Ein Souvenir aus dem letzten Urlaub, das Erbstück der geliebten Großmutter oder ein Designer-Piece, das man sich mühsam erspart hat: Einrichtung vermag es, ganz ohne Sprache persönliche Geschichten zu erzählen. Und so müssen sich auch Kunstwerke nicht nur auf Leinwände beschränken, sondern können auch in ganz anderer Form daherkommen – als Teppich zum Beispiel. Das dachte sich auch die junge Deutsche Unternehmerin Hannah Vagedes, als sie 2019 für ein Sabbatical nach Nepal reiste. Dort, auf rund 2000 Höhenmetern im Himalaja kam es zu einer schicksalhaften Begegnung: Hannah lernte die belgische Künstlerin Charlotte Culot kennen. Schnell wurde klar, dass man dasselbe Verständnis von Kunst und Unternehmertum hatte und so kam es, das die beiden das Label Maison Rhizomes gründeten. Ihre Mission: Charlottes Kunstwerke auf handgeknüpfte Teppiche zu übertragen, mit den höchsten Ansprüchen auf Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette. Warum sich Maison Rhizomes dennoch nicht als ein Interiorlabel definiert und welche Emotionen ihre Werke auslösen sollen, erzählen uns die beiden im Interview.
FOGS: Charlotte, wie kam die Entscheidung, deine Kunst auf Teppiche zu bannen?
Charlotte Culot: „Was wir der Einfachheit halber ‘Teppich’ nennen, würde ich stattdessen eher als Kunstwerk bezeichnen. Denn jedes Werk ist in meinen Augen ein kleines Wunder, das am Ende ein Totum bildet. Also eine kleine Welt für sich. Dieses gewebte Kunstwerk ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von drei sich ergänzenden Reichen. Die Rohstoffe bilden das Tierreich ab: Schafe, die in großen Höhen im Himalaya leben und edle Seidenfäden, die aus Indien und China stammen. Das Pflanzenreich: Leinen und Hanf. Und schließlich das Menschenreich mit den Weber- und Färberfamilien, den Männern und Frauen, die Wolle und Seide spinnen, den Designer:innen, bis hin zum Lieferdienst, der den Teppich vor der Haustür abliefert. Alle haben auf eine Weise Kunst in dieses Werk einfließen lassen. Jeder Teppich ist in meinen Augen damit wie ein einzigartiges Gemälde.“
FOGS: Welche Emotionen wollt ihr damit hervorrufen?
Charlotte Culot: „Wir wollen, dass man dieses Objekt als ein lebendiges Kunstwerk betrachtet, das Energie abgibt. Auch das Berühren ist Teil der Erfahrung: Die Naturfasern bringen Wärme, Komfort und das Gefühl von Verbindung mit der Natur mit sich. Der Effekt, den wir anstreben, ist das Gefühl der Zugehörigkeit zu etwas Lebendigem, das atmet, wie ein Organismus.“
FOGS: Könnt ihr uns etwas über den Prozess erzählen, wie ihr Ideen von der Inspiration bis zur Fertigstellung umsetzt?
Hannah Vagedes: „Unsere Kollektion ist eine direkte Fortsetzung der künstlerischen Arbeit von Charlotte und seit Kurzem des französischen Malers Ludovic Philippon. Wir verwenden ihre Gemälde als Grundlage für unsere Teppichdesigns und schaffen damit eine nahtlose Erweiterung des Kunstwerks selbst. Motive stammen entweder aus dem Archiv der Künstler:innen oder einer spontanen Neukreation. Nach der Motivwahl beginnt die Arbeit unserer Designerin Perrine Blaise. Diese ist für die Transformation von Bild zu Teppich verantwortlich.“
„Der Prozess beinhaltet die Auswahl der Farben, die Festlegung der Florhöhen, die Mischung der Materialien und steht im enger Zusammenarbeit mit der Manufaktur in Nepal. Meist dauert es zwei bis drei Sample-Runden bis der Teppich final in die Produktion kommt. Generell fertigen wir auf Bestellung und fokussieren uns mehr und mehr auf Sammelbestellungen, um Materialverlust zu vermeiden. Der Fertigungsprozess dauert 14-16 Wochen, je nach Größe des Teppichs und Verfügbarkeiten der Materialien.“
FOGS: Eine lange Zeitspanne, vor allem in Zeiten, wo alles immer schneller gehen muss.
Hannah Vagedes: „Wie Charlotte erwähnte, verstehen wir den Prozess als ein „Totum“, ein Gesamtkunstwerk, an dem viele unsichtbare Hände beteiligt sind. Wenn wir von einer Produktionszeit von 14-16 Wochen sprechen, beinhaltet dies nicht allein das Sammeln der Materialen und die Verarbeitung. Es handelt sich um einen umfangreichen Fertigungsprozess: Das Spinnen der Fäden, Färben, Knüpfen, Waschen, Trocknen und die Feinverarbeitung. Allein das Knüpfen nimmt ca. 5-6 Wochen in Anspruch und wird von nur zwei Personen erledigt. Nachdem all dies passiert ist, werden die Teppiche aus Nepal nach Berlin versendet, wo wir die Qualitätskontrolle durchführen und ab dort zu unserer Kundschaft weltweit zu versenden.“
FOGS: Welche Materialien bevorzugt ihr und warum?
Hannah Vagedes: „Wir verwenden ausschließlich Naturmaterialien, wie Seide, Wolle, Leinen und Hanf. Unsere Teppiche werden alle in einer kleinen buddhistischen Manufaktur in Nepal hergestellt, wo wir hochwertige Wolle mit Maulbeerseide mischen. Diese stammt von Seidenraupen, die sich ausschließlich von Maulbeerblättern ernähren. Das führt zu einer erstklassigen Seide mit ausgezeichneter Faserstruktur. Erfahrene Handwerker:innen spinnen diese per Hand zu Garn. Das Mischen dieser dicken und dünnen Garne schafft eine besondere Textur.“
„Die Materialen und ihre Gewichtung sind auch ein essentieller Faktor für die richtige Umsetzung des Kunstwerkes. Unsere Werke aus der “Beige/White Collection” haben einen höheren Leinen Anteil, um die richtige Balance der monochromen Töne zu erzielen. Der hohe Seidenanteil in unserem Design „Milky Way“ unterstreicht wiederum die Eleganz des Werkes. Unser neustes Werk des französischen Künstlers Ludovic Philippon besteht aus 100% neuseeländischer Merinowolle, weil diese den Spirit des Originalkunstwerkes am besten wiedergibt.“
FOGS: Charlotte, wie siehst du die Beziehung zwischen traditioneller Handwerkskunst und zeitgenössischer Kunst in Bezug auf deine Arbeit?
Charlotte Culot: „Ich unterscheide nicht zwischen Handwerkskunst und zeitgenössischer Kunst. Ich mache keinen Unterschied zwischen den beiden, da ich Kunsthandwerk als Kunst und Kunst als Kunsthandwerk betrachte. Ich lehne das Argument ab, dass das eine mehr wert ist, als das andere. Für mich ist alles Kunst – absolut alles.“
FOGS: Kannst du uns von einem Teppichmotiv erzählen, das einen besonders emotionalen Bezug für dich hat?
Charlotte Culot: „Der ‘Rhizomes 4 colourful’ verbindet mich mit dem Werk des Architekten Le Corbusier. Er hat selbst Kartons für Wandteppiche gemalt und diese haben mich dazu inspiriert, meinen ersten Teppich zu entwerfen. Das war im Jahr 2018. Der ‘Rhizome 6: “Pomme d’or’ ist eine Hommage an die Künstlerin Etel Adnan und den Maler Pierre Bonnard, der der rebellischen Pariser Kunstgruppe Nabis angehörte. Zwei meiner Lieblingsmaler:innen, denen ich in meiner künstlerischen Entwicklung viel zu verdanken habe.“
FOGS: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei Maison Rhizomes?
Hannah Vagedes: „Eine Zentrale! Unsere Teppiche werden auf die gleiche Weise hergestellt, wie es seit Jahrhunderten üblich ist. Ein Prozess, der von Natur aus umweltfreundlich ist. Unsere Weber:innen sind ein wesentlicher Bestandteil unseres Unternehmens. Ohne ihr Engagement und Talent würde keines unserer Designs existieren. Deshalb setzen wir uns dafür ein, einen sicheren Arbeitsplatz für sie zu schaffen. Als Mitglied der Goodweave Foundation, einer international anerkannten Instanz, die für soziale Verantwortung in der Branche steht, verpflichtet sich unsere Manufaktur zu sozialem Engagement. Dies geht einher mit einer strikten Politik gegen Kinderarbeit und jährlichen Inspektionen unserer Einrichtungen. Tatsächlich wird diese von Goodweave oft als Vorbild für andere Betriebe angeführt. Zum Färben unserer Materialien nutzen wir ausschließlich chemisch unbedenkliche Schweizer Farbstoffe. Darüber hinaus stellen wir unseren Angestellten unentgeltlich wichtige Annehmlichkeiten wie Wohnräume, Strom und sauberes Wasser zur Verfügung.“
FOGS: Gibt es einen Bereich, in dem es noch Verbesserungspotential gibt?
Hannah Vagedes: „Ja, der Versand und die Verpackung unsere Teppiche. Als kleines Unternehmen fehlen uns an dieser Stelle noch die Ressourcen, alternative Methoden und Möglichkeiten umzusetzen. Wir sind aber bestrebt, die Nachhaltigkeit unserer Produkte und Prozesse in Zukunft noch weiter zu fördern. Indem wir unsere Teppiche als Kunstwerke betrachten, hoffen wir, dass sie über Generationen weitergegeben werden und ihnen so ein langlebiger Lebenszyklus gewährt wird.“
FOGS: Gibt es eine bestimmte Botschaft, die ihr durch eure Teppichkunstwerke vermitteln möchtet?
Hannah Vagedes: „Jedes Werk hat seine ganz individuelle Stimmung und Wirkung, welche natürlich auch abhängig ist vom Raum, in dem es sich befindet. Zusätzlich ist es aber auch immer eine Frage des Betrachtens. Wir wünschen uns, dass sich unsere Kundschaft für unsere Arbeiten aufgrund einer emotionalen Reaktion in ihnen entscheiden und nicht, weil es einfach nur gut in ihre Inneneinrichtung passt. Am Ende zählt allerdings nur eins: wir möchten ein Zuhause persönlicher machen.“
Bildmaterial: © Maison Rhizomes