Von wem wird das, was wir täglich am Körper tragen, eigentlich hergestellt? Wie werden diese Menschen bezahlt? Und was steckt da eigentlich genau drin? Ethische und ökologische Nachhaltigkeit ist längst ein zentrales Thema in der Modebranche und Fragen wie diese fließen für viele Konsument*innen in die Kaufentscheidung ein. Doch während T-Shirts und Jeans immer häufiger mit Bio-Siegeln locken, bleibt die Schuhindustrie in der öffentlichen Wahrnehmung oft außen vor. Der Preis spielt da tatsächlich nur eine Nebenrolle, denn die beliebtesten Labels sind oft sogar teurer als nachhaltigere Alternativen. Logos werden zu Statussymbolen, die negative Schlagzeilen rund um schlechte Produktionsbedingungen oder Kinderarbeit schnell verdrängen.
Das Gefühl dafür, welcher Schuh nun gut verarbeitet ist und welcher schlecht, geht mehr und mehr verloren. Dabei ist gerade hier die Herstellung besonders komplex: Ein einzelner Schuh besteht aus Dutzenden Materialien, darunter Leder, Gummi, Klebstoffe und textile Komponenten. Die Herausforderungen sind entsprechend vielfältig – und die Lösungen nicht immer eindeutig. Ein Hersteller, der sich seit Jahrzehnten mit diesem Thema auseinandersetzt, ist das Unternehmen Think! aus Oberösterreich.

Ein Blick hinter die Kulissen der Schuhbranche
Wenn Christoph Mayer von Think! über Nachhaltigkeit spricht, klingt das nicht nach Marketing – sondern nach Überzeugung. Der Lead-Designer und Geschäftsführer der Marke spricht offen über die Hürden, aber auch über konkrete Ansätze, die zeigen, wie so eine Schuhproduktion aussehen kann – jenseits von Greenwashing und oberflächlichen Versprechen. Seit über 30 Jahren produziert das österreichische Unternehmen Schuhe, die nicht nur bequem, sondern vor allem gesund und langlebig sein sollen. „Think wurde Anfang der 90er in Kopfing im Innkreis von Martin Koller, Sohn einer traditionsreichen Schuhmacherfamilie mit der Idee einer nachhaltigen Schuhmarke gegründet. Zu einer Zeit also, in der es das Wort Nachhaltigkeit gefühlt noch gar nicht gegeben hat“, erzählt Mayer. Damals schon stellte sich das Unternehmen eine Frage, die heute aktueller ist denn je: Wie kann man schöne Schuhe machen, die gesund für uns sind? Und gesund heißt hier: kein Chrom im Leder, keine Schadstoffe auf der Haut, möglichst reparierbar, langlebig und ressourcenschonend. Was heute als “Slow Fashion” ein Begriff ist, war bei Think von Anfang an Teil der DNA.
Zwischen Ledergerbung und Lebensdauer
Ein zentrales Thema dabei ist das Material, insbesondere das Leder. Während viele Labels aus Kostengründen auf konventionell gegerbtes Leder setzen, das häufig Chrom VI enthält (ein Stoff, der bei unsachgemäßer Verarbeitung gesundheitsschädlich sein kann), arbeitet Think! seit langem mit pflanzlichem, also chromfrei gegerbtem Leder. Das neueste Gerbverfahren Zeology® z.B. basiert auf dem Mineralstoff Zeolith, spart Wasser und macht Schuhe besonders langlebig. „Im Moment sind ungefähr 85 Prozent der Modelle in unserer Kollektion komplett chromfrei“, erklärt der gelernte Schuhmacher. Das sei aufwendiger und teurer, aber Teil der Firmenphilosophie: „Jene Teile, die noch chromgegerbt sind, haben nie direkten Kontakt mit der Haut, das ist uns wichtig.“
Ein weiterer Schwerpunkt: Langlebigkeit. Schuhe von Think! sind in weiten Teilen reparierbar, Sohlen können ausgetauscht werden – ein bewusster Gegenentwurf zur Wegwerfmentalität vieler Fast-Fashion-Produkte. Allein am Firmensitz in Kopfing werden jährlich rund 1.500 Reparaturen durchgeführt – oft von Modellen, die schon viele Jahre auf dem Buckel haben. „Da sehe ich regelmäßig so alte Modelle, die selbst ich in meinen elf Jahren hier noch nie gesehen habe. Sie werden eben geliebt und somit auch gehegt und gepflegt“, so Christoph Mayer.

Made in Europe
Transparenz und Regionalität spielen ebenfalls eine große Rolle und sind alles andere als selbstverständlich in der Schuhbranche. Laut Geschäftsführer Mayer aber kein Problem, wenn man einfach nichts zu verbergen hat. Entworfen werden Think!-Schuhe in Österreich, produziert ausschließlich in Bosnien, Italien, Ungarn und Rumänien, gemeinsam mit langjährigen Partnerbetrieben. Bis zu 200 Arbeitsschritte per Hand sind für einen Schuh nötig. Die Materialien stammen laut Unternehmensangaben zu 100 Prozent aus Europa: von der Ledersohle über das Futter bis zu kleineren Schmuckteilen. Auch bei den Sohlen geht Think! eigene Wege: Statt billiger Kunststoffmischungen setzt man vermehrt auf Naturmaterialien wie zertifizierten Naturlatex. Die Sohlen werden individuell für jedes Modell in Kopfing entwickelt und sollen flexibel, langlebig und im Winter rutschfest sein – und eben: austauschbar.
Recycelt, vegan oder natürlich?
Doch auch Think! steht immer wieder vor Grundsatzfragen. Etwa beim Thema Recycling: Viele als „nachhaltig“ beworbene Materialien basieren auf recycelten Kunststoffen wie PET oder Polyester. Mayer sieht das kritisch: „Es ist besser als nichts, natürlich. Aber sobald etwa eine PET-Flasche in einen Schuh verwandelt wird, kann sie danach nicht mehr recycelt werden. Sie geht für den Kreislauf verloren.“ Hinzu kommt: Tragekomfort, Fußklima, Atmungsaktivität – all das sei mit natürlichen Materialien oft besser erreichbar als mit Kunststoffen, so der Schuhexperte. Projekte wie „Plastik aus dem Meer“ habe man geprüft, aber wieder verworfen: Zu unausgereift, zu hoher Anteil an neuem Kunststoff nötig, um das Material verarbeitbar zu machen.
Der Hauptgrund dafür ist aber auch, dass man tierisches Leder als sinnvollsten Rohstoff sieht. Zwar ein großer Diskussionspunkt in der Branche, hält Think! am Material fest – allerdings nur unter strengen Bedingungen: „Für Leder muss – im besten aller Fälle natürlich – kein Tier extra gezüchtet und getötet werden. Es ist ein Abfallprodukt der Lebensmittelindustrie, das veredelt wird“, sagt Mayer. Der Ansatz: Verwertung statt Vernichtung. Vegane Alternativen wie Ananas- oder Kaktusleder seien zwar interessant, kommen aber oft aus Übersee, mit entsprechend langen Transportwegen und hätten teilweise eine fragwürdige Haltbarkeit. Gleichzeitig räumt Mayer ein, dass 100% vegane Schuhe schwer umzusetzen sind – etwa weil manche Trennmittel bei der Korkfußbett-Herstellung tierischen Ursprungs sind. Halbe Lösungen will man nicht anbieten: Wenn vegan, dann konsequent. Noch sei man nicht so weit, arbeite aber daran.


Ansatzpunkte für ein nachhaltige Schuhbranche
Dass das Leder tatsächlich ein gerettetes Abfallprodukt ist und alle Prozesse so umweltfreundlich wie möglich ablaufen, wird durch regelmäßige Kontrollen sichergestellt. Alle Partnerbetriebe sind bekannt, und man steht in engem Kontakt. Think! ist außerdem der erste Schuhhersteller mit dem Österreichischen Umweltzeichen (2015) und dem Blauen Engel (seit 2017). Über 50 Modelle tragen inzwischen diese Auszeichnungen. Darüber hinaus engagiert sich das Unternehmen in regionalen Naturschutzprojekten, etwa im Bienenschutz oder in Kooperationen mit der Lebenshilfe. Auch in den kleinen Dingen zeigt sich der Anspruch: FSC-zertifiziertes Papier in Kartons, plastikfreie Verpackungsklebebänder, Ökostrom am Hauptstandort und der Verzicht auf unnötige Transportkartons innerhalb der Lieferkette.

Ein Blick nach vorn
Ob Think! mit seiner Philosophie in der Nische bleibt oder zur Blaupause wird, ist offen. Christoph Mayer ist positiv gestimmt und glaubt daran, dass sich der Markt weiter verändern wird und vergleicht ihn mit der Entwicklung von Bio-Produkten im Supermarkt: „Früher war das ein Regal – heute ist es der halbe Supermarkt. So wird es auch mit nachhaltiger Mode bzw. Schuhen sein.“ Doch die entscheidende Frage bleibt: Wie umweltfreundlich ist das „nachhaltige“ Produkt wirklich? Und wie lässt sich das für Verbraucher*innen überhaupt erkennen? Die Herausforderung: genau hinsehen. Denn viele Produkte tragen mittlerweile ein grünes Etikett, ohne es zu verdienen. Ein Punkt steht fest: Wer Schuhe möglichst lange trägt, sie reparieren lässt statt ersetzt und beim Kauf auf Herkunft, Materialien und Verarbeitung achtet, ist schon einen großen Schritt weiter.
Apropos nachhaltige Materialien: Hier erfahrt ihr, was es mit Kleidung aus Menschenhaar auf sich hat.