Es ist die wichtigste Beziehung, die man in seinem Leben führen kann: Die Beziehung mit sich selbst. Doch seit einigen Jahren scheint es, als haben viele Menschen sich im Sturm aus Arbeit, Familie und Freizeit verloren, als schwinde die Selbstliebe immer mehr aus ihrem Leben. Dem entgegensteuern möchten Selbstliebe Coaches, die es durch bestimmte Techniken und Übungen schaffen wollen, die Liebe zu sich zurückzuholen. Harte Arbeit, die das wohl schwierigste von jedem einzelnen verlangt: die fortwährende Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich.
Es war der Satz, der Sonjas Leben mit einem Schlag umstülpte: „Ich will mich trennen“. Erst hallte es in ihrem Kopf, dann folgten Trauer, Wut, Machtlosigkeit. Doch das Schlimmste war die Leere. Dieses taube, unbegreifliche Loch in sich, das sie lähmte, das sie von einer jungen, immer lachenden Frau in ein graues Wesen mit hängenden Schultern verwandelte, das die Fähigkeit verloren hatte, Freude zu empfinden. Sie konnte keine fröhliche Musik mehr hören, verstand es nicht, warum Menschen lachten, wollte sich nur mit einer Decke über dem Kopf vor der Außenwelt verstecken. Mit dem Beziehungs-Aus und der Zurückweisung nach acht Jahren Partnerschaft erlosch nicht nur die Liebe zu ihrem Freund, Sonja hatte in den Wochen nach der Trennung auch die Liebe zu sich selbst verloren.
„Doch genau diese Liebe ist es, die die Wichtigste in unserem Leben ist“, sagt Selbstliebe- und Liebeskummer Coach Simone Sauter. Die 35-Jährige hat selbst eine schlimme Trennung hinter sich, die ihr zwei Jahre ihres Lebens raubte. In dieser Zeit empfand sie nur Hass auf sich, hatte sogar Selbstmordgedanken. Doch sie erkannte irgendwann, dass sie ohne Selbstliebe nicht aus diesem Tief herauskommen kann. Sie wusste, dass sie sich ständig nur in einer Spirale aus Warums, Ärger, Wut und Hilflosigkeit bewegte, aus der es nur einen Ausweg gab: Die Beschäftigung mit ihr selbst, mit ihren Wünschen, ihren Träumen, ihrem Ich. „Ich habe mir Hilfe bei einem Therapeuten und Coach gesucht, habe aber vor allem sehr viel gelesen und so von der Kraft der Selbstliebe erfahren, die es mir letztendlich ermöglicht hat, den Ex zu vergessen und wieder frei und offen zu werden für das Leben, für mich“.
Selbstliebe ist ein neues Berufsfeld
Mit der wachsenden Selbstliebe wurde aus Simone nicht nur eine sichere, offene und toughe Frau, es wurde auch eine Frau aus ihr, die erkannte, dass sie eine Berufung hatte. Sie wollte anderen Menschen helfen, die wegen Liebeskummers ebenfalls durch die Hölle gehen, sie dabei unterstützen, wieder ein normales Leben zu führen, in dem man mit sich im Reinen ist. Sie kündigte ihren PR-Job und machte sich als Liebeskummer-Coach selbstständig, schrieb mit „Heile dein gebrochenes Herz“ sogar einen Beststeller.
Doch nicht nur eine Trennung kann einem die Liebe zu sich selbst nehmen. Auch ausbleibende Erfolge im Job, Stress mit den Kindern, Ärgernisse mit Freunden: Es gibt viele Wege, die Liebe zu sich zu verlieren. Seit einigen Jahren boomt deswegen der „Selbstliebe Coaching“-Markt und immer mehr Menschen finden eine berufliche Erfüllung im Helfen.
Eine der erfolgreichsten deutschen Coaches ist Laura Malina Seiler. Die Wahlberlinerin ist Expertin für Mindful Empowerment und moderne Spiritualität und steht mit ihrem Podcast „Happy, holy & confident“ auf Platz #1 der iTunes-Charts. In ihrem Podcast geht es um die gesunde Wertschätzung zu sich selbst, um die innere Weisheit, um die Lösung von Blockaden und Mangelgedanken. Sie schreibt dazu: „Wir alle brauchen an bestimmten Stellen in unserem Leben Menschen, die uns an unsere eigene Kraft erinnern und uns neue Wege aufzeigen.“ Wege, die wieder zu einem Selbst führen.
Selbstliebe und Egoismus sind nicht das gleiche, sondern genau das jeweils andere Gegenteil
Kritiker mögen jetzt vielleicht auch von Egoismus und Narzissmus sprechen, doch der Unterschied zu Selbstliebe ist, dass narzisstische Menschen gerade keine Selbstliebe empfinden, dies mit egozentrischem Verhalten überspielen und permanente Bestätigung und Bewunderung suchen. Sie geben vor selbstbewusst zu sein, doch hinter diesem Schleier steckt ein verwundbarer Mensch, der es nicht annehmen kann, dass auch er Schwächen hat. Narzissten legen ein überhöhtes Selbstbild an den Tag, ein idealisiertes Selbst. Wer Selbstliebe empfindet, nimmt sich so an, wie er ist, mit Stärken und Schwächen. Der amerikanische Psychoanalytiker Erich Fromm sagte dazu: „Es stimmt, dass selbstsüchtige Menschen unfähig sind, andere zu lieben; sie sind aber genauso unfähig, sich selbst zu lieben“. Eine traurige Vorstellung.
Liebe zu anderen kann nur durch Liebe zu uns selbst stattfinden. „Wir wirken ganz anders, wenn wir uns nicht selbst wertschätzen“, erklärt Simone Sauter. „Menschen, die mit sich im Reinen sind, haben eine Aura, die andere anzieht, sie mitreißt und begeistert. Unsicherheiten erkennen wir unterbewusst, da kann eine Person ein*e noch so gute*r Schauspieler*in sein.“
Doch was kann ich tun, wenn ich merke, dass meine Selbstliebe gegen Null geht?
Wer erkannt hat, dass etwas mit der Selbstliebe bei sich nicht stimmt, hat den größten Schritt schon geschafft. Von hier aus kann es nur besser werden. Wer sich zur Unterstützung noch einen Coach holt, wird schnell Fortschritte bemerken. In gezielten Übungen fragen die Selbstliebe-Trainer nach der aktuellen Situation, entschlüsseln dabei, warum ein Klient gerade keine Selbstliebe empfinden kann und geben kleine Übungen an die Hand, die sich leicht in den Alltag integrieren lassen. Sich morgens vor dem Spiegel selbst zu sagen: „Ich liebe dich“ zum Beispiel. Oder sich einmal aufzuschreiben, mit welchen Adjektiven andere einen beschreiben würden. Nahestehende Personen genauso wie zum Beispiel der Lehrer in der Grundschule oder der erste Chef. Was haben diese Personen an Ihnen geschätzt? Am Anfang werden Sie denken, Sie bekommen das Blatt nie voll, doch nach einer Zeit stehen dort so viele schöne Wörter, die zu Ihnen gehören. Und sich diese immer wieder herzunehmen und zu merken, wie man eigentlich ist, ist ein wundervoller, kleiner Moment.
Auch Sonja hat sich nach der Trennung dieser Übung gestellt. Sie hat sich wieder bewusst gemacht, wer sie ist, warum sie so ist und warum es genau richtig ist, wie sie ist. Sie hat sich Dinge gegönnt, visualisiert, wofür sie dankbar ist, sich selbst ihre Fehler verziehen und ist nach und nach zu ihrer besten Freundin geworden. Heute hört sie in sich hinein und empfindet das, was jeder empfinden sollte: Dankbarkeit und Glück auf dieser Welt zu sein. Ein Lächeln huscht ihr über das Gesicht, als sie darüber nachdenkt. Dann nimmt sie die Hand ihres neuen Partners und läuft mit voller Liebe für ihn, aber auch tiefer Liebe zu sich selbst hinaus in die Nacht.
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Dieser Text ist zuerst erschienen in der FOGS-Herbstausgabe 2018 – hier nachbestellen.
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