Rassismus in Deutschland ist ein Thema, das uns alle angeht und das viele direkt betrifft. Im Jahr 2022 brachte der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) die Studie „Rassistische Realitäten“ heraus: Etwa zwei Drittel der deutschen Bevölkerung sind schon einmal direkt oder indirekt mit Rassismus in Berührung gekommen. 22,2 Prozent haben Rassismus selbst erfahren. Und trotzdem wird viel zu wenig über Rassismus gesprochen. Das will Josephine Apraku ändern: Josephine ist Afrikawissenschaftler:in, Autor:in und Expert:in für diskriminierungskritische Bildungsarbeit. Als Lehrbeauftragte:r hat Josephine Apraku an der Alice Salomon Hochschule und der Humboldt-Universität zu Berlin unterrichtet. Kürzlich hat sie:er ein Kartenset und Workbook herausgebracht, um den Diskurs über das Thema Rassismus zu fördern.
FOGS: Viele Menschen reden lieber gar nicht über das Thema Rassismus, aus Angst etwas Falsches zu sagen.
Josephine Apraku: „Im Rahmen meiner Arbeit höre ich oft die Frage: Machen wir das Problem nicht schlimmer, wenn wir darüber reden? Das parallelisiere ich gerne mit dem Klimawandel: Der Klimawandel wird nicht besser, nur weil wir nicht mehr drüber sprechen.“
FOGS: Was sind weiße Privilegien in Deutschland?
Josephine Apraku: „Ein wesentliches Privileg in Deutschland ist, dass der ganze rassistische Diskurs in Deutschland über die Verknüpfung von Weißsein und Deutschsein funktioniert. Sobald du eine weiße Person bist, kannst du als deutsch wahrgenommen werden, selbst wenn du aus den USA kommst. Du gehörst selbst dann eher noch zum zum „Wir“ gehörst als eine Person, die vielleicht schon immer hier gelebt hat. Und daran knüpft sich die gängige Frage, die ja auch schon viel diskutiert wurde: „Woher kommst du wirklich?“ Diese Frage wird nur bestimmten Menschen gestellt. Und zwar weil aufgrund einer rassistischen Stereotypisierung davon ausgegangen wird, dass BIPoC nicht deutsch sein können. Wohingegen viele Leute, die weiß sind, das nicht gefragt werden, obwohl die Frage kein bisschen weniger relevant sein könnte.“
„Außerdem spiegeln sich Privilegien darin, wie Menschen mit dir umgehen im Hinblick auf dieses „zum Wir gehören“. Sie zeigen sich darin, wie du dich durch die Welt bewegst, wie du dich dabei fühlst, wo du dich wohl fühlst und wo du repräsentiert wirst. Und es wird auch darin deutlich, dass es für weiße Menschen in Deutschland in gewisser Weise keine No-Go-Areas gibt, wohingegen das für Menschen, die von Rassismus betroffen sind, sehr wohl der Fall ist.“
FOGS: Was ist das Ziel des Workbooks und des Kartensets?
Josephine Apraku: „Ich arbeite schon seit einigen Jahren schon in diesem Bereich und mache Bildungsarbeit zum Thema Rassismus. Ich wollte schon lange ein Workbook machen, weil ich viele Workshops gebe. Dabei habe ich das Gefühl, dass es für viele Menschen hilfreich wäre, zu Hause etwas zur Hand zu haben, womit sie auch unabhängig von Workshops weiter reflektieren können und diese Reflexion beständig weiterführen können.“
„Mit dem Kartenset wollte ich wegkommen von dieser Vorstellung, es müsse erst etwas offensichtlich Rassistisches passieren, damit ich auf die Idee komme, mit anderen Menschen, aber vor allem auch mit Kindern darüber zu sprechen. Außerdem möchte ich aufzeigen, dass vor allem weiße Erwachsene in dem Kontext von Rassismus eben auch Lernende sind dass sie sich damit beschäftigen müssen. Denn wie sollen wir Kindern etwas erklären, worüber wir selbst nichts wissen? Einen Raum für die gemeinsame Reflexion zu schaffen, darum ging es mir.“
FOGS: Im Workbook geht es viel um Selbstreflexion. Was ist dabei besonders wichtig?
Josephine Apraku: „Ich glaube, wichtig ist einerseits wahrzunehmen, dass es ein anstrengender Lernprozess ist, aber Lernen ist immer mit Anstrengung verbunden, da kommen wir nicht drum rum. Der wesentliche Unterschied ist in dem Zusammenhang, dass das ein Lernprozess ist, der in gewisser Weise gesellschaftlich geächtet wird. Leute finden es nicht cool, am Abendbrottisch darauf hingewiesen zu werden, dass etwas rassistisch ist, was sie gesagt haben. Es ist sicherlich eine Herausforderung, wenn es auf einmal unbequem wird. Damit kann auch eine gewisse Einsamkeit einhergehen. Ich finde es wichtig, darüber ehrlich zu sprechen. Bedeutsam ist immer wieder zu reflektieren, dass auch wenn all das anstrengend und ätzend sein mag, es noch mal etwas komplett anderes ist, selbst von Rassismus betroffen zu sein. Denn wenn wir von Rassismus betroffen sind, erleben wir ihn und müssen trotzdem regelmäßig abwägen, ob wir nun etwas tun oder ob wir uns die Energie sparen. Wir müssen akzeptieren, dass das Kämpfen gegen Rassismus nicht bequem ist, es ist kein Weg im Park der von Rosen gesäumt ist und es heißt nicht umsonst: gegen Rassismus kämpfen.“
FOGS: Was kann ich als Einzelperson tun?
Josephine Apraku: „Im Workbook wird aufgegriffen, wie situationsabhängig das ist. Daraus ergibt sich auch, dass es einen simplen Zehn-Punkte-Plan nicht geben kann. Mal abgesehen davon, dass rassistische Strukturen wirklich deutlich komplexer sind als das. Als Einzelpersonen werden wir nicht die gesamte Gesellschaft mit samt all ihren Strukturen verändern. Aber ich finde es schon auch wichtig immer wieder darauf zu schauen, was ich als Einzelperson eigentlich machen kann. Denn das ist nicht nichts.“
„Unterschiedliche gesellschaftliche Ebenen sind dabei miteinander verknüpft. Wenn ich mich als Einzelperson zum Beispiel im Rahmen meiner Organisation anders verhalte – so bekomme ich das oft von Lehrkräften aus der Schule gespiegelt –, dann wissen andere Lehrkräfte schon: „Ah, das ist die nervige Person, bei der dürfen wir nichts Rassistisches sagen“. Und so nehmen sie in diesem Moment zumindest wahr, dass es Leute gibt, die Widerspruch leisten und ihnen sagen: „Ich kann nicht kontrollieren, was du machst, aber ich möchte es nicht hören.“ Also allein schon diese persönliche Macht, die wir haben, zu nutzen. Ich glaube, das ist nicht nichts.“
FOGS: Wann sollte man anfangen, mit Kindern über Rassismus zu sprechen?
Josephine Apraku: „Aus den Erziehungswissenschaften und auch aus der Psychologie wissen wir, dass Kinder schon sehr früh wahrnehmen, welche soziale Position sie haben. Spätestens mit dem Eintritt in die Grundschule wissen das Kinder. Sie wissen also, ob sie weiß positioniert sind und ihnen damit eher positiv begegnet wird oder ob sie von Rassismus betroffen sind und damit rechnen müssen, dass sie zum Beispiel härter bestraft werden oder auch stärker wahrgenommen werden, wenn sie etwas Störendes im Unterricht machen oder dass sie schlechtere Noten bekommen bei gleicher Leistung. Es ist wissenschaftlich belegt, dass Kinder im Alter von drei Jahren schon rassistische Vorurteile haben können. Daher glaube ich, ist es auch hier total wichtig, Kinder von Beginn an zu begleiten und Rassismus absichtsvoll zum Thema zu machen. Und nicht erst dann, wenn ein schlimmer Anlass -wie zum Beispiel ein Mord an einer Person of Color – dafür gegeben ist.“
FOGS: Du hast 2021 ein Buch geschrieben, das sich eigentlich an Erwachsene richtet, aber den Umgang mit Kindern beim Thema Rassismus thematisiert. Was ist dabei das Wichtigste?
Josephine Apraku: „Ich glaube, Rassismus überhaupt zu thematisieren. Nicht so zu tun, als gäbe es keinen Rassismus, nicht so zu tun, als wären alle Menschen gleich, sondern wirklich die ungleichen Zugänge, die Benachteiligung, Ausgrenzung und Privilegierung zum Thema zu machen. Das bedeutet natürlich auch, das kindgerecht zu machen. Ich würde einem dreijährigen Kind keinen langen Vortrag zum Thema strukturellen Rassismus halten, sondern reflektieren, welche Spielsachen wir aussuchen, wenn wir einen Einfluss darauf haben und in welche Kita mein Kind geht. Sind da vor allem weiß positionierte Kinder oder sind da vielleicht auch Kinder, die von Rassismus betroffen sind? Oder wenn mein Kind zum Beispiel etwas Rassistisches sagt, wie kann ich da eingreifen?“
FOGS: Eine der Lernkarten fragt nach den unterschiedlichen Formen von Rassismus. Wie würdest du sie beantworten?
Josephine Apraku: Menschen sind von verschiedenen Formen von Rassismus betroffen. Das heißt, ich zum Beispiel bin von Anti-Schwarzem-Rassismus betroffen, es gibt aber auch Antimuslimischen Rassismus oder Rassismus gegen Sinti:zze und Rom:nia, um Beispiele zu nennen.
FOGS: Äußert sich Rassismus gegen die verschiedenen Minderheiten in der gleichen Form oder ist das sehr individuell auf die Gruppe bezogen?
Josephine Apraku:
„Ich glaube mittlerweile beides. Was sich unterscheidet ist, wie die jeweilige Gruppe konstruiert wird, also mit welchen Zuschreibungen die jeweilige Gruppe belegt wird und was dann im Zentrum steht. Zum Beispiel wird mit Blick auf Anti-Schwarzen-Rassismus oft auf die Vorstellung verwiesen, dass Hautschattierung im Zentrum steht oder Vorstellungen von vermeintlich unterschiedlichen Gesichtszügen und Haarstrukturen zum Beispiel. Wohingegen bei Antimuslimischem Rassismus oft Vorstellungen von vermeintlich „anderer Kultur“ und vermeintlicher „Religion“ hineinspielen. Das wird übrigens ganz unabhängig davon, ob das mit der Realität zu tun hat, am Aussehen einer Person festgemacht. Aber am Ende des Tages bewirkt Rassismus, dass Menschen vom Zugang zu Ressourcen ausgeschlossen werden. Und gleichzeitig sorgt er dafür, dass weiße Menschen einen besseren Zugang haben zu gesundheitlicher Versorgung, zu Bildung und Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, politischer Repräsentation, sozialer Teilhabe, Repräsentation im Allgemeinen. Und daraus ergibt sich, dass Rassismus prinzipiell Ähnliches bewirkt, und zwar Gruppen, die auch von unterschiedlichen Formen von Rassismus betroffen sind, auszuschließen und zu benachteiligen.“
FOGS: Was bedeutet der Begriff Empowerment für dich?
Josephine Apraku: „Grundsätzlich ist mit Empowerment so etwas gemeint wie Selbstermächtigung. Prozesse, in denen Menschen trotzdem klar sind darüber, dass sie aus rassistischen Strukturen nicht völlig herauskommen können. Die Frage ist dann: Welche Handlungsoptionen habe ich, um selbst wirksam in diesen Strukturen zu sein und mich auch nicht zermalmen zu lassen? Für mich persönlich heißt das, Räume für Menschlichkeit zu haben. Räume, in denen ich weich sein kann, wo ich mit Menschen einfach zusammen sein und das schöne Leben genießen kann.“
FOGS: Was möchtest du Menschen mitgeben, die nicht selbst von Rassismus betroffen sind?
Josephine Apraku:
„Dass sie sich auf diesen Lernprozess und all die Unbequemlichkeiten, die damit einhergehen, einlassen. Für mich ist es wichtig, wachsam zu sein im Alltag, aber auch neugierig zu sein. Nicht nur im Zusammenhang mit Rassismus kann das Lernen über Unterdrückung uns nochmal total neue Perspektiven auf uns selbst eröffnen. Und ich finde, dass es nicht nur ein anstrengender Prozess ist, ich finde das auch schön, weil diese Einteilung der gesamten Menschheit in diese vermeintlich biologischen Gruppen, die sie ja eigentlich gar nicht sind, am Ende dafür sorgt, dass wir alle von unserer Menschlichkeit entfernt werden. Dazu müssen wir uns fragen: Wer bin ich eigentlich? Was sind eigentlich meine Werte und wie komme ich in eine stärkere Verbindung zwischen meinen Werten und meinem Handeln?“
„Am Ende geht es bei Diskriminierungskritik natürlich schon darum, dass alle Menschen gleichberechtigt ein gutes Leben führen können und dass sozial hergestellte Kategorisierungen irgendwann nicht mehr relevant sind, weil sie einfach nicht real existent sind. Dass Menschen nicht ausgeschlossen werden aufgrund von Rassismus, Transfeindlichkeit oder Klassismus. Diese ganzen Sachen sind ja auch verknüpft. Wenn ich gegen Sexismus kämpfen will, muss ich natürlich auch gegen Rassismus kämpfen und gegen Klassismus. Das alles sind Arten von Ausgrenzung und die gilt es in ihrer Gesamtheit zu bekämpfen.“
Mehr von Josephine empfohlene Ressourcen findest du hier:
Websites
https://www.eoto-archiv.de
https://tsepo-bollwinkel-empowerment.de
https://www.instagram.com/pasquale.virginie/?hl=de
https://neuedeutsche.org
https://bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antirassismus-2020/316771/
https://heimatkunde.boell.de/de/
Instagram Accounts
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Podcasts
BBQ – Der Black Brown Queere Podcast: https://open.spotify.com/show/4Lsp7y9btg0OdhZw789i9U
Floodlines: https://www.theatlantic.com/podcasts/floodlines
Nice White Parents: https://www.nytimes.com/2020/07/23/podcasts/nice-white-parents-serial.html
1619: https://www.nytimes.com/2020/01/23/podcasts/1619-podcast.html