Viel zu lange verspricht die Modewelt schon eine Besserung der Arbeitsverhältnisse für jene, die unsere Kleidung herstellen. Freiwillige Maßnahmen von einzelnen Marken sind oft nicht ausreichend oder brauchen viel zu lange bis zur tatsächlichen Umsetzung. Forderungen werden daher immer lauter, die Branche endlich zu regulieren und zur Verantwortung zu ziehen. Ein großes Problem dabei ist der Mangel an Transparenz entlang der Lieferkette.
Dass freiwillige Maßnahmen allein nicht ausreichen, um Fortschritte zu erzielen, zeigen Erhebungen immer wieder. Der Fashion Transparency Index beispielsweise untersuchte 2022 die 250 größten und einflussreichsten Fashion Brands der Welt und fand heraus, dass 94 % der Marken Informationen und ihre jährlichen Fortschritte in Richtung existenzsichernde Löhne nicht veröffentlichen. Selbst ein Mindestlohn bedeutet in vielen Ländern nicht zwingend auch existenzsichernd: The industry we want hat dazu eine Erhebung mit Daten aus den 28 wichtigsten Ländern für Bekleidungsherstellung durchgeführt. Im Durchschnitt müssten dort die Mindestlöhne um 48,5 % steigen, um alltägliche Kosten von Arbeitnehmer*innen zu decken.
Für eine faire Modewelt
Mit der europaweiten Bürger*inneninitiative #GoodClothesFairPay (hier unterstützen!) will man Mode-Unternehmen u.a. verpflichten, ihre Produktionsbedingungen transparent zu machen, für faire Löhne und Transparenz über die Produktionsbedingungen sorgen, damit Kinder nicht mehr arbeiten müssen und das Recht sicherstellen, Gewerkschaften zu bilden.
Die junge Politikerin Delara Burkhardt kämpft genau dafür. Als Abgeordnete im EU-Parlament setzt sie sich ganz gezielt für eine nachhaltigere Textilbranche und transparente Lieferketten ein. Die Unterstützerin der #GoodClothesFairPay erzählt uns im Interview ehrlich, wo es in der Politik noch hakt.
FOGS: Wer oder was hat dich erstmals auf die prekären Verhältnisse in der Textilindustrie aufmerksam gemacht?
Delara Burkhardt: Soziale Gerechtigkeit und faire Arbeitsbedingungen waren mir schon immer sehr wichtig. 2013 starben mehr als 1100 Menschen bei dem Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch. Menschen, die unter schlechten Arbeitsbedingungen und extrem niedrigen Löhnen Kleidung herstellten, die vor allem in die USA oder nach Deutschland verkauft wurde. Spätestens da wurde mir klar, dass wir global für soziale Gerechtigkeit und faire Arbeitsbedingungen kämpfen müssen. Kein Arbeitnehmer und keine Arbeitnehmerin darf für Produkte ausgebeutet werden, die wir konsumieren. Natürlich kann ich als Europaabgeordnete keinen Einfluss auf nationale Gesetze in Ländern des Globalen Südens nehmen. Doch ich kann mich aktiv dafür einsetzen, welche Pflichten Unternehmen erfüllen müssen, die auf dem Europäischen Markt ihre Produkte verkaufen wollen.
FOGS: Welchen Aspekt der #GoodClothesFairPay Initiative ist dir besonders wichtig?
Delara Burkhardt: Die Umsetzung aller Forderungen der Initiative ist notwendig, um eine wirkliche Veränderung zu erreichen. Persönlich liegen mir insbesondere die Rechte von Frauen und Mädchen am Herzen. Denn von den 60 Millionen Menschen, die weltweit in der Textilproduktion beschäftigt sind, sind 80% Frauen. Damit sind es auch Frauen, die besonders von Hungerlöhnen, unbezahlten Überstunden, Gesundheitsgefährdungen und psychischen Übergriffen betroffen sind. Egal ob Discounter oder Modemarke, den Preis am Ende zahlen die Arbeitnehmer*innen in der Textilproduktion.
FOGS: Faire Bezahlung, sichere Arbeitsplätze, keine Kinderarbeit – die Forderungen von #GoodClothesFairPay klingen so selbstverständlich, warum blockiert die Politik diese immer noch?
Delara Burkhardt: Das alles sollte längst Realität sein und genau dafür kämpfe ich auf politischer Ebene. Doch aktuell haben wir eine konservative Mehrheit im Parlament. In einem demokratischen System müssen wir in den Verhandlungen immer wieder Kompromisse finden. Solange die konservative Mehrheit Interessen aus der Wirtschaft über den Schutz von Arbeitnehmer*innen stellt, sind diese Kompromisse zwar ein guter Anfang, aber noch lange nicht weitreichend genug, um Arbeitnehmer*innen ausreichend zu schützen.
FOGS: Würden transparente Lieferketten dieses Problem gänzlich lösen?
Delara Burkhardt: Transparente Lieferketten sind ein wichtiger Schritt, um die Arbeitsbedingungen von Millionen von Textilarbeiter*innen zu verbessern. Denn Transparenz bedeutet, dass wir nachvollziehen können, wo unsere Produkte herkommen und unter welchen Bedingungen sie produziert wurden.
Doch Transparenz alleine wird nicht ausreichen, um die schlechten Bedingungen in der Textilindustrie ganzheitlich zu lösen. Wir brauchen verpflichtende Gesetzgebung die garantiert, dass Mode nicht auf Kosten von unserer Natur und Arbeitnehmer*innen produziert wird.
FOGS: Wer fair und nachhaltig kaufen möchte, hat’s nicht leicht. Es gibt unzählige Siegel und Zertifizierungen, von denen viele aber nicht ausreichend transparent sind. Wie triffst du modische Kaufentscheidungen?
Delara Burkhardt: Das stimmt, auch ich verliere manchmal den Überblick bei all den Siegeln und Etiketten. Ich hoffe, dass neue europäische Gesetze, wie das Verbot von Greenwashing (Green Claims) und bessere Hinweise auf Produkten zu deren Herstellung und Nachhaltigkeit – wie der geplante digitale Produktpass als Teil der Erneuerung der Ökodesignverordnung – uns als Verbraucher*innen bald eine gute Hilfe sein werden. Ich persönlich kaufe sehr gerne gebrauchte Kleidung oder Kleidung, die ich vielfältig kombinieren kann. So kann ich meine Kleidung lange und für viele Anlässe tragen. Das ist auch für meine Arbeit wichtig, denn als Abgeordnete brauche ich Sachen, die ich sowohl bei einem Ausflug in eine Recyclinganlage in Schleswig-Holstein, als auch bei einer Rede im Plenarsaal tragen kann.
FOGS: “Mode ist politisch” – das hört man in letzter Zeit immer öfter. Was sagst du dazu?
Delara Burkhardt: Solange Unternehmen Kleidung in der Europäischen Union verkaufen dürfen, unter deren Produktion Menschen gelitten haben und für die unsere Umwelt zerstört wurde, bleibt Mode politisch. Denn solange können Unternehmen weiterhin die Entscheidung an Verbraucher*innen abladen, ob sie zur Ausbeutung von Mensch und Natur beitragen wollen. Doch das sollte nicht so sein. Wir brauchen Gesetze, die Unternehmen für ihre Lieferketten in die Pflicht nehmen. Es ist falsch, dass wir als Verbraucher*innen Verantwortung für die Zerstörung und die Ausbeutung tragen, aus der Unternehmen ihren Profit erzielen. Also, ja: Noch ist Mode politisch.
FOGS: In Sachen Umwelt- und Klimapolitik gibt es immer wieder herbe Rückschläge. Wie verliert man bei solchen Nachrichten dennoch nicht die Hoffnung und den Kampfgeist?
Delara Burkhardt: Kürzlich konnten wir beispielsweise die Blockade beim Natur-Wiederherstellungsgesetz nun doch auflösen im Plenum des EU-Parlaments. Und das zeigt: Nichts ist in Stein gemeißelt. Politik kann immer Veränderung sein. Das treibt mich an. Denn: nur wenn man nicht kämpft, ändert sich nichts!
Bis 19. Juli könnt ihr die Initiative #GoodClothesFairPay noch unterzeichnen – jede Stimme zählt!