Aus Materialresten neue Textilien herzustellen spart Ressourcen, rettet Stoffe vor dem Müll und leistet einen Beitrag gegen die Überproduktion in der Modeindustrie. Unter dem Begriff Patchwork wurde diese günstige und kreative Art des Upcyclings in den 1970er Jahren wiederentdeckt und erfreute sich ab dann immer mal wieder großer Beliebtheit. Damals ging es sogar so weit, dass eigentlich intakte Kleidungsstücke zerschnitten und neu zusammengefügt wurden, nur um diesen Effekt zu erzielen. Heutzutage ist es dagegen sinnvoller, Textilien dadurch neues Leben einzuhauchen, die sonst im Müll landen würden. Vor allem ein Material ist derzeit dafür besonders begehrt: Denim. Labels wie E.L.V. Denim aus Großbritannien und ReJean Denim aus Glasgow zählen zu den Vorreiter:innen dieser nachhaltigen Technik. Und auch auf den Runways der Modemetropolen waren Teile aus Patchwork-Denim in den letzten Saisons regelmäßige Hingucker, von Acne Studios bis Loewe.
Aber wie führt man eigentlich ein Modelabel, dass auf einer so begrenzten Ressource aufgebaut ist und worauf muss man achten, um wirklich nachhaltig zu agieren? Das erfahren wir in einem Wiener Kaffeehaus. Hier treffen wir nämlich Maryna und Olha, zwei junge Studentinnen, die seit zwei Jahren das Modelabel Nearon Studios führen – und das erfolgreich und quasi nebenbei.
FOGS: Wie kam es dazu, dass ihr euch auf Denim-Upcycling spezialisiert habt?
Nearon Studios: „Wir wollten mit unserem Patchwork-Denim Konsument:innen eine echte Alternative zu Neuem bieten und zeigen, dass man auch aus alten Textilien etwas Schönes machen kann, das qualitativ sogar besser ist als Fast Fashion. Die Herstellung von Denim verbraucht viel Energie und Ressourcen – und die sollten wir lieber in andere Sektoren stecken. Es startete als ein Projekt aus Leidenschaft neben unserem Studium und soll in Zukunft natürlich zum Hauptjob werden. Derzeit sind wir beiden verantwortlich für den Stoff, bereiten die Denim-Teile vor und unsere Schneiderin näht die fertigen Teile und hilft bei Schnitten, Größentabellen usw.“
FOGS: Könnt ihr uns den Prozess der Herstellung eurer Patchwork-Teile erklären?
Nearon Studios: „In den letzten zwei Jahren haben wir viele Erfahrungen gesammelt. Wir hatten die Materialbeschaffung anfangs unterschätzt. Man weiß zwar, dass es tonnenweise ausrangierte Textilien gibt, nur muss man erst einmal herausfinden, wie man an sie herankommt. Am Anfang war es das schwierigste, Sortierungswerke zu finden und mit ihnen in Kontakt zu treten. Wir schrieben damals mehr als 50 Unternehmen an, nur drei antworteten. Da wir mit vergleichsweise kleinen Mengen arbeiten, hatten diese Unternehmen kein Interesse an uns. Erschwerend kamen dann noch Sprachbarrieren hinzu, da es im deutschsprachigen Raum keine solchen Werke gibt.“
FOGS: Mittlerweile hat das offensichtlich geklappt.
Nearon Studios: „Ja, zum Glück. Wir fanden ein Sortierungswerk in Ungarn und bestellten eine halbe Tonne alter Jeans. Für das Werk ist eine halbe Tonne allerdings nichts, die würden lieber zehn Tonnen verkaufen. Faktoren wie Transport, Waschen und Lagerung waren für uns anfangs extrem schwierig zu handhaben. Wir lagerten alles bei uns zuhause im Keller und mussten es mühsam sortieren. Das dauerte knapp einen Monat und ging nur mit Unterstützung unserer Familien. Das Sortieren dauerte knapp einen Monat. Heute haben wir bereits mehrere Sortierungswerke und können besser auswählen.“
FOGS: Welche Herausforderungen habt ihr im Laufe der Zeit noch erlebt?
Nearon Studios: „Die Sortierungswerke taten sich schwer, unser Konzept zu verstehen und dass es sogar gut für sie ist. Second Hand oder Vintage Shops nehmen keine Ware an, die Flecken oder Löcher hat. Wir allerdings schon, denn diese fehlerhaften Teile schneiden wir einfach weg. Ein Konzept wie unseres ist noch zu neu für sie. Was wir kaufen, ist ja eigentlich Abfall, der sonst verbrannt wird.“
FOGS: Was macht ihr mit Ware, die ihr dennoch nicht verwerten könnt?
Nearon Studios: „Fleckige oder löchrige Teile sind kein Problem bei Denim-Patchwork. Für uns ist es allerdings wichtig, nur 100% Baumwolle zu verwenden, um Mikroplastik zu vermeiden und die Kleidung recyclingfähig zu gestalten. Wir fühlen genau und schauen auf das Etikett, aber verlassen kann man sich auch darauf nicht. Denn in vielen Ländern muss man es nicht angeben, wenn ein geringer Anteil Elastan im Gewebe ist. Und auch die Garne, Klebungen und Etiketten selbst müssen nicht aus Naturmaterial sein. Sortierungswerke sind da leider nicht genau genug. Das Mischen von verschiedenen Fasern und Kunststoff im Allgemeinen ist sowieso eines der großen Probleme der Modeindustrie. Was für uns nicht zu gebrauchen war, haben wir für Kriegsgebiete der Ukraine gespendet.“
FOGS: Unterscheiden sich recycelte bzw. “alte” Jeans von neuem Denim in Bezug auf Qualität?
Nearon Studios: „Bei vielen der Jeans aus dem Sortierungswerk waren die Etiketten sogar noch dran, sie wurden also noch nie getragen. Wir sind definitiv der Meinung, dass man kein neues Denim mehr produzieren und kaufen muss. Allein wenn man in einen durchschnittlichen Second-Hand-Shop geht, sieht man, wie viel vorhandene Jeans es bereits zu kaufen gibt. Weltweit muss die Masse dieser ungetragenen Teile unvorstellbar groß sein.“
„Wir upcyceln auch Blazer, was ein wenig schwieriger ist. Zum einen vom Preis her und zum anderen lassen sich Abnutzungen hier schlechter kaschieren. Auch ist es selten einen Blazer ohne Kunststofffutter zu ergattern. Dabei sehen wir aber immer wieder, was für einen großen Qualitätsunterschied zwischen diesen „alten“ Blazern und den heutigen Fast-Fashion-Teilen besteht: Alles, von den Nähten bis hin zu den Klebungen ist heutzutage richtig schlecht. Dadurch hält unser Patchwork-Denim auch länger, denn Billigware aus Kunststoff nützt sich schneller ab. Wir wollen Fast Fashion optisch gar nicht schlechtreden, aber bei einer Jeans um 20 Euro stellt sich eben die Frage, wie wenig Lohn die Arbeiter:innen entlang der Lieferkette bekommen.“
FOGS: Wird es langfristig überhaupt möglich sein, so zu arbeiten wie ihr es jetzt tut? Was, wenn die Nachfrage immer weiter steigt?
Nearon Studios: „Derzeit ist unser Hauptziel, unsere Produktion skalierbarer zu gestalten, in einem moderaten Ausmaß. Und dafür Partnerbetriebe finden, die unsere Vision teilen. Wir streben zum Beispiel gerade eine Partnerschaft mit einer Wiener Vintage-Store-Kette an. Man muss jemanden finden, der dasselbe Mindset hat. Große Firmen und Supplier interessieren sich sowieso nicht für uns, da wir zu klein sind. Wir wollen Vintage-Ware für eine größere Käuferschaft zugänglicher machen. Es gibt ja leider immer noch Leute, die nichts kaufen wollen, was schon mal getragen wurde. Völlig unberechtigt, denn wir bekommen für unsere Rohware vom Sortierungswerk Zertifikate, die belegen, dass die Kleidung bereits ordnungsgemäß desinfiziert wurde. Das braucht man allein schon, wenn man damit über Landesgrenzen fährt.“
FOGS: Was würdet ihr eurer Kundschaft gerne mitgeben?
Nearon Studios: „In unserm Heimatland der Ukraine gibt es im Moment wirklich wichtigere Themen, über die man sich sorgen muss. Aber in wohlhabenden Ländern leben wir im Überfluss und man hat den Luxus, es sich aussuchen zu können, wo man seine Kleidung kauft. Da wäre es wichtig, Marken auszuwählen, die fair bezahlen oder auf bereits Bestehendes zurückgreift. Es gibt in jeder Stadt unzählige Second Hand Shops und viele Online-Plattformen – Ausreden gelten also nicht.“
FOGS: Habt ihr Wünsche für die Zukunft?
Nearon Studios: „Im Moment konzentrieren wir uns auf den Online-Versand sowie Pop-Ups in der Nähe. Unser großer Traum ist aber natürlich ein eigener Shop hier in Wien. Aber das liegt finanziell im Moment noch in der Zukunft. Und wir wollen unsere großartige Community noch weiter ausbauen. Das ist notwendig, denn windige Fast-Fashion-Anbieter sind wahnsinnig schnell, wenn es um Ideenklau geht. Letztens fanden wir unsere Designs auf einer chinesischen Seite – sogar mit unseren Fotoshoots! Und wir werden auch weiterhin unseren Patchwork-Denim sowie Blazer nach Maß anfertigen. Denn ein Kleidungsstück soll wirklich ein Lieblingsteil und so oft wie möglich getragen werden.“