…oder vielleicht schon heute!
Das alles beschreibt Ernährungswissenschaftlerin und Food-trend-Forscherin Hanni Rützler im „Food Report 2017“, den sie in Kooperation mit dem Zukunftsinstitut und der Lebensmittelzeitung erstellt hat. Darin nimmt sie uns mit in eine kulinarische Zukunft, die längst begonnen hat. FOGS hat sich die interessantesten Thesen herausgepickt und mit der Autorin darüber gesprochen.
These 1: Die jungen Wilden mischen die Branche auf
Es gibt Experten, die sagen, die Food-Branche stehe womöglich am Beginn der größten Transformation seit der Grünen Revolution. Auf den Markt drängen immer mehr Food-Start-ups, die die altbekannte Lebensmittelkette (Produzent, Verarbeiter, Händler/Gastronomie, Konsument) außer Acht lassen und stattdessen neue, direktere Verbindungen schaffen.
FOGS: Frau Rützler, jagen die Start-upper den Platzhirschen im Handel bald die Kunden ab?
Hanni Rützler: Ich glaube nicht, dass der Handel existenziell bedroht ist. Aber er hat sich in den letzten Jahren nur auf die Konkurrenz und auf den Preis fokussiert, und da ist Platz entstanden für kleinere, innovativere, meistens urbane Lösungen. Das sind oft Quereinsteiger, die viel kundenorientierter denken und Sachen einfach ausprobieren. Dabei gehen sie gleichzeitig sehr professionell vor, nutzen das Internet genauso wie regionale Netzwerke. Sie erlauben sich, kleinere Zielgruppen und Geschmackseliten anzusprechen. Nehmen wir die Food-Delivery-Services, die es mittlerweile in vielen Großstädten gibt: Sie bieten dem Kunden maßgeschneiderte Angebote, wie zum Beispiel besonders gesunde oder vegane Gerichte über www.eatclever.de oder hochwertige Speisen aus den besten Restaurants über www.foodora.de, die jetzt sogar mit dem Zwei-Sterne-Lokal „&samhoud places“ in Amsterdam zusammenarbeiten.
These 2: Ihre Geschmacksknospen können was erleben
Laut Food Report 2017 ist „New Flavoring“ einer der großen Trends. Vergessene Aromen werden wiederentdeckt, andere werden neu kombiniert oder durch Fermentation verändert. Gleichzeitig versuchen Neurowissenschaftler, unsere Geschmackswahrnehmung zu beeinflussen.
FOGS: In diesem Bereich scheint nichts mehr unmöglich. In Japan wurde sogar eine Gabel entwickelt, die einen salzhaltigen Geschmack auf der Zunge erzeugt. Klingt das nicht alles nach einer „schönen neuen Geschmackswelt“?
Hanni Rützler: Was ich spannend finde, ist, dass auf allen Ebenen geforscht wird und man versucht, neue Ansätze zu finden. Ich denke nicht, dass sich diese Gabel durchsetzen wird. Wir wollen aber raus aus diesen klassischen standardisierten Geschmackswelten. Bei der Verarbeitung von Lebensmitteln drehte sich bisher alles um Effizienz, Produktsicherheit, Haltbarkeit, aber das ging oft auf Kosten des Geschmacks, der dann im Nachhinein zugefügt wurde. Da gibt es nun eine Gegenbewegung. Es darf wieder schmecken, wir sehen das bei Rüben und auch Tomaten. Auch die Landwirtschaft bekommt weitere Auflagen. Da ist eine neue Sehnsucht nach stärkeren Geschmackswelten, aber eben nicht klassisch mit Gewürzmischungen.
These 3: „Convenience“ wird frischer und gesünder
„Wir brauchen smarte Esslösungen im Convenience-Bereich“, fordert der Food Report 2017. Die Menschen haben die 08/15-Fertiggerichte satt und wollen stattdessen frische Lebensmittel genießen. Allerdings haben sie weiterhin keine Lust auf ein aufwendiges Drumherum.
FOGS: Wie kann man diesen Ansprüchen gerecht werden?
Hanni Rützler: Beim Thema „Convenience“ geht es nicht mehr nur um hochgradig verarbeitete Fertiggerichte, sondern darum, den Prozess des Kochens attraktiver zu machen. Was tut man gern, was lagert man lieber aus? Zum Beispiel die aufwendige Besorgung, die online in Zukunft einfacher geht. Mittlerweile sind auch die Frischeabteilungen in den Lebensmittelmärkten viel größer geworden, es gibt unter anderem geschnittene und gewaschene Salate, in Nordeuropa noch viel häufiger als bei uns. Interessant finde ich in den USA auch die sogenannten Bowls, also Schalen, die frisches Gemüse, gekochtes Getreide und eine Soße enthalten. Die stellt man in die Mikrowelle und hat etwas Frisches und Warmes.
These 4: „Regional“ macht jeder – jetzt kommt „brutal lokal“
Seit der Lebensmittelhandel das Thema Regionalität professionell aufgegriffen hat, ist der Trend geradezu explodiert, so Hanni Rützlers Beobachtung. Das frühere Alleinstellungsmerkmal ist im Mainstream angekommen, und darauf reagieren einige Köche nun mit einer radikalen Kochphilosophie.
FOGS: Frau Rützler, Sie nennen das „brutal lokal“ – wie wird das Regionale auf die Spitze getrieben?
Hanni Rützler: Ein gutes Beispiel ist René Redzepi aus dem Noma (www.noma.dk, Anm.), Mitbegründer der Neuen Nordischen Küche. Er fragt sich: Was gibt’s denn hier im Norden, was sind die Eigenheiten? In einem gesättigten Markt, wo eigentlich alles rund ums Jahr verfügbar ist, sind die aufregendsten Sachen doch die, die man nur für bestimmte Zeit in ganz bestimmten Biotopen erhält. Redzepi spielt das Thema in einer Radikalität, die zum Teil die klassische Kulinarik verlässt. Auch bei der Menüfolge. Er macht den Gast – je nach Saison – zum Gärtner, zum Fischer oder zum Jäger und führt ihn ganz nah ran an das Produkt. Er grenzt das Angebot lokal und saisonal extrem stark ein, unterstreicht damit aber eben auch die Einmaligkeit.
These 5: Die Zukunft liegt im Wasser
Der Themenschwerpunkt des Food Reports 2017 ist „Meer & Mehr“. Während wir in Europa unseren Fleischkonsum weiter herunterfahren, steigt der Hunger nach Fisch stetig. Moderne Aquakulturen oder Teichbewirtschaftung nach ökologischen Richtlinien sind eine Möglichkeit, den wachsenden Bedarf zu decken. Eine andere ist Aquaponik: Bei dieser Art des „Urban Farming“ werden mitten in der Stadt Fischzucht und Gemüseanbau miteinander kombiniert.
FOGS: Wenn mittlerweile Fische auf dem Hochhausdach gezüchtet werden, warum sollen dann nicht auch Gemüse und Kräuter unter Wasser im Meer wachsen?
Hanni Rützler: Ja, wer hätte das gedacht? Das Projekt „Nemo’s Garden“ (www.nemosgarden.com) ist einfach bezaubernd und es scheint so schlüssig. Da gedeihen auf dem Meeresboden Pflanzen in mit Luft befüllten Ballons, gewässert durch kondensiertes Meerwasser. Natürlich ist das nicht massentauglich, aber Welternährung ist ein Riesenthema im Hintergrund. Jede Lösung, die regionale Potenziale ernst nimmt, ist hilfreich. Das ist eine Möglichkeit für Regionen, die zwar von Wasser umgeben sind, aber keinen fruchtbaren Boden haben. Da muss man die Landwirtschaft auch verlassen können. Gut, der Fischer kommt sicher nicht auf die Idee, unter Wasser Gemüse zu züchten, aber er kommt vielleicht auf die Idee, Algen zu sammeln. Und auch hier sehe ich großes Potenzial. Algen erobern langsam, aber sicher unsere Küche, nicht nur in japanischen Gerichten wie Sushi oder Algensalaten, sondern zum Beispiel auch als Pasta. Die ist nicht nur wahnsinnig sättigend und hat weniger Kalorien, sie schmeckt fast erschreckend ähnlich wie Nudeln.
These 6: Macht es wie die Kalifornier
Im Gastro-Teil des Food Reports wird Kalifornien in den höchsten Tönen gelobt, als „Essential Food Destination“ – also als eine Region, die entscheidende kulinarische Impulse in alle Welt aussendet.
FOGS: Was kann sich die deutsche Gastronomie denn von der New California Cuisine abgucken?
Hanni Rützler: Mich fasziniert, wie man dort mit den Themen Regionalität und Frische umgeht. Da haben die Lokale ihre eigenen Farmen, oder die Farmen haben ihre eigenen Lokale. Die Landwirtschaft ist hier viel enger vernetzt mit der Gastronomie, davon können wir lernen. Natürlich genießen die Kalifornier mit dem ewigen Frühling einen klimatischen Vorteil, hier ist Vielfalt einfach Standard. Aber man erlebt dort Frische auf einem Niveau, das an den gängigen Klischees von Amerika rüttelt. Wen wundert es, dass aus der Gegend um das Silicon Valley auch viele Food Start-ups kommen? Die Foodtruck-Bewegung entstand hier. Außerdem wurden andere Esskulturen wie die asiatische Küche über Generationen in neue Rezepturen integriert. Hier bei uns kommen wir etwa bei der türkischen Küche ja leider über den Döner nicht hinaus.
Foto: Nicole Heiling