Mit über drei Milliarden Euro Umsatz pro Jahr gehört Tchibo zu den ganz Großen in Deutschland. Vor circa 16 Jahren begann das Familienunternehmen seinen Kurs in Richtung Nachhaltigkeit und wurde 2016 durch die Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreises als nachhaltigstes Großunternehmen ausgezeichnet. Mit der neuen Modelinie NAH/STUDIO möchte Tchibo noch einen Schritt weiter gehen: Als kleiner Satellit im Tchibo–Kosmos, sollen die nachhaltig produzierten Kollektionen als eine Art Pilotprojekt fungieren, um den Weg für eine noch verantwortungsvollere und transparentere Produktion zu ebnen – entlang der ganzen Lieferkette.
Katja Meistes ist Teamleiterin von NAH/STUDIO und sprach mit FOGS über die Visionen und Ziele der nachhaltigen Modemarke.
Frau Meistes, wieso hat sich Tchibo entschieden, diese besonders nachhaltige Linie unter dem Namen NAH/STUDIO zu launchen und nicht unter dem Namen Tchibo?
Tchibo engagiert sich seit 2006 in Sachen Nachhaltigkeit. Wir versuchen alle Prozesse und Lieferketten so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Wir verwenden mittlerweile 98 Prozent organische Baumwolle, viele recycelte Kunststoffe und haben auch Plastik weitestgehend aus unseren Verpackungen verbannt. Aber Tchibo steht primär für Heimtextilien, Bettwäsche und Sportkleidung. Dabei spricht das Sortiment eine relativ breite Zielgruppe an. Mit NAH/STUDIO möchten wir explizit eine designorientiertere und nachhaltig interessierte Zielgruppe erschließen. Deshalb sind die Designs von NAH/STUDIO wesentlich moderner und „designiger“.
Was unterscheidet NAH/STUDIO von der großen Schwester Tchibo?
Wir haben das Glück, dass wir auf alle Erfahrungen, Kompetenzen und Bereiche von Tchibo zurückgreifen, gleichzeitig aber auch sehr selbstständig agieren können.
Die Arbeit als kleines Tochterunternehmen mit überschaubarem Team erlaubt uns, Dinge auszuprobieren, die wir mit dem Mutterkonzern nicht so schnell umsetzen könnten. Wir sind sozusagen das kleine Speedboot, während Tchibo das Dampfschiff ist. So können wir im Kleinen testen, was funktioniert. Ziel ist es, diese Lösungsansätze später auf die Prozesse des gesamten Unternehmens umzulegen.
Wenn sie vom Nachhaltigkeits-Engagement von Tchibo sprechen: Was wurde in den letzten Jahren konkret getan, um nachhaltige Entwicklungen zu fördern?
Das ist ein sehr umfangreiches Thema. Unser Nachhaltigkeitsteam bei Tchibo besteht derzeit aus über 50 Mitarbeiter:innen.
Nachhaltigkeit bedeutet ökonomische, soziale und ökologische Verantwortung. Insgesamt konnten wir die Emissionen gegenüber unserem Basisjahr 2018 um 14 Prozent reduzieren. Bis 2030 wollen wir unseren CO2-Ausstoss halbieren. Bei Lieferant:innen soll eine Reduktion von 15 Prozent erreicht werden. Um die Umwelt zu schützen, sind wir bemüht, unseren CO2-Ausstoß auf ein Minimum zu reduzieren. In den letzten Jahren haben wir es geschafft, 13 Prozent einzusparen. Hier in Hamburg ist das relativ einfach, denn wir konnten schon durch die Umstellung auf erneuerbare Energien in unseren Röstereien viel erreichen. Auch in Bangladesch haben wir angefangen, Fabriken mit Solarpanels auszustatten.
Genau wie beim Kaffee achten wir auch bei unseren textilen Rohstoffen darauf, dass sie aus verantwortlichem Anbau stammen. Um dies bei Baumwolle zu gewährleisten, arbeiten wir eng mit Fairtrade und mit den Farmer:innen auf den indischen Feldern zusammen. Die Menge an Bio-Baumwolle beispielsweise, die wir für unsere Produktion brauchen, ist nicht selbstverständlich verfügbar. Daher engagieren wir uns gemeinsam mit der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) und Fairtrade vor Ort, um Farmer:innen den Umstieg auf Bio-Baumwolle zu erleichtern.
Katja Meistes (she/her) | Head of NonFood Lab/Sustainable Collections arbeitet seit acht Jahren bei Tchibo. Sie begann ihre Karriere in der Brand Kommunikation und leitet seit zwei Jahren das zehnköpfige, interdisziplinäre Team von NAH/STUDIO.
Bei Tchibo liegt der Anteil der recycelten Kunstfasern mittlerweile bei 30 Prozent. Und im Non-Food-Bereich haben wir Plastik weitgehend aus allen Verpackungen verbannt. Aktuell versuchen wir entsprechende Kaffee-Verpackungen zu entwickeln, die ohne Aluminium und Plastik auskommen. In unserem Online-Shop haben wir Mehrweg-Verpackungen getestet. Die Kund:innen können ihre Verpackungen zurückschicken und wir verwenden diese weiter. Das wurde sehr gut angenommen. Dieses Projekt wird voraussichtlich im Herbst groß ausgerollt.
In unserem Circular Lab wird außerdem explizit daran geforscht, wie wir unsere Rohstoffkreisläufe optimieren, neu denken und letzten Endes schließen können.
Was die soziale Verantwortung angeht, möchten wir uns nicht nur auf die Audits verlassen, sondern die Arbeiter:innen in den Fabriken befähigen, für sich selbst zu sprechen. Deshalb haben wir unser eigenes Menschenrechtsprogramm WE ins Leben gerufen, mit dem wir die Gewerkschaftsfreiheit in all unseren Fabriken fördern. Hier arbeiten wir eng mit der Dachgewerkschaft IndustriALL zusammen. Wir veranstalten Workshops mit Fabrik-Direktor:innen und Arbeiter:innen und haben schon sehr viel erreicht, gerade im Bereich sexuelle Belästigung, Überstunden oder der Einrichtung zentraler Pausenräume.
Wie sieht es mit den Transparenzen in den Lieferketten aus?
Das ist eine echte Herausforderung. Für Tchibo ist das sehr wichtig, aber teilweise gar nicht so einfach umzusetzen. Unsere Partnerunternehmen in anderen Ländern sind diese Art zu arbeiten nicht unbedingt gewöhnt. Die Informationen über deren Lieferketten sind Teil deren Kapitals. Jetzt sollen sie diese auf einmal offenlegen. Hier muss man behutsam vorgehen und Überzeugungs- und auch Aufklärungsarbeit leisten.
Bei NAH/STUDIO legen wir natürlich den Ursprung des Materials und – soweit wir das Einverständnis von ihnen bekommen haben – die Herstellerunternehmen unserer Produkte offen. Neben dem transparenten Darlegen der Materialien der Produktbestandteile, wie das Garn, leisten wir mit der Transparenz über unsere Partnerunternehmen einen großen Beitrag zu transparenteren Lieferketten.
Welchen Beitrag leistet NAH/STUDIO, um die Nachhaltigkeit bei Tchibo zu fördern?
Mit NAH/STUDIO können wir Projekte und Partnerschaften aufbauen, um diese später auf den Mutterkonzern zu skalieren.
Ein Projekt, das NAH/STUDIO sehr stark vorantreibt, heißt Cotton in Conversion. Dieses Projekt garantiert Farmer:innen in Indien, die auf den Anbau von Bio-Baumwolle umstellen wollen, in den drei Jahren der Umstrukturierung die Abnahme der noch nicht zertifizierten Baumwolle zu Biobaumwoll-Preisen. Damit möchten wir unsere Partner:innen ermutigen, diesen Schritt und die damit verbundenen Investitionen zu wagen.
Die Kooperative Chetna in Indien stellt nur alleinerziehende Frauen aus der unteren Kaste ein. Damit teilen sie unsere Vision, Frauen zu unterstützen und ihnen ein sicheres Einkommen zu verschaffen. Mit NAH/STUDIO können wir solche Partnerschaften testen, Vertrauen aufbauen und herausfinden, welche bürokratischen Hürden damit zusammenhängen, um unsere Learnings dann an den Mutterkonzern weiterzugeben.
Was macht NAH/STUDIO konkret zu einer nachhaltigen Brand?
Bei der Materialauswahl liegt unser Fokus stark auf natürlichen Materialien aus umweltfreundlichen Quellen. Tierfasern kommen ausschließlich aus zertifiziert, verantwortungsvoller Tierhaltung. Synthetische Stoffe sind die absolute Ausnahme, lassen sich aber manchmal nicht vermeiden, um die Langlebigkeit eines Kleidungsstücks zu gewährleisten. Wenn wir Kunststoffe verwenden, dann sind diese recycelt.
Stichwort Synthetik: Wie gehen Sie mit dem Problem des Mikroplastiks um, das über das Waschen unserer Kleidung ins Wasser gelangt?
Die Kleidungsstücke, die wir regelmäßig waschen müssen – T-Shirts, Blusen und so weiter – stellen wir weitestgehend frei von synthetischen Stoffen her. Diese findet man primär in Outerwear wie Jacken oder Mäntel, die auch sehr robust sein müssen, um langlebig zu sein.
Sind die Produkte von NAH/STUDIO auch recyclingfähig?
Das ist aktuell ein sehr wichtiges Thema für uns. Wir sind mit Circular Fashion- und Verwertungs Institutionen im Austausch. Einige unserer Produkte sind bereits kreislauffähig, aber dieser Bereich ist auf jeden Fall noch ausbaufähig. Für uns ist das ein spannender Lernprozess. Wir versuchen hier nicht nur für uns, sondern für die gesamte Industrie einen Beitrag zu leisten, um die Kreislaufwirtschaft noch mehr in Gang zu kriegen.
Wie stellen Sie sicher, dass die Produkte am Ende ihres Lebenszyklus richtig entsorgt und verwertet werden können?
Alles, was eine Identität hat, kann in den Kreislauf zurückgeführt werden. Natürlich hoffen wir zunächst einmal, dass unsere Produkte lange getragen und geliebt werden. Trotzdem müssen wir bereits jetzt dafür sorgen, dass unsere Produkte entsprechend markiert und mit Infos versehen werden, damit sie in mehreren Jahren recycelt oder aufbereitet werden können. Gerade wird viel in Richtung Chips und IDs entwickelt, damit die Verwertungsstationen diese Informationen bekommen.
Unterscheidet sich NAH/STUDIO preislich von Tchibo?
NAH/STUDIO ist etwas teurer, dabei aber immer noch sehr wettbewerbsfähig. Wir versuchen unsere Preise so zu kalkulieren, dass wir unser Nachhaltigkeitsversprechen halten, gleichzeitig aber auch die Nachhaltigkeit demokratisieren können. NAH/STUDIO–Teile sollen Lieblingsstücke sein. Das muss man fühlen und nicht zuletzt deshalb legen wir so viel Wert auf die Auswahl unserer Stoffe. Es geht darum, den Rohstoffen eine neue Wertschätzung entgegenzubringen. Wir haben einige Kaschmirteile in der Kollektion, genauso wie Teile aus einem Wollmix mit hohem Kaschmir-Anteil. In diesem Bereich ist die Nachfrage nachhaltig produzierter Rohstoffe hoher als das Angebot. Daher müssen die Produkte teurer sein. Dafür behält man sie hoffentlich auch lange und nutzt sie gern und intensiv.
Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Bereitschaft der Endverbraucher:innen, für nachhaltige Produkte und Qualität mehr Geld auszugeben?
Eine Zeit lang konnten wir eine steigende Nachfrage nach nachhaltigen Produkten beobachten. Leider haben wir während der Pandemie gesehen, dass die Menschen sehr viel Kleidung aussortiert und durch neue Fast Fashion-Teile ersetzt haben. Die Altkleider-Container sind übergequollen. Aktuell merken wir, dass wieder weniger gekauft wird, was wir aber eher auf die Inflation zurückführen als auf ein stärkeres Umweltbewusstsein. In Zeiten wie diesen, wenn das Geld knapp wird, rückt das Interesse an Qualität und Nachhaltigkeit automatisch in den Hintergrund.
Gleichzeitig glauben wir aber, dass die Nische der an Nachhaltigkeit interessierten Menschen wächst. Das ist auf die Masse der Menschen gesehen immer noch eine Minderheit, aber es werden mehr.
Wie können wir das Bewusstsein für nachhaltige Kaufentscheidungen bei der Masse der Leute schärfen?
Bei Tchibo ist unser langfristiger Ansatz, den Konsument:innen diese Kaufentscheidung abzunehmen, indem wir irgendwann einfach nur noch nachhaltige und langlebige Produkte anbieten werden. Gleichzeitig wollen wir Aufklärungsarbeit leisten. Das ist natürlich noch ein sehr weiter Weg.
Welche Frequenz haben Sie für die Kollektionen von NAH/STUDIO geplant?
Noch sind wir ganz neu, aber wir hoffen natürlich, dass es unter unseren Lieblingsstücken ein paar Dauerbrenner geben wird, die kollektionsübergreifend verfügbar sein werden. Nennen wir sie NAH/STUDIO–Ikonen. Ansonsten rechnen wir mit fünf bis sieben Drops im Jahr. Das werden kleine Kapselkollektionen sein, in denen es vor allem um eine hohe Qualität gehen wird und nicht um Masse. Diese nehmen wir nicht nach ein paar Wochen aus dem Shop oder veranstalten große Sales, sondern sie werden verfügbar sein, solange der Vorrat reicht. Beim Design setzen wir auf moderne Klassiker, so dass man sich an den Teilen nicht nach kürzester Zeit satt sieht. Alle Teile werden kollektionsunabhängig gut miteinander kombinierbar sein.
Wo wird es die Kollektionen zu kaufen geben?
NAH/STUDIO gibt es ausschließlich online auf tchibo.de/nahstudio-shop.