Pistazien, Berberitzen, Safran, Granatapfel – für die in Teheran aufgewachsene Parvin Razavi sind das die vier Säulen des Kochens. Eine Art Signatur, die die Wurzeln der in Österreich lebenden Chefköchin widerspiegeln. Ihre Mutter führte sie in die Geheimnisse der persischen Kochkunst ein, die sie auch heute noch auf kreative Art umsetzt, beispielsweise in ihren Kochbüchern oder in ihrer Position als Küchenchefin im Wiener Restaurant &flora, dem Treffpunkt für unser Interview. Gemüse spielt sowohl hier die Hauptrolle, als auch in Kochkursen und kulinarischen Veranstaltungen, bei denen Parvin ihr Wissen regelmäßig weitergibt. Orientalisch-gewürzte Pilzkebap, Ofenkraut mit Tahina oder vegetarische Tacos mit Miso und Orangensalsa standen beispielsweise in der Karte ihres Culinary Friendship Events im Post Family Resort, das kurz vor dem Treffen stattfand. Mit Begeisterung scrollt sie dabei durch die Schnappschüsse auf ihrem Smartphone und zeigt jedes Gericht. Warum auch nicht, ist eines doch bunter und schöner als das vorherige. Immer mit dabei: die vier Säulen. Als „die orientalische Köchin“ will Parvin Razavi dabei aber auf keinen Fall abgestempelt werden. „Ich habe kein Problem damit, man soll mich aber nicht darauf reduzieren“, sagt sie gleich vorweg. Danach wird direkt ins Interview eingestiegen, denn ein paar Meter weiter wartet bereits ihre Küchencrew auf die kulinarische Quereinsteigerin.
FOGS: Liebe Parvin, du bist Gault-Millau-Newcomerin des Jahres 2023 und sagtest in einem Interview, dass du dir erst mit 30 Jahren eingestanden hast, dass Kochen deine Berufung ist. Wie kam’s schlussendlich zu dieser Erkenntnis?
Parvin Razavi: „Nach meiner zweiten Karenz stand plötzlich eine Frage im Raum: Wo möchte ich jetzt eigentlich hin beruflich? Logischerweise kam ich da aufs Kochen, denn das ist meine Leidenschaft, das, was mich erfüllt. Dann habe ich die ersten Schritte in diese Richtung getan. Einen Blog gegründet, was damals noch recht neu war. Dadurch hat sich dann recht schnell viel ergeben. Ich kannte die richtigen Leute, schrieb Rezepte für ein Magazin, machte Kochsendungen. Das eine führte zum anderen. Und ich muss ehrlich sagen: Mein migrantischer Hintergrund und dass ich gleichzeitig aber sehr eloquent bin, halfen mir dabei sogar.“
FOGS: Du engagierst dich unter anderem für das großartige Projekt Female Chefs. Erzähl uns doch mehr davon.
Parvin Razavi: „Durch Interviews, Portraits oder regelmäßige Treffen gibt dieses Projekt weiblichen Mitgliedern der Branche eine wichtige Plattform. Diese sind in der Minderheit und bekommen dadurch am wenigsten Aufmerksamkeit. Female Chefs ist auch deshalb so wichtig, weil es zeigt, dass wir Frauen viel mehr voneinander profitieren sollen und können, als man im Laufe des Frauwerdens lernt. Wenn man jung ist, suggeriert dir die Gesellschaft, dass andere Frauen deine Konkurrenz sind. Sich davon zu lösen und zu erkennen, dass die Kollegin nicht meine Konkurrentin ist, sondern eine Mitspielerin, ist befreiend. Es beflügelt mich.“
FOGS: Woran liegt dieses Konkurrenzdenken deiner Meinung nach?
Parvin Razavi: „Männer sehen die Berufswelt als Netzwerk: Sie fördern und nominieren sich gegenseitig. Es ist an der Zeit, das endlich aufzubrechen und uns ebenfalls gegenseitig zu unterstützen. Ich wurde beispielsweise für etwas Großartiges nominiert, in der Aussendung dafür aber wieder einmal männlich angesprochen. Warum passiert das immer wieder? Liegt es an meinem ausländischen Namen? Liegt es daran, dass sehr wenige Frauen in solchen Listen vorkommen? Es ist immer der Küchenchef, der Spitzenkoch – warum werden wir nicht mitgedacht? Darum müssen wir das immer wieder ansprechen, auch wenn man das Gefühl hat, sich zu wiederholen.“
„Ironisch, denn fragt man Personen aus der Spitzengastronomie, welche Lieblingsgerichte sie haben, kommt so gut wie immer das Essen der Mama oder Oma zur Antwort. Mir ist dabei auch bewusst, dass es Lebensphasen gibt, in dem eine Frau vielleicht nicht dasselbe Arbeitspensum schafft wie ein Mann. Kinderwunsch ist ja nicht mehr bei allen, aber natürlich noch bei vielen ein Thema. Und wenn du nicht einen großen Familienbetrieb hast, bei dem alle einander helfen, ist man mal eine Zeit lang weg.“
FOGS: Welche Botschaft möchtest du Nachwuchsköchinnen daher mitgeben?
Parvin Razavi: „Verlange, was deine Arbeit wert ist. Das heißt: Verlange genauso viel wie ein Mann. Männer verlangen immer mehr – das hat sich bestätigt, seit ich auf der anderen Seite sitze und Leute einstelle. Frauen stellen sich zu oft die Frage: Darf ich so viel verlangen? Bekomme ich dann den Job? Ich sage: Warum nicht? Verlange sogar noch ein bisschen mehr als das, was dir zu viel vorkommt. Die meisten Arbeitgebenden sagen dir dann sowieso, was geht und was nicht. Dann weißt du wenigstens, wie viel ihnen deine Arbeit wert ist, bevor du dir gleich selbst 200 Euro vom Lohn abziehst.“
„Das andere, was mir wichtig ist: Wenn Strukturen in einem Betrieb falsch sind, Sexismus oder andere Ungerechtigkeiten fördern, dann sprich es an. Umgangsformen, mit denen man sich nicht wohlfühlt, sollten wir alle zum Thema machen. Man kann Dinge nicht verändern, in dem man alles immer akzeptiert. Wir müssen sagen, wenn etwas nicht okay ist.“
FOGS: Viele von uns tun sich damit recht schwer.
Parvin Razavi: „Jemanden Grenzen aufzuzeigen ist unangenehm, ich weiß. Ich war dabei oft alleine. Einmal sahen mir drei Männer schweigend dabei zu, als ich immer wieder sagen musste „komm mir nicht so nah, respektiere meine Privatsphäre“. In dem Moment bin ich stark, aber innerlich zittere auch ich. Aber ich bin mir sicher, dass auch die drei etwas davon mitgenommen haben, auch wenn sie nicht den Mumm hatten, zu reagieren.“
FOGS: Kommen wir zu dem, was sich hier im &flora auf den Tellern abspielt. Kannst du uns mehr über die Emotionen erzählen, die du mit deinen Gerichten rüberbringen möchtest?
Parvin Razavi: „Essen bedient all unsere Sinne und ist darüber hinaus auch ein sozialer Akt. Wir sitzen am selben Tisch, teilen, lachen, reden. Essen verbindet Kulturen und soziale Schichten. Die Emotion, die ich damit transportiere, ist schlussendlich die Liebe, die ich reinstecke. Da zählt auch die Qualität: Ich will regionalem Gemüse und hochwertigem Fleisch wieder die Wertigkeit geben, die es verdient.“
FOGS: Es gibt ja immer die Diskussion über typisch feminine und typisch maskuline Handschrift in der Küche. Was denkst du – existiert so etwas überhaupt?
Parvin Razavi: „Ich glaube nicht daran, dass man Essen auf ein Geschlecht reduzieren kann. Ich möchte nicht mitspielen, wenn wir Geschlechter auseinanderdividieren. Gewisse Attribute, die man Männern und Frauen zuschreibt stimmen vielleicht. Es muss aber irgendwann einen Punkt geben, wo ich nicht nur als Frau wahrgenommen werde, sondern schlicht als jemand der/die gut kocht. Vor einem Jahr hätte ich die Frage vielleicht noch anders beantwortet.“
FOGS: Vielleicht driftet man dabei auch zu leicht in Klischees ab…
Parvin Razavi: „Das würde heißen, wenn ein großes, blutiges Stück Fleisch am Teller liegt, stammt er von einem Mann. Wenn es mit Blümchen dekoriert ist, von einer Frau. Das ist nicht zeitgemäß. Ich lasse mich nicht mehr abstempeln und in eine Ecke stellen. Es kann sein, dass ich leichter und floraler koche. Aber das hat mit meiner Einstellung zur Ernährung und meiner kulturellen Abstammung zu tun. Männliches Kochen ist Grillen, am offenen Feuer stehen. Aber in meiner letzten Anstellung im Wiener Dogenhof war das genau mein Ding. Und in der Haubenküche arrangieren Männer mit Pinzetten Blüten auf dem Essen.“
FOGS: Zu guter Letzt: Siehst du dich als Role Model?
Parvin Razavi: „Ich würde sagen, dass ehrlicher Austausch untereinander wichtig ist, ob man sich nun als Role Model fühlt oder nicht. Nur weil man Business im selben Bereich macht, muss das nicht heißen, dass man sich gegenseitig nichts gönnen darf. Werbung, Medien und Social-Media-Plattformen führen dazu, dass wir uns ständig vergleichen. Damit habe ich schon lange aufgehört. „Warum macht die das besser als ich, warum ist der erfolgreicher?“ Das hat mich aufgefressen. Ich fokussiere mich lieber auf meine Arbeit, auf das, was ich gut kann. Gerade wir Frauen haben mehr davon, wenn wir uns gegenseitig supporten und uns nicht mehr nur als Konkurrenz sehen.“
Alles über die Connection zwischen Patchwork Denim & Female Empowerment findest Du hier.