Durchschnittlich verbringen Frauen nur sieben Minuten bei der gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung. Private Gesundheitsversorgung von Zuhause aus wird deshalb immer beliebter. Warum das absolut notwendig ist und wo es an Aufklärung fehlt, erzählt uns die Gründerin des Hormontest-Anbieters Femna.
Umfragen zufolge warten 35 Prozent der Frauen in Deutschland mehr als drei Wochen auf ihren Termin beim Frauenarzt. 60 Prozent aller Frauen wollen hormonfrei leben und bekommen hierzu aber keine adäquate Beratung. Mithilfe von Tele-Medizin bietet das von Frauen gegründete Unternehmen Femna Diagnostik und Beratung online. Geprüfte Heilpraktikerinnen und Ärztinnen beraten zu allen Themen rund um natürliche Frauengesundheit: Zyklus, PMS, Kinderwunsch, Wechseljahre, Haut und Haare, Darmgesundheit und Immunsystem. Quasi von der Couch aus bekommen Patientinnen somit Empfehlungen für natürliche Alternativen und Lifestyle-Lösungen. In den USA ist diese Form von Tele-Health schon sehr etabliert. Wie es in Deutschland läuft und wo der meiste Aufholbedarf herrscht, erzählt uns eine der Gründerinnen von Femna, Maxie Matthiessen.
Eines eurer Mottos ist „Nimm deine Gesundheit in die eigene Hand“. Warum ist das deiner Meinung nach nötig?
Häufig ist es ja so, dass du bei der Frauenärztin für alle Probleme meist eine einzige Lösung verschrieben bekommst: nämlich die Pille. Wir wollen dagegen gemeinsam Lösungen erarbeiten und nehmen die Meinung der Patientin sehr ernst. Wir wollen eine breite Behandlungspalette anbieten, weil es viel mehr gibt, was Frau tun kann. Femna setzt sich damit für mehr Selbstermächtigung und Eigenständigkeit in der Gesundheitsversorgung ein.
Wie kam es überhaupt zur Idee, Femna zu gründen?
Vor Femna gründete ich Ruby Cup, eine Firma für Menstruationstassen. Wir waren damit unter den ersten auf dem heimischen Markt und bekamen ständig Anfragen zum Thema Zyklus und PMS. Das verwunderte mich natürlich, denn warum stellten all die Frauen ausgerechnet einer Firma diese intimen Fragen und nicht ihren Ärzt:innen? Ich recherchierte und stieß bald auf die Zahl Sieben: Gynäkolog:innen verbringen in Deutschland im Durchschnitt 7,6 Minuten oder weniger mit Patientinnen – inklusive an- und ausziehen. Zum Vergleich: In Skandinavien sind es durchschnittlich 22 Minuten. Teilweise muss man auch zwischen Anmeldung und Termin sechs Monate warten. Mit der langen Gesprächszeit und einer breiten Palette an Behandlungsoptionen wollen wir bei Femna sagen: Du bist nicht alleine, nimm es selbst in die Hand, wir stehen dir bei und suchen gemeinsam eine Lösung.
Ihr schreibt auf eurer Homepage „Verabschiede dich von Beschwerden, von denen du dachtest, sie seien normal.“ Wie könnt ihr dabei genau helfen?
Bei starken Regelschmerzen, starken Blutungen oder unregelmäßigem Zyklus heißt es oft: Finde dich damit ab und stell dich nicht so an. Du musst damit leben als Frau. Das stimmt nicht und ist noch dazu gefährlich, wenn es um Endometriose geht. Bei vielen Beschwerden arbeiten wir über den Darm. Unser Darmtest gibt Auskunft über den Status der Darmflora. Denn Stress und bestimmte Medikamente rauben eine Menge Vitalstoffe, davon sind wohl viele von uns betroffen. Wenn wir chronisch gestresst sind, geht damit häufig ein Progesteronmangel einher, der häufig eine Ursache von unerfülltem Kinderwunsch und PMS-Beschwerden ist. Aus Gründen wie diesen ist auch die Redezeit so wichtig. Wir finden dann raus, wie es der Patientin geht, was sie stresst, wie sie Stress im Alltag reduzieren kann etc. Wir arbeiten mit Kräutern, die sich seit Jahrtausenden in der Frauenheilkunde bewährt haben, auf die es aber keinerlei Patent gibt. Das macht es wiederum für Ärzt:innen nicht rentabel, sie zu verschreiben. Man kann viel mit Nahrungsergänzungsmitteln bewirken oder im Zweifelsfall mit bioidentischen Hormonen arbeiten, das sind nicht-synthetische Hormone, meist in Cremeform.
Wie hoch ist die Schwelle bei so einem intimen Thema? Wie funktioniert der Vertrauensaufbau?
Das war nie eine Challenge bei uns. Wir haben gemerkt, dass die Hemmschwelle der Video-Call Technik in der Pandemie sehr gesunken ist. Jetzt hat bereits jede:r Erfahrung mit Zoom und Co. Auf unseren Trust Badges auf der Homepage sieht man, dass wir nur mit akkreditierten Partnerlaboren in Deutschland arbeiten. Die Frauen schicken ihre Proben ja direkt ins Labor und wissen damit, dass das nicht bei uns in der Büroküche zusammengemixt wird. Neben Video Calls bieten wir auch telefonische Gespräche an und meiner Erfahrung nach, ist genau da das Gegenteil der Fall: Wenn man sein Gesicht nicht zeigen muss, läuft das Gespräch viel freier und offener ab.
Spiegelt sich das auch in euren Bestsellern wider?
Ja, durchaus. Denn neben den Hormontests sind vor allem unsere Tests für Geschlechtskrankheiten der Bestseller. Bei den Ärzt:innen ist das nämlich immer noch eine Privatleistung. Nur wenn man bereits Symptome hat, wird es von der Krankenkasse erstattet. Wenn du dich also vorsorglich testen möchtest – aus Sicherheit und Verantwortungsgefühl – wird es nicht erstattet. Das tückische dabei ist natürlich, dass beispielsweise Klamydien symptomlos verlaufen können und im schlimmsten Fall mit Unfruchtbarkeit enden. Da herrscht bei uns noch enormer Aufklärungsbedarf. In Dänemark werden beispielsweise beim jährlichen Abstrich ganz selbstverständlich auch alle Geschlechtskrankheiten getestet.
Warum sollte ich als Frau so einen Hormontest machen?
Du hast Akne oder Haarausfall. Deine ärztliche Anlaufstelle verschreibt dir Produkte, die Antibiotika oder Cortison enthalten. Das sollte man wiederum nicht einnehmen, wenn man schwanger ist oder stillt. Und hat noch viele weitere negative Auswirkungen. Denn die Wissenschaft warnt schon lange vor der fortschreitenden Antibiotika-Resistenz. Das liegt einerseits an der Massentierhaltung, aber auch an Medikamenten wie beispielsweise Aknecremes, die jungen Frauen oft verschrieben werden. Femna-Kundinnen wählen dann lieber den Weg, die Haut von innen über den Darm und die Ernährung zu heilen.
Ein anderes Beispiel: Frau kommt zu uns, weil sie intuitiv merkt, dass irgendwas nicht stimmt. Zu intensive Regelschmerzen beispielsweise. Bei der Frauenärztin kommt sie nicht weiter. Wir können nach dem Test sehen, woran das liegen könnte und uns gemeinsam alternative Methoden ansehen, die reguläre Ärzt:innen vielleicht nicht ernst genug nehmen.
Was waren eure wichtigsten Learnings beim Gründen von Femna oder auch deinem ersten Start-Up Ruby Cup?
So ein Unternehmen aufzubauen verläuft nie linear. Da geht es rauf und runter. Manches läuft von Beginn an super, manches geht überhaupt nicht. Es stecken viele Jahre Entwicklung dahinter. Die Health Claims Verordnung in Deutschland hat uns bei Femna anfangs viele Schwierigkeiten im Marketing gemacht. Man darf sich aber nie durch Rückschläge demoralisieren lassen. Man sagt ja „female founders are underfunded“ und das stimmt. Ich persönlich habe ja sehr viel Respekt vor dieser Aufgabe und denke viel über meine Verantwortung nach und was passiert, wenn es nicht klappt. Ich denke, Männer sind besser darin, diese Gedanken wegzuschieben. Es ist auch systemischer Natur, das Frauen meist von männlichen Investoren Geld verlangen müssen. Und Hans gibt am liebsten Hans das Geld.
Stereotypen sitzen leider immer noch viel zu tief in uns …
Oh ja. Ich erwische mich selbst immer wieder bei unterbewussten Mechanismen – dass man dem Mann mehr Beachtung schenkt zum Beispiel. Man muss diesem sogenannten Unconscious Bias erst einmal Beachtung schenken, um ihm entgegen zu treten. Hätte Femna mehr Geld bekommen, wenn ich ein Mann wäre? Das kann niemand mit Sicherheit wissen. Aber in der Start-Up-Welt gäbe es bereits viele Beispiele, wo es genauso war.
Die Antibabypille galt als Revolution in Sachen Selbstbestimmung. Heute gehen die Meinungen stark auseinander. Die einen finden es praktisch, die Menstruation kontrollieren oder sogar ausfallen lassen zu können – andere halten gerade das für einen Kontrollverlust über den eigenen Zyklus. Wie stehst du zu diesem Thema?
Hier ist die Aufklärung das Wichtigste. Dass Frau genau Bescheid weiß, was sie da nimmt und welche Vor- und Nachteile es gibt. In gewissen Lebenssituationen ist es total gerechtfertigt die Pille zu nehmen. Sie geht natürlich mit extrem starken Nebenwirkungen einher. Thrombosen, Depressionen, Stimmungsschwankungen. Sie gibt dem Körper Hormone, deshalb produziert er sie nicht mehr selbst. Es gaukelt einen Zyklus vor, was eine relativ unnatürliche Form der Verhütung ist.
Einem 11-jährigen Mädchen wegen Akne die Pille verschreiben – warum? Vor allem haben diese Frauen beim Absetzen häufig das PCO Syndrom. Dabei handelt es sich um eine Störung im hormonellen Regelkreis von Frauen. Männliche Hormone werden überproduziert, weshalb eine maskuline Statur und mehr Körperbehaarung die Folge sind. In Deutschland ist es auch leider so, dass oft die dritte und vierte Generation verschrieben wird und bei denen sind die Nebenwirkungen am heftigsten. Es gibt also immer noch Risiken bei der Pille, denen sich auch Ärzt:innen im Klaren sein müssen bei Verschreiben. Womit sich wieder der Kreis unseres Hauptanliegens schließt: wie wichtig Aufklärung und Kommunikation in diesem Bereich ist.