Mindestens einmal die Woche Fisch auf den Speiseplan – das gehört zu den gängigen Ernährungsempfehlungen. Aber: Ist das ökologisch vertretbar und brauchen wir das überhaupt? Wir haben die Expertinnen des Zertifizierungsorganisationen Marine Stewardship Council und Aquaculture Stewardship Council gefragt – und wie bei so vielen Problemen unserer Zeit lautet die Antwort: Es ist kommt darauf an.
FOGS: Ein- bis zweimal die Woche Fisch auf den Teller – das gehört zu den gängigen Ernährungsempfehlungen. Aber brauchen wir Fisch wirklich in dieser Menge?
Andrea Harmsen vom MSC:
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, ein- bis zweimal in der Woche Fisch zu essen. Dem möchte ich hinzufügen: Wenn Fisch, dann bitte nur aus kontrolliert nachhaltigem Fang oder verantwortungsvoller Zucht!
Ganz auf Fisch zu verzichten ist nicht nötig, denn Fisch ist eine nachwachsende Ressource, sofern Bestände verantwortungsvoll befischt werden.
Eine komplette Umstellung auf andere Proteinquellen – Insekten, Hülsenfrüchte, Fleisch – hat auch ihre Tücken. Insekten möchten viele Menschen hier (noch) nicht essen, vielleicht ändert sich das in den nächsten Jahren. Die Agrarwirtschaft hat wie die Fischerei ökologische Grenzen – etwa was den Grundwasserverbrauch oder die Umwandlung wichtiger Lebens- und Naturräume in Ackerland betrifft.
Und die dritte Option, die Wahl von Fleisch als Ersatz für Fisch, wäre ökologisch betrachtet keine gute Wahl, denn Fleisch hat – selbst bei artgerechter Haltung – eine ungleich schlechtere Ökobilanz als Fisch. Ein Rindersteak hat zum Beispiel einen achtmal so großen CO2-Fußabdruck wie ein Wildlachssteak gleicher Größe.
Barbara Janker vom ASC:
Genau. Die Deutschen liegen ohnehin mit einem Fischkonsum von 14,5 kg pro Kopf und Jahr wesentlich unter dem weltweiten Durchschnitt. Wenn wir von Alternativen aus aquatischen Systemen sprechen, dann wären Algen und andere Wasserpflanzen eine Möglichkeit. In der asiatischen Küche schon immer präsent, halten sie auch bei uns immer mehr Einzug in die Küchen.
Algen sind ausgesprochen nährstoffreich und werden darum häufig auch als gute Ergänzung zu einer veganen Ernährung gesehen. Äußerst beliebt sind beispielsweise Wakame, Kombu, Nori, Chlorella oder Spirulina. Sie werden vor allem in Indonesien, Korea und China im offenen Meer an Leinen gezüchtet und sind da auch eine wichtige Einkommensquelle. MSC und ASC haben gemeinsam vor einiger Zeit einen Standard für die nachhaltige Algenzucht entwickelt, um bei der steigenden Produktion auch sicher zu stellen, dass der Anbau ökologisch und sozial verträglich ist.
“Ein Wildlachssteak hat einen achtmal geringeren CO2-Fußabdruck als ein Rindersteak.”
Andrea Harmsen vom MSC
FOGS: Welche Fischarten kann ich noch bedenkenlos essen? Gibt es Arten, die einen besonders geringen ökologischen Impact vorweisen?
Andrea Harmsen | MSC:
Das ist so pauschal nicht zu beantworten, denn es gibt ja ganz unterschiedliche Formen von ökologischem Impact. Jeder Wildfisch hat zunächst einmal einen extrem niedrigen CO2 Fußabdruck – niedriger als viele agrarwirtschaftliche Erzeugnisse und erst Recht niedriger als jede andere Form von tierischem Protein. Nach dem Fang addieren sich jedoch auch bei einem Wildfischprodukt Faktoren wie Transport und Verarbeitung hinzu und beeinflussen dessen Klimabilanz – so wie bei jedem anderen Nahrungsmittel auch.
Unabhängig davon, kann Fischerei einen negativen Einfluss auf das Ökosystem Meer haben: hoher Beifang, Zerstörung des Meeresbodens, Überfischung. Dagegen kämpft der MSC und verleiht Fischereien, die diesen negativen Einfluss nachgewiesenerweise nicht haben, das blaue MSC-Siegel. An diesem Siegel können sich umweltbewusste Verbraucher*innen beim Einkauf orientieren. Pauschale Aussagen wie, “Hering darf man noch essen” oder “Thunfisch darf man nicht mehr essen” sind unsinnig. Denn von fast allen Fischarten gibt es sowohl überfischte als auch nicht-überfischte Bestände, und bei fast allen Fischarten gibt es Fischer*innen, die umweltverträglich fischen und solche, die dies nicht tun. Man muss den Einzelfall betrachten – und dabei hilft das Siegel.
Barbara Janker | ASC:
Es gibt viele Faktoren, die einen Einfluss auf den ökologischen Fußabdruck eines Zuchtfisches haben. Beispielsweise benötigtes Wasser, Futterquotient (also die Menge an Futtermittel pro Kilo Zuchtfisch), Energieverbrauch, Transportwege und so weiter. Generell wird beispielsweise der Fußabdruck hinsichtlich des Futtereinsatzes geringer– durch die Zucht von domestizierten Fischen mit favorisierten genetischen Merkmalen, also Fischen, die schneller wachsen und resistenter sind.
Wir ziehen Einzelfallbetrachtungen generellen Aussagen vor. Das ist ja auch die Grundidee einer freiwilligen Zertifizierung, wie ASC und MSC das sind. Bei einem ASC-Audit überprüfen Gutachter vor Ort die konkrete Arbeitsweise eines Betriebs. Das ist unserer Meinung nach wesentlich aussagekräftiger.
FOGS: Wie sieht es bezüglich Schwermetall-Ablagerungen aus? Welche Fischarten sind hier besonders betroffen?
Andrea Harmsen | MSC:
Langlebige und fetthaltige Fischarten wie Schwertfisch oder Heilbutt können Schwermetalle eher anreichern als kurzlebige und magere Hochseefische wie zum Beispiel Kabeljau oder Hering. Aber unabhängig von der Fischart ist natürlich die Frage, ob das Wasser im Verbreitungsgebiet des befischten Bestands überhaupt belastet war oder nicht.
Grund zur Sorge gibt es für hiesige Verbraucher*innen in keinem Fall: In Deutschland und der EU kommen nur Fische in den Handel und auf den Teller, die für den menschlichen Verzehr unbedenklich sind, auch hinsichtlich ihrer möglichen Schadstoffbelastung. Die entsprechenden Grenzwerte sind hier sehr streng.
Barbara Janker | ASC:
Aktuell gibt es keine Studien, die einen Hinweis auf bedenkliche Mengen an Schwermetallen in Fischen aus Zuchtanlagen liefern würden. Das wird auch in einer umfassenden Untersuchung diverser Lachsfilets der Stiftung Warentest (3/2018) so bestätigt. Das könnte daran liegen, dass Standorte für Fischzuchten ja gezielt ausgewählt werden und man nicht an einen Platz geht, der für seine Schwermetall-Akkumulation bekannt ist.
FOGS: Meeresfisch vs. Zuchtfisch aus Aquakulturen: Gibt es hier gesundheitlich relevante Unterschiede?
Barbara Janker | ASC:
Es gibt natürlich Unterschiede. So hat Zuchtlachs beispielsweise mehr Fett und so auch mehr Omega-3-Fettsäuren als wilder. Er bewegt sich weniger als Wildlachs und wird regelmäßiger gefüttert.
Potenzielle Rückstände von Medikamenten in Zuchtfisch ist ein Thema, das Verbraucher natürlich besonders interessiert – zu Recht. Generell ist es wichtig, den Einsatz von Medikamenten wie Antibiotika durch verbesserte Krankheitsvorbeugung zu reduzieren. In Norwegen konnte beispielsweise die Antibiotikaverwendung um 99% reduziert werden. Der Fokus auf vorbeugende Maßnahmen und ganz klare Regeln zur Minimierung des Medikamenteneinsatzes sind auch Kernelemente der ASC-Farmstandards.
Sollten Zuchtfische dennoch krank werden, was natürlich passieren kann, ist es manchmal notwendig, dass ein Tierarzt Medikamente verschreibt – auch aus Tierwohlaspekten. In einem solchen Fall existieren in der EU Grenzwerte, die die Unbedenklichkeit der Produkte im Sinne des Verbraucherschutzes sicherstellen. Diese betreffen auch importierte Waren. Fischprodukte, die diese Bestimmungen nicht erfüllen, gelangen gar nicht erst auf den Markt.
Andrea Harmsen | MSC:
Wildfisch ist bekanntlich von Natur aus immer “bio” – er ernährt sich mit rein biologischer Nahrung und wird nicht mit Medikamenten oder Futterzusätzen versorgt. Doch können wildlebende Fische unter der Verschmutzung und Vermüllung unserer Meere leiden. Im Verdauungstrakt von Meeresfischen hat man beispielsweise Mikroplastik gefunden.
Weil wir den Verdauungstrakt von Fischen jedoch in der Regel nicht mitessen und weil die auffindbaren Plastikmengen zudem minimal waren, stufen Wissenschaftler*innen das Risiko, welches von Mikroplastik in Fisch ausgeht, als gering ein. Ähnlich ist es mit Schwermetallen: Da in Deutschland und der EU grundsätzlich nur Speisefisch auf den Markt gelangt, dessen Belastung unterhalb strenger, für den menschlichen Konsum unbedenklicher Grenzwerte liegt.
FOGS: Wir im globalen Norden leiden in der Regel nicht unter Eiweiß- oder Nährstoffmangel. Für den globalen Süden stellt Fisch jedoch eine überlebenswichtige Nahrungsmittelgrundlage dar. Haben wir eine Verpflichtung, keinen Fisch aus dem Süden zu konsumieren?
Barbara Janker | ASC:
Aus Aquakultursicht möchte ich sagen, dass Fisch für Schwellenländer nicht nur eine wichtige Nahrungsmittelgrundlage ist, sondern auch eine ganz wesentliche Einkommensquelle. 80 Prozent des Zuchtfisches global wird allein in Asien produziert. Die Zuchten befinden sich oft in abgelegenen küstennahen Regionen, wo sie und die Weiterverarbeitung wichtige Arbeitsplätze bieten. Gerade in der Verarbeitung machen Frauen laut Berichten der Welternährungsorganisation bis zu 90 Prozent der Arbeitskräfte aus. Aus unserer Sicht ist wichtig, dass diese Arbeiter*innen zu ihren Rechten kommen.
Die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation der UN) ist daher ein wesentlicher Bestandteil der ASC-Standards. Die Zucht von Fischarten und Meeresfrüchten für den Export, wie beispielsweise Garnelen, schließt ja die Aufzucht von Fisch für den lokalen Konsum nicht aus. Interessant in diesem Zusammenhang: Die Fischart, die weltweit mit großem Abstand am meisten gezüchtet wird, ist Karpfen. Ein Blick in die deutschen Supermarktregale zeigt, dass dieser nicht hierher kommt, sondern zum überwiegenden Teil direkt in den Heimmärkten verspeist wird.
Andrea Harmsen | MSC:
Zunächst einmal haben Fischereien, egal ob sie im Nordatlantik oder in den internationalen Gewässern um Afrika, Südamerika oder Asien fischen, die – zumindest moralische – Verpflichtung, dies nachhaltig zu tun. Also so, dass genügend Fisch im Meer bleibt und das ökologische Gleichgewicht bewahrt wird – und damit auch die Grundlage für kleine, küstennahe Fischereien. Das MSC-Programm möchte solch eine nachhaltige Fischerei weltweit etablieren – in nördlichen ebenso wie in südlichen Gewässern.
Es gibt bereits viele Fischereien aus dem “globalen Süden”, die das MSC-Siegel tragen. Zum Beispiel die Thunfischfischereien der Malediven oder der mikronesischen Inselstaaten (PNA). Diese Fischereien schaffen Arbeitsplätze und Einkommen vor Ort. Mit dem Kauf von Fisch oder Fischprodukten aus diesen Fischereien unterstützten Verbraucher*innen nicht nur die nachhaltige Befischung der Meere, sondern auch die wirtschaftliche Situation der vor Ort Beschäftigten. Ein Einkommen zu haben, ist ein wichtiger Aspekt im Hinblick auf die Frage der Ernährungssicherung.
Ein anderer wichtiger Punkt was die nachhaltigere und gerechtere Befischung südlicher Meeresregionen betrifft, sind klare Regelungen darüber, wo, wann und wie viel gefangen werden darf. Länder des Südens sollten dabei unterstützt werden, solche Managementregeln für ihre 200-Seemeilen-Bewirtschaftungszone aufzustellen und zu implementieren. Auch die Bekämpfung der illegalen (IUU-) Fischerei, die in einigen Gewässern der südlichen Erdhalbkugel ein großes Problem darstellt und wesentlich zur Überfischung beiträgt, ist wichtig.
Anm. d. Red: Wer nicht auf Fisch verzichten möchte, sollte zusätzlich zu den Labels der MSC und ASC auf schonende Fangmethoden achten. Die Hinweise »pole and line« oder »hook and line« bedeuten, dass der Fisch mit selektiven und schonenden Fangmethoden gefischt wurde. Lest mehr über den Zustand unserer Meere und wie jeder von uns etwas zum Meeresschutz beitragen kann.
Titelbild: Gregor Moser via Unsplash