Mode aus Textilabfällen: Gemeinsam mit seinem Freund und BWLer Michael Pfeifer gründete der Designer Nils Neubauer im April 2020 das Label Moot – made out of trash. Im Interview spricht der Designer über das einzigartige Upcycling-Konzept, die Probleme der Textilindustrie und dass Kreativität nichts mit bestimmten Materialien zu tun hat.
Am ersten April letzten Jahres seid ihr mit eurem unternehmen Moot gestartet. Was ist euer Konzept?
Der Kern von Moot ist es, Mode aus Textilabfällen zu erschaffen. Wir bekommen von Einrichtungen wie der Geotech-Sortierung in Niedersachsen, der Deutschen Kleiderstiftung, dem Deutschen Roten Kreuz oder vom Unionhilfswerk Berlin, Textilabfälle. Normalerweise werden diese sortiert und weggeschmissen. Wir zahlen einen recht fairen Kilopreis, der dann direkt der Obdachlosenhilfe zugute kommt. In der Geotuch-Sortierung in Niedersachsen werden zum Beispiel jede Woche 400 Tonnen Textilien aussortiert. Die meisten davon werden weggeworfen. Wir holen etwa alle paar Monate 100-200 Kilo ab. 80 Prozent davon verwerten wir weiter.

Nehmt ihr Bedürftigen dann die Klamotten weg?
Nein, das ist ein kompletter Irrglaube. Man muss sich bewusst sein, dass alles, was man irgendwann mal gekauft hat letztendlich in so einer Sortierung landen wird. Man denkt ja, es ist eine gute Tat, wenn man seine Kleidung in die Altkleidercontainer wirft. Tatsächlich ist diese Masse an Textilien in den letzten Jahren aber so groß geworden, dass fast alles im Müll landet oder downgecycelt wird. Das bedeutet im besten Fall, dass aus alten Baumwollstoffen Dämmmaterial oder Putzlappen werden. Im Schlimmsten Fall wird es verbrannt, so wie fast alles, worin Polyester enthalten ist. Übrigens nutzen viele die Textilcontainer als illegale Müllentsorgung. Die Leute die dort arbeiten haben mir erzählt, dass sie regelmäßig Giftabfälle oder auch Tierkadaver darin finden. Dann kann man die ganze Füllung sowieso komplett entsorgen.
Was wollt ihr mit eurem Label erreichen?
Wir wollen ein Gefühl dafür schaffen, was es bedeutet, seine Klamotten dort zu entsorgen. Das ist nichts Wohltätiges, sondern eher wie eine Papiermülltonne. Wir sind uns bewusst, dass auch unsere Mode mal in diesen Containern landen wird, aber immerhin war sie schon einmal da. Wir verwenden deshalb ausschließlich diese Stoffe für unsere Klamotten. Das eröffnet neue Welten, schränkt einen gleichzeitig aber auch ein.

Inwiefern?
Normalerweise lernt man als Modedesigner, seine Ideen auf ein leeres Blatt zu bringen. Man geht mit seinen Vorstellungen in den Stoffladen und kauft dort alles, was man braucht. Ich schaue, was ich bekomme, und erst dann überlege ich mir, was ich daraus machen kann. Unsere Klamotten sind Unikate. Wenn ich zum Beispiel aus einer Decke einen Mantel fertige, gibt es den so nur einmal. Wir arbeiten nur mit der Textilfläche, die wir haben, Schere, Faden und Nähmaschine. Bei uns wird nichts gepresst oder geschreddert. Manchmal färben wir T-Shirts mit natürlichen Farben schwarz. Das ist allerdings die Ausnahme. Vorhänge werden zu Hosen, aus Sofa- und Kissenbezügen Beutel und Taschen. Aus alten Wolldecken und Bettwäsche machen wir T-Shirts, Longsleeves und Jacken.
Was spart ihr an Emissionen ein?
Unsere Produkte legen nur rund drei Prozent der Wegstrecke eines herkömmlich produzierten Kleidungsstücks zurück. Das entspricht eher dem Wochenendbesuch bei den Großeltern, anstatt einer Reise um die ganze Welt. Um zum Beispiel ein komplett neues T-Shirt zu produzieren, benötigt man rund 2.000 Liter Wasser. Das ist der Bedarf an Trinkwasser eines Erwachsenen für drei Jahre. Auch beim CO2 Ausstoß sieht es nicht besser aus. Die gesamte Textilproduktion weltweit stößt genauso viel davon aus wie Flug- und Schiffsverkehr zusammen. Fast Fashion ist für mich Überkonsum, ökologische Katastrophen und inhumane Arbeitsbedingungen. Das gibt es bei uns alles nicht. Jedes MOOT-Produkt ist ein Unikat. Als „Eselsbrücke“ sage ich unseren Kund*Innen häufig: Upcycling bedeutet immer Unikat. Das ist daher wichtig, da Kund*Innen sonst Produkte auf Kampagnen-Bildern sehen und sich genau dieses Produkt wünschen, was dann aber meist schon verkauft wurde. Bei uns gibt es auch keine klassischen Saisonen.

Was hat dich bei eurer Arbeit angetrieben?
Ich wollte als Designer die nachhaltigste Form der Bekleidungsherstellung. Das funktioniert einfach nur, wenn man bestehendes Material verwendet und nicht mit Einsatz von Chemikalien, Wärme und Druck verändert. Das haben ja unsere Großeltern schon gemacht. So entstand auch die sogenannte Ballonseide. Da wurden aus alten Fallschirmen Jacken genäht. In unserem ganzen Überkonsum gingen solche Traditionen komplett verloren. Beim herkömmlichen Recycling, zum Beispiel einer Jeans, muss man erst einmal eine ohne Elasthan finden. Dann muss man diese schreddern, die einzelnen Fasern neu verweben, und einen Anteil von etwa 40 Prozent neuer Fäden hinzugeben, weil sie sonst Auseinanderfallen würde. Der Prozess ist zwar nachhaltiger als herkömmliche Herstellung, aber trotzdem mit viel neuen Ressourcen verbunden.
Fühlst du dich in deiner Kreativität manchmal eingeschränkt?
Es ist ein ganz anderer Designprozess. Ich bin eher ein Re-Designer als ein Modedesigner. Ich zeichne auch nicht wirklich, sondern drapiere mit Moodboards die Stoffe, die ich bekomme. Manchmal fühle ich mich eingeschränkt, weil ich kein gewisses Sortiment anbieten kann. Gleichzeitig bin ich froh um Eingrenzung. Mich hat es immer überfordert, ganz ohne Input irgendetwas auf ein blankes Papier bringen zu müssen.

Spürbarer Luxus, der nach 40 Jahren zur Tradition geworden ist, findest du in dem Label to watch über Humanoid.