Das süße Nichtstun
Man könnte an ein Nickerchen denken, wenn man das Wort „Niksen“ hört – und damit liegt man gar nicht mal so falsch. Nach Hygge und Lagom ist damit ein neuer Wohlfühltrend gemeint, der uns die Erlaubnis zum Nichtstun gibt.
Wurden Sie schon einmal gefragt, wann Sie zum letzten Mal nichts getan haben? Einfach nichts? Nada? Niente? Wohl eher nicht. Auch würde wohl kaum jemand damit prahlen, einen ganzen Tag lang ohne Ziel und Plan verbracht zu haben. Denn es ist ja so: Wer nicht busy ist, ist faul. Wer keinen Freizeitstress hat, hat keine Freunde. Wer nicht ständig am Handy hängt, ist nicht gefragt. Solche und andere unterschwelligen Botschaften sind noch immer fest in unserer Gesellschaft verankert.
Viele kennen den kürzesten Weg zum Burn-out nur allzu gut. Warum fällt es uns dennoch so schwer, den Alltag mit einer kurzen Pause zu unterbrechen? Oder wohltuende Auszeiten der ständigen Performance vorzuziehen? „Unser Gehirn scheint nicht dafür gemacht zu sein, sich entspannt in die Hängematte zu legen – es kennt leider keinen natürlichen Ruhezustand“, erklärt Frank Berzbach in seinem Buch „Die Kunst, ein kreatives Leben zu führen“,
das die Leser zu einem stillen Gespräch mit sich selbst einlädt. Die Lösung: „Niksen“. Das holländische Wort steht für das Nichtstun. Und seit es zum Trend erklärt wurde, gilt das Faulsein als erstrebenswerte Tugend. Nach Hygge (dänische Gemütlichkeit) und Lagom (schwedisch für „alles in Maßen“) reiht sich Niksen in die Liste schon bekannter Wohlfühl-Hypes aus dem hohen Norden.
Wie funktioniert der absichtslose Müßiggang?
„Alleine auf einer Parkbank sitzen, gleichförmige Dinge tun, wie beispielsweise Stricken, oder einfach aus dem Fenster sehen“ – so beschreibt Professor Ruut Veenhoven, Soziologe und Glücksforscher an der Universität Rotterdam, in der britischen Vogue die praktische Umsetzung. Im Juli machte das Modemagazin erstmals auf die niederländische Art der Langeweile aufmerksam, die sich laut Veenhoven klar vom Konzept der Achtsamkeit unterscheidet: Es gehe nicht darum, die Gedanken auf ein Objekt zu fokussieren, sondern dem Geist einfach freien Lauf zu lassen. Auch das Nachrichtenmagazin Time griff das Trendthema auf und befragte Carolien Hamming, Leiterin des niederländischen CSR-Zentrums, in dem gestresste Manager und Burn-out-Patienten gecoacht werden: „Niksen lässt sich ganz einfach mit ‚Abhängen‘ beschreiben. Es ist egal, ob man die Umgebung betrachtet oder Musik hört, solange das Tun kein Ziel verfolgt, in keiner Weise produktiv ist und auch nicht dazu dient, damit etwas zu erreichen.“
Das Nichtstun ist keine revolutionäre Neuerfindung, sondern in allen Kulturen, Epochen und Weltanschauungen präsent – man denke nur an das berühmte „dolce far niente“, das die unnachahmliche Lebensart der Italiener auf den Punkt bringt. In Dalmatien nennt sich das süße Nichtstun Fjaka, und der im alten China verwurzelte Begriff Wuwei beschreibt die „Kunst des Nichthandelns“. Dabei wird das Notwendige im Einklang mit der Natur und ohne Anstrengung des Willens getan.
Wer nichts tut, ist kreativer und gelassener
Psychologen und Hirnforscher sind sich mittlerweile einig, dass die Wahrscheinlichkeit kreativer Geistesblitze in Leerlauf-Momenten besonders hoch ist. So sieht es auch Frank Berzbach, der dem Teetrinken in seinem Buch über die Kreativität ein ganzes Kapitel widmet. Er zitiert darin den Teemeister Sen no Rikyū: „Das Wesen der Teezeremonie ist Wasser kochen, Tee bereiten und ihn trinken. Nichts sonst.“ Auch der deutsche Bestsellerautor Björn Kern ist überzeugt: „Das Beste, was wir tun können, ist nichts.“ Denn damit widerstehe er dem Drang, das Leben immerzu ausweiten zu wollen. Eine bewältigte Handlung müsse ja nicht unbedingt als Aufforderung zur nächsten verstanden werden, sagt Kern. Außerdem sei das Nichtstun friedlich und umweltverträglich. Wie wahr!
Auch wenn der Müßiggang gerade in Zeiten von Burn-out, Depression und Angststörungen absolut sinnvoll erscheint, ist das Nichtstun in einer von Leistung und Selbstoptimierung geprägten Gesellschaft noch lange keine Selbstverständlichkeit. Gelingt es dann doch, bleibt das schlechte Gewissen. Ein gutes Beispiel sind die auf Lifestyleblogs und Social-Media-Kanälen zelebrierten „Morgenroutinen“. Eigentlich dazu gedacht, ein gelasseneres und bewussteres Leben zu führen, können solche Inspirationen selbst disziplinierte Menschen an ihre Grenzen bringen: den Tag mit Meditation beginnen, Sätze der Dankbarkeit ins Sechs-Minuten-Tagebuch schreiben, Yoga üben, eine Runde Ölziehen und statt der schnellen Tasse Kaffee gemächlich am warmen Zitronenwasser nippen – schaffen wir es nicht, den Ritualen der Instagram-Ikonen nachzueifern, zweifeln wir an uns und fühlen uns schlecht. Für die innere Gelassenheit und den Glow im Gesicht muss man eben erst etwas leisten, suggeriert das Unterbewusstsein.
Leerlauf erfordert Mut
Dass Niksen mit der akribisch inszenierten Selbstfürsorge nur wenig am Hut hat, macht die Laid-back-Philosophie gleich noch sympathischer. Denn es geht nicht darum, die Zeit besser zu nützen und schlechte Gewohnheiten wegzuoptimieren, sondern darum, Momente gähnender Leere entstehen zu lassen. Nicht, dass unser Ego von dieser Idee begeistert wäre, denn das Gehirn liebt die Ablenkung, und das Zulassen von Leere erfordert Mut. Dennoch macht die „Nichts ist mehr“-Attitüde auch neugierig, denn sie trotzt den Prinzipien von Profit, Neid und Macht. So wie Jomo (Joy of missing out) all jenen entgegenkommt, die sich dem Erlebniszwang bewusst entziehen, könnte die Freude am puren Nichts der nächste Schritt sein. Glücklich und frei sind am Ende die, die mit dem zufrieden sind, was sie schon haben.
Auch die bekannte buddhistische Nonne Pema Chödrön weiß um die Bedeutung gelungener Untätigkeit. In ihrem Buch „Den Sprung wagen“ schreibt sie: „Wenn wir eine Pause machen, eine Lücke zulassen und tief durchatmen, können wir eine sofortige Erfrischung erleben. (…) Wir werden ermutigt, die Geschichte in unserem Kopf fallen zu lassen und einfach innezuhalten, aufmerksam zu sein und zu atmen. Einfach nur ein paar Sekunden, ein paar Minuten, ein paar Stunden, ein ganzes Leben lang präsent zu sein.“