Sie flucht, kifft, macht nackt Yoga auf Onlyfans und schämt sich für nichts. Sie beschreibt sich selbst als schwarz, fett und queer. Jessamyn Stanley ist keine normale Yogalehrerin. Und genau das macht sie so sympathisch.
Bei meinem Gespräch mit Jessamyn ist es für mich bereits früher Abend. Sie ist auf der anderen Seite der Welt und startet gerade in ihren Tag. Die US-Amerikanerin brachte dieses Jahr ihr Buch Every Body Yoga auch auf den deutschen Markt. Darin erzählt sie von ihrem Weg zum Yoga, erklärt Posen und redet über Inklusion der Praxis.
FOGS: Jessamyn, wie sieht deine Beziehung zu Yoga aus?
Jessamyn Stanley: „Ich habe Yoga gehasst. Mit 16 Jahren bin ich mit meiner Tante zu einem Kurs gegangen. Ich habe mich sehr unwohl gefühlt. Ich war eine der dicksten und eine der einzig schwarzen Personen im Raum. Dann ein paar Jahre später, während einer meiner depressiveren Phasen hat mich eine Freundin erneut zu einem Kurs überredet. Ich dachte mir, ich mache das jetzt, damit sie Ruhe gibt. In diesem Kurs ist mir aufgefallen, wie oft ich mich runtermache, mir sage, dass ich etwas nicht kann und mich kritisiere. Ich habe mir nicht mal die Möglichkeit zum scheitern gegeben.
Was ist denn daran so schlimm, wenn ich aus einer Haltung falle? Mich blamiere? Nichts. Ich stehe auf und probiere es nochmal. Und dieser Moment hat sich nicht nur auf meine Yogapraxis, sondern auch auf meine Lebenseinstellung ausgewirkt. Genau das ist der Grund, warum ich dann schließlich doch zurück zum Yoga gekommen bin.“
FOGS: Was bedeutet Yoga für dich?
Jessamyn Stanley: „Es wird oft vergessen, dass Yoga mehr als nur eine Sportroutine ist. Es geht auch viel um Spiritualität. Diese wird häufig außen vor gelassen bei kommerziellen Yogapraktiken. Beides zusammen bedeutet für mich, dass man okay damit ist einfach da zu sein. Man versucht nichts zu ändern, sondern ist präsent in dem Moment. Es hat nichts damit zu tun wer man ist oder wie der Körper ausschaut. Und ich denke, dass ein großer Teil dessen, was Yoga wirklich ist, im inneren Teil der Identität, in Chaos-Punkten ruht. Wo nichts Sinn ergibt. Man sieht die Aspekte seines Selbst, die man nicht mag und versucht sie nicht zu verändern, sondern sie einfach zu akzeptieren. Nicht sie zu mögen, sondern nur mit diesen Teilen von sich selbst zu leben. Und jede Yoga-Stellung, jede Meditation und alles führt einen zu dieser Erkenntnis. Den Moment so zu akzeptieren, so wie er ist.“
FOGS: Wie bist du zu Instagram gekommen?
Jessamyn Stanley: „Ich habe angefangen zu posten, als die Yogagemeinschaft auf Instagram noch aus Lehrer:innen und Praktizierenden in ihrem Wohnzimmer bestand. Ich fühlte mich einsam auf meiner Matte daheim und wollte mich mit anderen Yogabegeisterten in Kontakt setzten, um eine Zugehörigkeit zu finden. Damals hatte ich auch noch gar nicht vor, Yogalehrerin zu werden und zu unterrichten. Als mein Account dann immer größer wurde habe ich angefangen, Kommentare zu bekommen wie: Ich wusste gar nicht, dass auch fette Menschen Yoga machen können. Aber warum denn nicht? Fette Menschen machen alle möglichen Dinge. Wir werden nur nicht gesehen.
Als ich dann immer mehr meiner Yogasequenzen geteilt habe, kamen häufiger Anfragen von überall auf der Welt, ob ich sie unterrichten könnte. Doch faktisch gesehen kann ich nicht überall gleichzeitig auf der Welt sein. So fing ich an The Underbelly, meine Onlineplattform zu gründen und Bücher zu schreiben. Für mich ist das Teilen meiner Yoga-Praxis im wahrsten Sinne des Wortes genau das. Ich teile nur mit, dass ich ein Mensch bin, der diese Praxis lebt. Ich glaube nicht, dass Yoga und die sozialen Medien natürlich zusammenpassen. Beim Yoga sucht man nach innen, um Antworten zu finden. Und in den sozialen Medien wird einem gesagt, man solle nach draußen schauen. An diesem Knotenpunkt gibt es also immer irgendeine Art von Konflikt.
Mit dem Wachsen meiner Follower:innen verspürte ich auch ein wachsendes Gefühl der Verantwortung. Die Pflicht, dass ich so authentisch wie möglich sein möchte und nicht das Klischees einer schwarzen, queeren, dicken Yogalehrerin zu repräsentieren. Beim Yoga geht es um Konflikte. Es geht darum, sich selbst radikal zu akzeptieren. Das bedeutet, dass ich alles sagen und tun werde, auch wenn es irritierend auf die Leute wirkt. Deshalb fluche ich, deshalb teile ich meine Praxis mit Marihuana und deshalb rede ich über Sexualität. Und das alles öffentlich auf Instagram.“
FOGS: Du beschreibst dich selber häufig als fett. Wie definierst du das Wort für dich?
Jessamyn Stanley: „Was bedeutet fett? Es bedeutet groß. Es handelt sich also nicht um eine Verurteilung und es sagt nichts darüber, wer man als Person ist. Wenn ich mich für dick halte, ist das einfach wahr. Ich bin groß. Das bedeutet nicht, dass ich dumm bin. Es ist nicht hässlich oder gibt mir keinen geringeren Wert. Wenn wir als Gesellschaft fett sagen, meinen wir manchmal nicht groß. Wir meinen hässlich oder dumm. Und all diese Worte haben nichts mit dem Fettsein zu tun. Denn ja, ich bin fett, ich bin auch schön, ich bin auch stark, klug, wertvoll und zu wissen, was das eigentlich bedeutet, ist ein großer Grund, warum ich das Wort fett verwende. Weil ich es für mich selbst definieren kann. Das Gleiche gilt für jede Art von Wort, mit dem jemand beleidigt wird. Man muss es sich einfach neu definieren.“
FOGS: Was würdest du jemanden raten, der neu mit Yoga anfangen möchte, sich aber noch nicht wohl in seinem eigenen Körper fühlt?
Jessamyn Stanley: „Alleine schon sich einzugestehen, dass man sich nicht wohl fühlt, ist ein super erster Schritt. Ich rate dazu, alle Emotionen mit auf die Matte zu nehmen. Für Yoga braucht es nämlich nicht viel. Am Anfang kann man auf einer uralten Yogamatte, von mir aus in seinem Schlafanzug zu Hause anfangen. Es gibt im Internet viele kostenlose Möglichkeiten auf YouTube, Blogs oder Instagram, denen man zu Beginn folgen kann. Und wenn es am Anfang nur eine Stellung ist wie zum Beispiel im Shavasana, wo man auf dem Rücken liegt, dann reicht das schon. Denn auch diese Pose sollte man nicht unterschätzen. Für mich ist sie eine der härtesten Übungen. Ich verspüre auf der Matte dann meist doch einen Bewegungsdrang. Darauf kann man dann aufbauen und sich seine eigene individuelle Praxis zusammenstellen, mit der man sich wohl fühlt.
Die Ironie hinter Yoga ist, dass man immer diesen ruhigen, entspannten Flow vor Augen hat. Wenn man sich dann aber wirklich mit den Übungen auseinandersetzt, merkt man, dass man doch schnell emotional wird oder die es körperlich sehr anstrengend sein kann. Wenn man jedoch in seiner Komfortzone zuhause anfängt, baut man ein gewisses Selbstbewusstsein auf. Das hilft um später vielleicht irgendwann in einem Studio oder in einer Gruppe zu praktizieren. Wichtig ist, auf der Matte anzukommen und das bedeutet nicht, dass es man sich immer gut fühlen muss. Es heißt, dass alles dort ist, wo es in dem Moment sein muss.
Es spielt wirklich keine Rolle, wie der Körper aussieht. Denn der eigene Körper wird sich im Laufe des Lebens viele Formen haben. Er verändert sich einfach ständig. Und Yoga ermöglicht es, das zu akzeptieren. Veränderung ist die einzige Konstante. Bring deine Last mit, bewegen dich durch die Posen und das wird helfen, deinen Körper zu akzeptieren.“
FOGS: Was machst du, wenn du dich nicht wohl in deinem Körper fühlst?
Jessamyn Stanley: „Ich versuche einfach, alle meine Emotionen zu fühlen, ohne sie zu verdrängen. Wenn ich mich in meinem Körper nicht wohl fühle, dann möchte ich das einfach spüren. Das Gefühl bis zur Vollendung zu spüren bedeutet, dass ich mit meinem Leben weitermachen kann und nicht von der Tatsache zurückgehalten werde, dass ich es nicht fühlen möchte. Manchmal denke ich, ich sollte meinen Körper nicht hassen, besonders wenn ich wirklich auf Körperakzeptanz oder Body Positivity aus bin. Dann kommt irgendwann der Punkt, an dem ich denke, ich mache einen schlechten Job, wenn es darum geht, meinen Körper zu lieben.
Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass wir dazu bestimmt sind, unseren Körper ständig zu lieben. Ich denke, manchmal sollte man seinen Körper hassen. Für mich ist es wirklich wichtig, einfach zu fühlen, wenn ich einen schlechten Tag habe. Ich akzeptiere meinen Körper so wie er ist. Das bedeutet nicht, dass ich immer glücklich bin. Doch dann arbeite ich an meiner Dankbarkeit. Denn es könnte so viel schlimmer sein. Mein Körper hat mich schon durch viele schwierige Situationen getragen und wird auch das schaffen. In solchen Momenten hilft es mir, mich daran zu erinnern.“
Every Body Yoga von Jessamyn Stanley ist auf deutsch bei Löwenzahn für 29 Euro erhältlich.
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