Julia Zirpel ist Modejournalistin, Autorin von „The Fashion Yearbook“ und Mitbegründerin der nachhaltigen Modeplattform the wearness. Die Plattform vereint nachhaltige Mode und Beautyprodukte und es werden nur Brands aufgenommen, die tolles Design, tadellose Qualität und nachhaltige Produktionsmethoden vorweisen können. Aktuell ist the wearness mit einem Pop-Up Store im Ingolstadt Village, der bis zum 18.03.2023 geöffnet ist. Danach ist das Sortiment wieder in der Theresienstraße 46 in München zu finden. Wir haben mit Julia Zirpel über the wearness gesprochen.

FOGS: Wie bist du dazu gekommen, the wearness zu gründen?
Julia Zirpel: „Als langjährige Modejournalistin und Fashion Director bei Magazinen wie Myself, Cosmopolitan und Interview habe ich miterlebt, wie Mode immer schneller in die Läden und Kleiderschränke wandert, aber genauso schnell wieder weggeworfen wird. Mode ist in den letzten Jahren immer mehr zum Wegwerfartikel geworden. In Deutschland werden jedes Jahr mehr als eine Million Tonnen Textilien vernichtet und die Modeindustrie wird damit zu einem der größten Umweltverschmutzer. Ab Mitte der 2010er Jahre bemerkten wir eine Veränderung im Denken der Leser: Sie hinterfragten mehr. Plötzlich wollten viele wissen, wo man am besten schöne und nachhaltig produzierte Kleidung kaufen kann. Zu dieser Zeit studierte ich Innovationsmanagement mit dem Schwerpunkt auf den drei P: People, Planet und Profit. Das brachte mich auf die Idee für the wearness. Unser Ziel war und ist es, das Image von nachhaltiger Kleidung zu verändern. Denn Produkte müssen gekauft werden, weil die Menschen sie schön finden und sich in ihnen wohlfühlen. Stil und Qualität spielen dabei eine große Rolle. Auch bei nachhaltiger Mode. Bei the wearness bieten wir eine Shopping-Alternative für Modebegeisterte: Hier kann man fair, transparent und mit gutem Gewissen einkaufen – ohne auf Stil und Qualität zu verzichten!“
FOGS: Was ist der Vorteil davon, nachhaltige Brands auf einer Plattform zu vereinen?
Julia Zirpel: „Viele der Brands, die wir auf the wearness verkaufen, sind kleine Designerlabels. Für sich allein genommen haben sie kaum Sichtbarkeit. Indem wir sie kuratiert zusammenbringen, findet der Kunde eine größere Auswahl an Marken, bei denen er sicher sein kann, dass alles, was wir verkaufen, tatsächlich nachhaltig ist, aber auch in Bezug auf Design und Qualität überzeugt. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir eine Bandbreite an Nachhaltigkeit präsentieren können. Fast jedes Label hat seinen eigenen Weg. Wir versuchen, dies dem Kunden durch unsere zehn Nachhaltigkeitssymbole, die für Eigenschaften wie „vegan“, „organic“ oder „fair“ stehen, leicht zu vermitteln. So wird jedes Label durchleuchtet.“
Eine Auswahl der nachhaltigen Brands auf der Plattform






FOGS: Welche Kriterien muss eine Brand erfüllen, um bei the wearness angeboten zu werden? Wie habt ihr diese festgelegt?
Julia Zirpel: „Bevor wir mit den Marken arbeiten, müssen sie einen sehr detaillierten Fragebogen ausfüllen. Dieser deckt alle Aspekte der Nachhaltigkeit ab. Wir wollen wissen, wo die Stärken der Marken liegen, aber auch, wo es noch Schwächen gibt. Dieser Fragebogen ist auch die Grundlage für die Auswahl der Icons. Transparenz und Ehrlichkeit der Unternehmen sind uns besonders wichtig. Anhand dieses Fragebogens können wir erkennen, ob ein Unternehmen wirklich nachhaltig sein will oder dies nur als Marketinginstrument nutzen will und uns für Greenwashing missbraucht. Ebenso wichtig bei der Produktauswahl sind auch Stil und Qualität. Letztlich kaufen wir, weil es uns gefällt. Und wir tragen die Produkte nur dann lange, wenn sie uns gefallen.“
FOGS: Liegt die Zukunft deiner Meinung nach im Onlinehandel oder im stationären Handel? Was sind die Vor- und Nachteile für nachhaltige Brands?
Julia Zirpel: „Ich bin fest davon überzeugt, dass es nicht mehr nur beim Verkauf von Mode eine Frage von digitalem oder analogem Konsum sein wird, sondern in allen Bereichen, und dass wir anfangen müssen, beides zusammen zu denken. Der Kunde erwartet hybride Geschäftsmodelle. Der Online-Handel ist nicht an einen bestimmten Ort gebunden, man kann viele Dinge gleichzeitig entdecken, und er bietet eine große Chance, viele Informationen über die Produkte und Labels zu vermitteln. Das ist gerade für nachhaltige Marken wichtig, denn sie haben meist spannende Geschichten zu erzählen. Im stationären Handel hingegen kann man die Marken und Teile viel besser „erleben“. Man kommt in direkten Kontakt mit dem Kunden und es entsteht ein anderes Vertrauensverhältnis.“
FOGS: Wie kann man Mode online erlebbar machen? Wo sind die Grenzen?
Julia Zirpel: „Online bedeutet nicht nur Online-Geschäft. Denn alle Produkte, die im Laden verkauft werden, sind auch auf Social Media verlinkt. Der Vorteil dabei: Durch die verschiedenen Kanäle, wie Insta-Stories oder Reels, können Styling-Tipps und Styling-Videos digital gezeigt werden. Auf diese Weise wird auch Online erlebbar.“

FOGS: Welche Erwartungen hast du von dem Pop-Up Store in Ingolstadt?
Julia Zirpel: „Nachhaltige Mode muss aus der Nische herauskommen und dort sichtbar sein, wo sich auch andere Marken präsentieren. Bei the wearness ist es uns ein besonderes Anliegen, zu zeigen, dass nachhaltige Mode genauso schick, modern und hochwertig ist wie die Mode anderer Designerlabels. Hier in Ingolstadt Village haben wir die perfekte Gelegenheit, uns in genau diesem Umfeld zu präsentieren.“

FOGS: Was hast du als Gründerin und CEO in den letzten Jahren gelernt?
Julia Zirpel: „Die letzten Jahre waren von Krisen geprägt, die in keinem Geschäftsplan im Voraus berücksichtigt werden konnten. In der Tat glaube ich nicht mehr an eine Planung, die sich in einer Exceltabelle berechnen lässt. Die Lektion der letzten Jahre war, flexibel zu bleiben, Chancen zu nutzen, wenn sie sich bieten, und jede Herausforderung mutig anzunehmen. Und vielleicht das Wichtigste: Geduld. Ein florierendes Unternehmen entsteht nicht über Nacht. Wir alle brauchen alle einen langen Atem.“
FOGS: Wo siehst du die Zukunft von the wearness?
Julia Zirpel: „Tatsächlich wünsche ich mir, dass man irgendwann keine Shoppingdestination für nachhaltige Mode mehr braucht, sondern dass nachhaltige und faire Mode eine Selbstverständlichkeit ist. Bis dahin ist es leider noch ein weiter Weg. Und was würde das für the wearness bedeuten? Da wir bereits heute als „Trüffelschwein“ für kleine, feine Marken gelten und wertgeschätzt werden, ist das der Weg, den wir in Zukunft gehen werden. Unser Ziel: die erste Adresse für besonderes Design zu werden, selbstverständlich auch nachhaltig.“