Es knackt im Unterholz, nicht weit von uns entfernt. Vielleicht ein Reh? Sonst ist an diesem Vormittag kein Geräusch zu hören, nur unsere Schritte auf dem Waldboden und entferntes Vogelgezwitscher. Ich bin mit Hans Steffner-Wallner unterwegs, den man getrost als Waldexperten bezeichnen kann. Hier im Salzburger Lungau, genauer gesagt im Örtchen Mauterndorf, führt er gemeinsam mit seiner Frau Hermi einen Gasthof, der dieses Jahr sein 1000-jähriges Bestehen feiert. Der Sinn für Tradition und Kultur ist es auch, was mich hierherführt. Die Region Lungau, deren 15 malerische Orte allesamt auf 1.000 Meter Seehöhe und mehr liegen, wurde mit der Auszeichnung „UNESCO Biosphärenpark Salzburger Lungau“ nämlich unter besonderen Schutz gestellt. Traditioneller Brauchtum wird hier gelebt und bewahrt.
In den Lungauer Wäldern
Während man im sogenannten Bauernherbst die landestypische Kulinarik zelebriert, hüllt sich die Natur in ein Farbenspiel aus goldenem Licht und orange-gelbem Laub. Bewaffnet mit einen Korb bekomme ich hier gerade meine Lehrstunde in Sachen Pilze, oder wie man sie in meiner Heimat Österreich nennt: Schwammerl. Das Schwammerlsuchen ist hierzulande eine Art Volkssport, den man in vielen Familien ernst nimmt. Keine Seltenheit, dass man besonders gute Plätze dafür geheim hält oder ein wenig flunkert bei der Auskunft. „Ja, jeder hat eben seine Platzln“, bestätigt Hans schmunzelnd. „Ich muss zugeben, es ist ärgerlich, wenn man Schwammerl selbst noch zum Reifen stehen lässt und sie am nächsten Tag plötzlich weg sind.“ Mit Schwammerl meint man hier jene schmackhaften Sorten, die man von Sommer bis Spätherbst findet: Parasol, Wiesenchampignon, Steinpilz, Herrenpilz und Pfifferling.
Sammelleidenschaft
Wie alle Outdoor-Aktivitäten wurde auch das Schwammerlsuchen in den letzten Jahren immer beliebter, das merkt man auch im Lungau. „Alle Schwammerl, die man hier in der Gastronomie bekommt, stammen auch aus der Region“, erklärt Hans, als wir uns den Weg durchs Geäst bahnen. „Die Gäste sind allerdings eher skeptisch und nehmen meist nur die bekannten Pfifferlinge mit. Wir haben regelmäßig Leute im Gasthof, die ihre Beute ganz begeistert am Fensterbrett trocknen“ erzählt er lächelnd. Und es stimmt: hat man die ersten entdeckt, stellt sich eine Euphorie ein, die man im Alltag so nicht mehr oft findet. Man wird wieder zum Jäger und Sammler, fernab vom Kühlregal.
Zwei Kilo Schwammerl darf man in der Region Lungau sammeln – sonst wird der Fund beschlagnahmt. Ein Resultat aus Zeiten, in denen Gastronom:innen aus Norditalien hier einreisten und organisiert und rigoros abernteten. Da dabei bis zu 100 Kilo Pilze pro Kofferraum abtransportiert wurden, musste man dem Einhalt gebieten.
Meditation im Wald
Hier auf einem kleinen Berg etwas außerhalb von Mauterndorf finden wir an diesem Vormittag Schwammerl in Hülle und Fülle. Es ist das Such-Revier meines heutigen Guides und das darf an dieser Stelle geheim bleiben. Denn die perfekten Plätze gibt man meist nur in der Familie weiter, manchmal sogar über Generationen. Was ist es aber, dass diese Tätigkeit so besonders macht? „Es ist einfach ein sinnvolles Hobby“ denkt Hans laut nach. „Du bewegst dich für ein paar Stunden in der Natur und hast am Ende auch noch ein gutes Essen für die ganze Familie.“ Tatsächlich hat das Ganze etwas Meditatives. Ich atme die frische Waldluft, genieße die Ruhe und bin ganz im Moment. Augen immer auf dem Boden und behutsam einen Schritt nach dem anderen, um die kleinen Bodenschätze nicht plattzutreten. „Im Sommer lege ich mich nach der Suche gerne hier in so ein Moosbett rein und schlafe eine halbe Stunde. Das ist ein Moment ganz für mich“, schwärmt mein Waldführer – und ich verstehe.
Den Schwammerl auf der Spur
Kleine Waldlichtungen, moosiger Boden, Halbschatten und gute Bodenfeuchtigkeit, so lerne ich, sind sichere Anzeichen für gute Schwammerlplätze. An geschützten, schattigen Standorten am Waldrand findet man im Herbst meist Steinpilze und Parasole. Pfifferlinge mögen’s versteckt unter Heidelbeer-Stauden. „Viele machen den Fehler, einfach alles mitzunehmen. Am besten lässt man aber ein paar stehen, damit sie nächstes Jahr an dieser Stelle wiederkommen“ sagt Hans, während wir ein paar der wilden Beeren naschen. „Es gibt Jahre, da gibt es bei uns kaum Schwammerl. Die brauchen es feucht und warm. Wenn es aber zu trocken ist, braucht der Boden die Flüssigkeit eher für alles andere.“
Auch heute sehen wir viele vertrocknete Pilze, die Sonne im Sommer war unbarmherzig. Durch Schädlinge wie den Nutzholzbohrer sind auch bereits einige Lichtungen entstanden. Der Schädling, der sich durch die Klimaerwärmung nun auch auf bis zu 2000 Höhenmetern wohlfühlt, kann einen Baum innerhalb eines Jahres zum Verdorren bringen. Mittlerweile ist man zur Wiederaufforstung sogar auf der Suche nach Baumsorten, die an das neue Klima besser angepasst sind.
Nachhaltiges Gleichgewicht Wald
Bei so viel Konzentration habe ich völlig die Orientierung verloren. „Wüsstest du noch, wo unser Auto steht?“, bemerkt Hans meine Blicke. Ehrlich gesagt, nein. Als Jäger kennt Hans diesen Wald natürlich wie seine Westentasche und zeigt auf die kleinen Wege neben uns, die ich für Wanderwege hielt. „Das sind Wildwechsel, also ausgetretene Pfade von Hirschen und Rehen. Sie nehmen meist die gleichen Wege und auf denen werden sie auch nicht gejagt. Folgst du so einem, kommst du irgendwann bestimmt auf eine Lichtung, die Orientierung bietet.“
Nickend trenne ich mit meinem kleinen Messer einen Pilzstamm ab, befreie ihn vom Moos und verscheuche einen Käfer. Den unteren Teil lassen wir im Wald, damit sich Samen und Sporen wieder verteilen und so neue Pilze entstehen. Dem harmonischen Gleichgewicht der Natur kommt man hier im Wald besonders nah. Alte Baumstämme werden von neuem Grün verschlungen und bieten Waldtieren und Insekten Unterschlupf. Und auch Hans selbst ist als Jäger ein Teil dieses Ökosystems, wie er erklärt: „Viele wissen nicht, dass es auch unsere Aufgabe ist, das Wild mit Futter zu versorgen. Wenn die Tiere nämlich nicht genügend Nährstoffe bekommen, knabbern sie im Winter die Rinden der Bäume ab. Die haben dann wiederum weniger Schutz vor Schädlingen.“ Das wir uns hier ruhig verhalten und nichts zurücklassen, versteht sich von selbst.
Mit vollem Korb nachhause
Mit erstaunlicher Zielsicherheit geht es noch eine Weile von einem Schwammerl-Fundort zum nächsten. Ganz gleich sind die Standorte nie, laut dem Experten entwickelt man aber ein Gefühl dafür. Und darum geht’s beim Schwammerlsuchen schlussendlich auch: ums Gefühl. Ganz gleich, ob man sich alleine wieder mit der Natur verbinden oder ein paar Stunden Zeit mit einem lieben Menschen verbringen möchte. Oft ist das gemeinsame Suchen auch etwas zwischen Großeltern und Enkelkindern, um Wissen und Tradition weiterzugeben. „Ich habe selbst oft nicht genug Zeit dafür. Fürs Gasthaus haben wir einige Damen aus dem Ort, die uns gerne Pilze mitbringen“, sagt Hans, als wir wieder im Auto sitzen. „Aber, wenn ich welche sehe, kann ich natürlich auch nicht anders, als sie zu pflücken.“ Und ich kann ihm nur zustimmen – hat man einmal angefangen, kann man nicht mehr aufhören. Es ist wie eine Schatzsuche.
Mehr über heimische Pilzsorten lest ihr in unserer aktuellen Ausgabe.
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