patientinnen. Ohne entsprechende Dokumentation der Fälle aufgrund der fehlenden Codierung durch die Gynäkologinnen wird die Erkrankung im Gesundheitssystem aber nicht als Problem erkannt.“ Und ohne Problembewusstsein gibt es keine Früherkennungsprogramme für Mädchen und junge Frauen mit schwerer Dysmenorrhöe (schmerzhafter Regelblutung), die wichtig wären.
Optionen zur Therapie
Die gute Nachricht: Endometriose kann therapiert werden – wenn man weiß, wie. Die Ultraschalldiagnostik stellt fest, wie weit eine Endometriose fortgeschritten ist. Erkennt man sie früh, wird zuerst eine hormonelle Therapie mit einer gestagenbetonten Pille oder einen Gestagenmonotherapie eingeleitet, um den Zyklus auszuschalten, sodass keine Blutung mehr auftritt. Viele Frauen sind dadurch komplett schmerzbefreit. „Sollten sich Nebenwirkungen durch die Hormone einstellen, muss man schauen, welche Stellschrauben man noch stellen kann.“ so die Expertin Mechsner. „Bestehen die Schmerzen weiterhin, müssen operative Therapien überlegt werden.“
Lebensqualität für Betroffene schaffen
Das Problem bei Endometriose ist, dass sie eine chronische Erkrankung ist. Bei vielen Frauen zieht sie sich durch ihre gesamte fruchtbare Zeit von der Pubertät bis zu den Wechseljahren „Richtigen Endometrioseschmerz kann man kaum beherrschen, das sind schlimme Schmerzen. Allerdings kann eine Frau, wenn man für sie eine Hormontherapie findet, die gut passt, unter Umständen auch auf Schmerzmittel verzichten.“
Moment, jeden Monat Schmerzmittel? Klingt nach einer ungesunden Belastung für den Körper, ist für die Expertin allerdings eine wichtige Therapieoption. Verzichtet man aus Angst vor den Nebenwirkungen darauf, kann das leider größere negative Auswirkungen haben, als man glaubt, erklärt Mechsner: „Bei chronischen Schmerzen reagiert auch das Schmerzgedächtnis. Es fängt an, sich zu verändern und reagiert viel empfindlicher auf Schmerzen, auch wenn die Endometriose selbst sich vielleicht gar nicht verschlimmert. Die Schmerzschwelle senkt sich ab und man bekommt auch Schmerzen beim Wasserlassen und beim Stuhlgang, das ist Ausdruck einer zentralen Sensitivierung. Ereignisse, die normalerweise nicht schmerzhaft wären, tun dann weh.“ Aus dieser Schmerzspirale komme man wiederum nur mit viel Aufwand wieder heraus.
Die drei Ratschläge von der Expertin,
… für eine gute Lebensqualität bei Endometriose:
1. Die Erkrankung zu verstehen. Werden Sie selbst zur Expertin!
2. Sich Behandlungen zuzugestehen. Schmerzen sollten behandelt und nicht ausgehalten werden.
3. Sich ein Konzept zur Selbstachtsamkeit erstellen, bestehend aus einer guten entzündungsarmen Ernährungsweise und einer multimodalen Therapie bestehend aus Entspannungstechniken und Yoga.