„Die Highlands sind kein Ort für Halbherzige. Sie belohnen diejenigen, die sich ihrer herben Schönheit vollständig hingeben“ – das schrieb Dichter Neil Gunn einst über seine schottische Heimat. Und spätestens, wenn man selbst auf berühmte Bergformationen wie die „Three Sisters“ blickt, weiß man genau, was er meinte. Hohe Gipfel voller Heidekraut und Moos treffen auf flache Täler, durch die sich eine einzige Straße schlängelt. Eindrücke, die sich nach nur wenigen Autominuten bereits wieder ändern können. Denn immer wieder trifft man in Schottland auf Kontraste: dichte Wälder kollidieren mit weitem Land, auf dem man bis zum Horizont weder Bäume noch Sträucher sieht. Auch, wenn nicht immer ein fotogener Hirsch oder knuffige Highland Cows durchs Bild wandern: Leben existiert in beiden Landschaften zu Hauf.
Große Weiten, in denen sich ein Mikrokosmos aus Flora und Fauna verbirgt: Die Moore der Highlands sind wichtig im Kampf gegen den Klimawandel. Foto: © Unsplash
Unscheinbare Klimaretter
Selbst in den kargsten Gebieten existiert ein reicher Mikrokosmos, der essentiell für das natürliche Gleichgewicht ist. Ganz im Norden Schottlands, wo Tourist:innen rar sind, erstreckt sich beispielsweise „The Flow Country“, ein Gebiet aus tiefem Torf mit zahlreichen Moorpools. Die Caithness- und Sutherland-Moorlandschaft erstreckt sich über 400.000 Hektar und ist damit das größte zusammenhängende Gebiet dieser einzigartigen, wilden Landschaft in ganz Europa. Kein Wunder, denn Hochmoore entstehen nur in kühlen, regenreichen Gebieten und das typisch-schottische Wetter ist dafür sogar berühmt.
Seit die Gletscher der letzten Eiszeit schmelzen, wachsen auch die Moore des Flow Country – also seit über 10.000 Jahren. Dabei haben sie bis heute über 10 Meter tiefen Torf erschaffen. Was von oben an ein opalfarbenes Muster aus kleinen Pools erinnert, ist für den Menschen nicht gerade ein ideales Wandergebiet. Doch das ist gut so, denn sieht man genauer hin, entdeckt man eine Welt voller erstaunlicher Pflanzen, seltener Vögel und einen Ort, der auch ohne Tourismus – oder gerade deshalb – wunderbar existiert.
Zerstört von Menschenhand
Historisch gesehen oft unterschätzt, sind allein im Vereinigten Königreich bereits 80 % der Torfgebiete geschädigt, meist durch Versuche, sie für Land- und Forstwirtschaft zu entwässern. Heute versteht man zum Glück besser, wie wichtig Torfgebiete für unser Klima sind. Denn was im und am Torf wächst, kann sich durch den Sauerstoffmangel nicht vollständig zersetzen. Das bewirkt, dass Pflanzen wie z.B. Moose am Ende ihres Lebens ihr gespeichertes CO2 nicht wieder an die Umwelt abgeben, sondern im Boden speichern. Sie werden im Moor quasi als Ganzes konserviert und mit ihnen das klimaschädliche CO2. Solche Torfgebiete entstehen nur sehr langsam, können dann aber über Jahrtausende große Mengen Kohlenstoff speichern – ein essentieller Faktor heutzutage.
Torfgebiete haben zwar im Vergleich zu anderen Ökosystemen eine geringere Artenvielfalt, doch alles, was dort existieren kann, ist perfekt an diese speziellen Lebensräume angepasst. Deshalb findet man gerade hier einzigartige Artenkombinationen, die anderswo nicht vorkommen. Ohne sogenannte Sphagnum-Moose z.B. gäbe es in kühleren Klimazonen keine Wasserspeicherung und damit kein Leben. Durch die hohe Wasserqualität gedeihen im Flow Country dagegen Arten wie Lachse besonders gut, die wiederum die lokale Bevölkerung versorgen.
Obwohl Torfgebiete nur 3 % der Erdoberfläche bedecken, speichern sie fast 30 % des weltweiten Boden-Kohlenstoffs. Allein die Torfmoore des Flow Country enthalten etwa 400 Millionen Tonnen CO2, mehr als doppelt so viel wie alle Wälder Großbritanniens zusammen. Foto: © Unsplash
Warum wir Moore schützen müssen
Es ist so: Während intakte Moore Kohlenstoff binden, setzen beschädigte Moore große Mengen davon frei, was den Klimawandel beschleunigt. Der in Schottlands Mooren gespeicherte Kohlenstoff entspricht tatsächlich sogar 100 Jahren der fossiler Brennstoffemissionen des Landes. Der Schutz und die Wiederherstellung von Mooren sind daher wichtig für unsere Zukunft. Erst kürzlich gab es gute Nachrichten: Die Flow Country Green Finance Initiative startete das erste, großflächige Moor-Renaturierungsprojekt. Mit wissenschaftlich unterstützten Maßnahmen trägt man dazu bei, die Fähigkeit der Torfgebiete, Wasser zurückzuhalten, Kohlenstoff zu binden und die biologische Vielfalt zu fördern, wiederherzustellen. So ist diese auf den ersten Blick unspektakuläre, karge Landschaft ein wichtiger Teil der schottischen Klima-Ambitionen und spielt eine Vorreiterrolle in Sachen Renaturierung.
Rückkehr der Adler durch Rewilding
Viel weiter südlich, genauer gesagt in der Nähe des berühmt-berüchtigten Loch Ness, liegt ein weiteres Naturschutzprojekt. Es wurde erst kürzlich eröffnet und liefert schon jetzt Meilensteine: Das Dundreggan Rewilding Centre in den kargen Hügeln von Glen Moriston wurde 2023 als erstes seiner Art und in Zusammenarbeit mit der Umweltschutzorganisation Trees for Life eröffnet. Mit „Rewilding“ meint man die Wiederherstellung von Ökosystemen, die ohne menschliches Eingreifen gedeihen können. Anfangs allerdings braucht es dennoch Unterstützung von Menschenhand und das nicht zu knapp.
Im Dundreggan Rewilding Center trifft Aktivismus auf Spaß am Lernen, mitten in der schottischen Natur. Tipp: Im Café kocht man köstlich vegan! Foto: © Cue the Mustard
Der erste Stein für das Projekt wurde vor fünf Jahren gelegt. Die Umweltaktivist:innen von Trees for Life wollten der Entfremdung zwischen Menschen und Landschaft nicht mehr länger tatenlos zusehen. Im Laufe der Jahrhunderte ging Schottlands Waldbedeckung aufgrund von Überweidung und unkontrollierter Abholzung nämlich stark zurück. Große Teile der Landschaft wurden für die Landwirtschaft, den Schiffbau und Wohnzwecke geplündert. In Zeiten der Weltkriege wurde groß abgerohdet, um das Holz für Waffen und andere Kriegsutensilien zu verwenden. Schäden, die die Natur nicht ohne Unterstützung wiedergutmachen konnte. Das Dundreggan Bildungszentrum soll heute also aufklären sowie zu Naturerlebnissen ermutigen. Es ist kostenlos zugänglich und wird außerdem genutzt als Freiwilligenbasislager mit Ausbildungsprogrammen, Seminaren und Aktivitäten, die darauf abzielen, das ökologische Wissen zu steigern und so im Kampf gegen den Klimawandel zu helfen.
Vom Wald lernen
Ein Chor aus Schwalben, Buchfinken, Drosseln und Nebelkrähen begleiten Besuchende heute während ihren Wanderungen im Dundreggan-Gebiet. Verschiedene Wanderpfade für jede Kondition mit Beschilderung und Erklärungen laden ein, jederzeit ein wenig Natur zu tanken. Und auch, wenn man es nicht immer sieht, gibt es Leben an jeder Ecke: Kreuzottern und Blindschleichen tummeln sich an den grasigen Waldrändern, Erdbeerspinnen und Wacholderblattläuse bevölkern den farnigen Boden. In den Felsen und dichteren Wäldern warten Baummarder, Rehe und Rotwild auf die Abenddämmerung, auf höher gelegenem Gelände balzen Auerhähne. Nach der jüngsten Zählung gibt es mittlerweile 4.000 einheimische Pflanzen- und Tierarten auf dem Anwesen, darunter auch Wildschweine, deren Wühlen den Boden freilegt und Baumsamen eine Chance zum Wachsen gibt. Ein gesunder Kreislauf des Lebens eben.
Jährlich werden im Rewilding Centre bis zu 100.000 Bäume großgezogen. Bis heute sind es bereits zwei Millionen, verstreut über viele Regionen der Highlands. Fotos: © Paul Campbell Photography
Rewilding – mit Erlaubnis der Feen
Das meiste lernt man hier aber während einer der geführten Waldtouren und Naturworkshops. Beispielsweise, dass jeder der 18 Buchstaben des gälischen Alphabets einem Baum zugeordnet ist. Oder, dass das Gehör der braunen Langohrfledermaus so gut ist, dass sie das Trippeln eines Insekts auf einem Blatt wahrnehmen kann. Oder, dass – und das ist typisch für die sagenumwobene schottische Natur – man Vogelbeerbäume nur dann fällen soll, nachdem man die Erlaubnis der Sìrean, also Feen eingeholt hat. Die Guides verdeutlichen auch, dass große Erfolge manchmal ein kleines Format haben, denn mittlerweile konnten 17 verschiedene Arten von Mücken identifiziert werden, die sich hier ebenfalls neu ansiedelten. Die gute Nachricht: nicht alle gehören zu den blutsaugenden Vertretern, die Tourist:innen im schottischen Sommer das Leben schwermachen.
Mehr als 4.000 Tier- und Insektenarten wurden inzwischen auf dem Dundreggan-Anwesen erfasst, Goldadler nisten erstmals seit den 1980er Jahren wieder in der Region. Foto: © Paul Campbell Photography
Reist man heute durch die wachsende Anzahl an Naturschutzgebieten Schottlands, merkt man schnell, dass ein Gefühl des Heilens eingesetzt hat. „Schuld“ daran ist der Klimawandel, der, wie so oft, ein Augenöffner für umweltbewusste Pioniere des Landes war. Wer nun ebenfalls motiviert ist und etwas Naturschutz mit einem Urlaub in Schottland kombinieren möchte: Beide Projekte sind offen für Freiwilligenarbeit und heißen Besucher:innen herzlich willkommen.
Verwöhnmomente in der Winterzeit findest Du hier.