Als Hundebesitzer*in kennt man das ja: Haare sammeln sich überall in der Wohnung und spätestens beim Bürsten überlegt man sich scherzhaft, wie viele Strickpullover all diese Haarberge bereits ergeben hätten. Genauso ging es den beiden Berlinerinnen Ann Cathrin Schönrock und Franziska Uhl, mit dem Unterschied, dass sie es schlussendlich wirklich taten.
Sie sahen, dass mit Hundehaar, genauer gesagt mit der flauschigen Unterwolle, jährlich 500 Tonnen eines hochwertigen Rohstoffes einfach weggeworfen wurden und beschlossen, ein feines Garn daraus zu entwickeln. All die Mühe hat sich gelohnt: Die beiden gründeten ihr Label Modus Intarsia, seit Dezember 2020 sind Chiengora-Produkte außerdem im Rahmen einer Crowd-Funding Kampagne zu haben und das erste Finanzierungsziel wurde bereits erreicht.
Aber wie kommt man eigentlich auf so eine Idee? Darüber haben wir mit einer der Gründerinnen Ann Cathrin Schönrock geplaudert. Allen voran, die Frage, die uns wohl allen auf der Zunge brennt …
Hand auf’s Herz: Wie oft hörst du die Frage, ob euer Garn nach Hund riecht?
Ich habe nach dem 78. Mal aufgehört, mitzuzählen. Ich würde sagen, dass ca. 80% der Menschen, die hören aus welchem Rohstoff das hochwertige Produkt ist, erstmal daran riechen. Natürlich nur um festzustellen, dass es nach gar nichts riecht. Chiengora riecht genauso wenig nach Hund, wie Kaschmir nach Ziege riecht.
Die meisten Menschen machen sich nämlich gar nicht klar, dass Kaschmir von Ziegen kommt. Zusätzlich ist die Ziege ein Tier, welches den allermeisten nur vom Bauernhof bekannt ist. Hunde wiederum kennt jeder, sie leben inmitten unserer Gesellschaft und jeder hat bestimmte Konnotationen mit ihnen. Eine davon ist eben der Geruch vom nassen Hund – leider! Das macht es uns natürlich nicht einfacher und wir laden jede*n zum Reflektieren ein.
Was gab denn den Ausschlag für den Start dieses Projekts?
Das ist inzwischen schon einige Jahre her. Da war ich noch im Studium und als Mode- und Strickdesignerin auf der Suche nach wirklich authentisch-nachhaltigem Garn. Ich habe selbst einen Hund, meine Mutter gleich zwei und so bin ich auf Hundewolle aufmerksam geworden. Ein Schlüsselmoment war wohl, als ich dabei war als meine Mutter anfing, die ausgekämmte Unterwolle zu sammeln, weil sie “ja zu schade zum Wegschmeißen” sei. Stimmt auch! Qualitativ ist die Faser vergleichbar mit Kaschmir.
Nachdem ich auch nach einer Weile das erste Garn in den Händen hielt, ziemlich viel recherchierte und mit Hundehaltern und Modemenschen gesprochen habe, verwarf ich den Gedanken damit meinen Master zu machen. Ich wollte größer denken und einen langwierigen ökologischen Einfluss nehmen können. Das war auch der Moment in dem ich das Handy in die Hand nahm und Franzi anrief. Seitdem sind wir zu zweit unterwegs.

Warum glaubst du, machen das nicht bereits viel mehr Unternehmen?
Es ist sehr aufwendig, überhaupt eine relevante Menge an ausgekämmter Unterwolle zusammen zu bekommen. Man kann damit also nicht schnell viel Geld machen, reich wird man damit sowieso nicht. Uns geht es nicht ums Geld. Wir wollen hochwertige Ressourcen retten und dem textilen Markt zeigen, dass eine hochwertige tierische Faser auch komplett tierlieb angeboten werden kann. Für unser Garn wird kein einziges Tier extra in die Welt gesetzt. Allein dieser Ansatz ist schon radikal anders.
Jetzt ist unser Chiengora noch neu und Konsument*innen wurden bisher nicht so sozialisiert, dass Wolle auch vom Hund kommen kann. Dabei ist Chiengora wohl einer der ökologischsten und ethischsten tierischen Fasern. Das steckt auch viel Aufklärungsarbeit dahinter. In ein paar Jahren wird niemand mehr denken unser Garn könnte riechen.
Wie reagierte euer privates Umfeld auf die Idee?
Anfangs hörte ich auch mal “Ich glaube nicht, dass das funktioniert” und bekam natürlich die gesamte Brandbreite der Vorurteile zu hören. Inzwischen haben wir ein ausgeklügeltes, funktionierendes System und schaffen Innovation auf mehreren Ebenen. Wir gewinnen Preise und werden staatlich gefördert. Wenn jetzt jemand noch ein Vorurteil äußert, können wir einfach ein Swatch, also eine gestrickte Probe des Garnes zücken und es dem Gesprächspartner in die Hand drücken. Spätestens dann ist eh jeder überzeugt.
Aus dem Industriegarn werden Pullover, Beanies und Heimtextilien erzeugt, in Zukunft soll es auch der Modeindustrie zugänglich gemacht werden. Zusätzlich verkauft ihr Chiengora auch als Handstrickgarn. Hat das einen speziellen Hintergrund?
Tatsächlich hat es mit dem Handstrickgarn begonnen. Es war die einfachste Methode, ohne mit zu viel Entwicklungsarbeit zu testen, ob Garn aus Chiengora gekauft wird. „Proof of Concept“ nennt man das. Da es von Anfang an gut lief und weiterhin nachgefragt wird haben wir beschlossen es beizubehalten und weiter auszubauen. Im kommenden Jahr wird es neben fertigen Produkten aus unserem Industriegarn auch weitere Sets zum selber stricken geben.
Noch bis 29. Januar kann man die beiden über Startnext dabei unterstützen, ihr 2. Fundingziel zu erreichen.