Coffee-to-go-Becher, Plastikverpackungen, Einwegbesteck. Was diese Dinge gemeinsam haben? Wir werfen sie nach nur einem Gebrauch weg. Aber “weg” heißt in diesem Fall nicht einfach vom Erdboden verschwunden. Im Gegenteil, denn werden diese Kunststoffe nicht mit bedenklich viel Emission verbrannt, bleiben sie für lange Zeit auf der Erde. Im wahrsten Sinne des Wortes. Abhilfe soll sogenannter Biokunststoff bieten, der biologisch abbaubar ist und/oder aus natürlichen Materialien besteht. Und das Wort „Bio“ suggeriert doch auch schon ein gutes Gefühl, oder? Einem genaueren Blick halten viele dieser „grünen“ Plastikversionen aber leider nicht so recht stand.
Man muss nämlich unterscheiden:
Biokunststoff/Bioplastik: So werden Kunststoffe genannt, die biologisch abbaubar sind, sowie Kunststoffe, die aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wurden. Letztere müssen aber nicht zwangsläufig biologisch abbaubar sein.
Biologisch abbaubar: Stoffe, die durch Enzyme oder Mikroorganismen komplett zersetzt werden können. Nicht nur am Kompost, sondern auch in großen Abfallanlagen.
Kompostierbar: Stoffe, aus denen nach einer bestimmten Zeit unter geregelten Bedingungen Kohlendioxid, Biomasse (Humus) und Wasser entstehen. Wichtig sind hier Temperatur, Sauerstoffgehalt und Feuchtigkeit des Kompostbehälters.
Manche Biokunststoffe können also verrotten. Meist dauert das jedoch sehr lange, manchmal sogar mehrere Jahre. Daher sind sie in den meisten Fällen weder gut kompostierbar noch recycelbar und landen im Restmüll. Danach filtert man sie mühsam heraus und verbrennt sie letztlich ebenfalls. Auf Seiten der Entsorgung ist man also noch ein wenig überfordert mit den neuen Alternativen. Auch die Herstellung mancher Biokunststoffe ist kritisch. Denn sie bestehen oft aus Ressourcen, die zwar natürlich sind, aber stattdessen als Nahrungsmittel verwendet werden könnten. Beispiele sind Mais- und Kartoffelstärke oder Zuckerrohr.
Ein Biokunststoff, der auch bio ist
Hier kommen Anne Lamp und Johanna Baare ins Spiel. Erfinderin Dr. Anne Lamp hat an der Technischen Universität Hamburg Verfahrenstechnik promoviert. Sie beschäftigt sich seit über sechs Jahren mit dem Thema Bioraffinerie, also der ganzheitlichen Verwertung aller Pflanzenteile von Nutzpflanzen. Das Ziel der Beiden: Einen Biokunststoff zu entwickeln, der nicht aus Pflanzen aus dem Nahrungsmittelsektor besteht und möglichst schnell und vollständig verrottet. Und dank ihrer neuen Spezialtechnologie haben sie das im Jahr 2021 tatsächlich auch geschafft: traceless materials war geboren.
Und das funktioniert so:
Abfälle aus der Agrarindustrie wie Stärke oder Brauerei-Rückstände werden in nachhaltige Alternativen zu herkömmlichen Frischhaltefolien, Hartplastikverpackungen oder Kunststoffbeschichtungen umgewandelt. Außerdem wird auf die Beigabe von Weichmachern oder Lösungsmitteln verzichtet. Das Ergebnis ist ein rein natürliches Material, das nicht nur vollständig biobasiert ist, sondern auch innerhalb von zwei bis sechs Wochen im Bioabfall zu Hause kompostiert werden kann. Das Material hält somit, was der Name verspricht. Landet die Folie nämlich doch mal im Restmüll, baut sie sich auch dort ab, ohne eine Spur zu hinterlassen – traceless eben.
Das neue Material beeinflusst also weder Weiterverarbeitung noch Recyclingfähigkeit anderer Stoffe im Abfall. Verbraucher:innen müssen sich deshalb keine Gedanken machen, in welchen Mülleimer sie traceless-Produkte werfen. Idealerweise landen sie natürlich auf dem Kompost oder im organischen Abfall.
Auf den Preis kommt’s an
Nach Angaben des Start-ups werden bei der Herstellung keine schädlichen Zusatzstoffe benötigt und bis zu 87 % der Kohlenstoffemissionen eingespart. Weil der Rohstoff der Plastikalternative günstig ist, ist das Material wettbewerbsfähig. Außerdem ist das Produktionsverfahren, dass Anne erfunden hat, weniger komplex und letztendlich auch deutlich kostengünstiger als bisher dagewesene Prozesse.
Ist die Produktion erst einmal auf ein industrielles Niveau hochgefahren, wird der neue Biokunststoff immer günstiger werden. Das ist wichtig, denn clevere, umweltschonende Alternativen gibt es bereits unzählige – die Entscheidung über ihren Erfolg trifft aber schlussendlich immer ihr Preis. Können die Materialien also auch hier mithalten, erhöht sich die Chancen, dass sie viele Verpackungen ersetzen, die potentiell in der Umwelt landen.
Auch biologisch-abbaubares Essbesteck wäre mit traceless möglich.
Der neue Biokunststoff in den Startlöchern
Erste Pilotprodukte für Verpackungsunternehmen sowie Unternehmen aus der Konsumgüterindustrie sollen Anfang 2022 auf den Markt kommen. Bereits im April diesen Jahres setzte sich das Projekt außerdem gegen 189 anderen Start-ups aus über 30 Ländern durch und gewann den Green Alley Award 2021. Der erste europäische Start-up-Preis für Circular Economy wird seit 2014 vergeben. Er zeichnet junge Unternehmen aus, die mit ihren Lösungen dazu beitragen, weniger Ressourcen zu verbrauchen und Abfall zu reduzieren. Das Preisgeld in Höhe von 25.000 Euro wollen Johanna Baare und Anne Lamp in Schulungen und Zertifikate investieren, um noch mehr Vertrauen und Anerkennung bei den Verbraucher:innen zu gewinnen.
Der Gedanke hinter traceless materials unterstützt übrigens auch das Verbot bestimmter Einwegkunststoffe wie Plastikbesteck oder Strohhalme in der Europäischen Union, das im Juli dieses Jahres in Kraft trat. Ein erklärtes Ziel der EU in ihrer Plastics Strategy ist es, unter anderem dafür zu sorgen, dass bis 2030 alle Kunststoffverpackungen recycelbar oder wiederverwendbar sein müssen. Wir drücken dafür die Daumen!
Beitragsbild: Naja Bertold Jensen via Unsplash