Im Nebel vermeintlicher Alternativen
Allein in Deutschland gibt es derzeit rund 900.000 Menschen, die vegan leben. Ihr größter Antrieb: Das Leid der Tiere zu reduzieren. Nicht nur das Essen, auch die Wahl der Mode spielt für Veganer eine immer größere Rolle. Doch was ist vegane Mode eigentlich und wieso ist der Griff zur synthetischen Alternative nicht automatisch die nachhaltigere Wahl?
Oberflächlich betrachtet kann ein veganes Produkt aus all jenen Textilien bestehen, die aus Fasern nicht tierischen Ursprungs hergestellt werden. Pflanzliche Fasern wie Baumwolle, Leinen oder Hanf – aber auch Synthetik- oder sogenannte Regeneratfasern. Der Marktanteil dieser beiden Fasergruppen liegt aktuell bei 90 Prozent. Wenn man aus Verbrauchersicht alle Produkte dieser Gruppen als vegan betrachtet, kann man sich bezüglich der Sortimentsgröße kaum beschweren. Der Verzicht auf Leder, Wolle oder Edelhaar ist keine sonderliche Herausforderung. Vom Mode-Diskounter bis zur High End Label gibt es heute fast überall vereinzelte Teile einer grünen Bio-Collection. Meist ist diese kaum teurer als der Label-typische Preis.

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Und weil Max Mustermann sich dann keine Gedanken mehr über Produktion und Herkunft machen muss, landet die angebliche Bio-Alternative in der Shopping Bag. Beim nächsten Schluck aus dem Green Smoothie-Gemisch vom Supermarkt fühlt er sich gleich einen großen Schritt weiter in Richtung Gutmenschentum. Doch so einfach ist es nicht. Denn nur der Verzicht auf nicht-tierische Fasern allein macht noch kein veganes Kleidungsstück.
The next Level
Fakt ist: Viele selbsternannte Veganer graben an der grünen Oberfläche. Das ist mit Sicherheit besser, als einen ignoranten Bogen ums Thema Fair Fashion zu machen. Dennoch impliziert Veganismus nicht allein das Weglassen tierischer Produkte jeder Art – wenn es nur so einfach wäre! So ist Kleidung aus Baumwolle genauso wenig konsequent vegan, wie Schuhe aus Kunstleder. Denn: Viele Komponenten der Kleidungsherstellung, sind tierischen Ursprungs und können bei ihrer Produktion dennoch Tierleid mit sich bringen. Aber wie findet man sich im veganen Konsum-Dschungel zurecht und geht tatsächlich auf Nummer Sicher?

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In der Alternativen-Falle
Statt zum Originalmaterial greift der Anfänger-Veggie von heute nun also zum Kunstprodukt, um weder Flora noch Fauna zu schaden. Jedoch werden nach wie vor viele Farb- und Hilfsmittel in Tierversuchen getestet. Ebenso sind Klebstoffe, die vor allem bei der Schuhproduktion eingesetzt werden, oftmals aus Inhaltsstoffen, die tierischen Ursprungs sind oder an Tieren getestet werden. Kunststoffe bestehen sehr häufig aus Roh-Öl, dessen Abbau die Unterwasserwelt schädigt und Verknappung für das Sterben tausender Vogelarten verantwortlich ist. Immer mehr Designer verzichten zwar auf tierische Materialien wie Pelz, Wolle, Seide, Daunen oder Leder. Leider ist es mit dem alleinigen Rohstoff-Austausch aber nicht getan.

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Der Blick auf die Blutkreisläufe und Mägen von Wassertieren zeigt, wie viele Kunststoff- und Mikroplastik-Abfälle unseren großen Gewässern zu schaffen machen. Hinzu kommt, dass Details an Klamotte oder Schuh oft nach wie vor aus tierischen Materialien bestehen können. So ist die neue „grüne“ Jeans vielleicht aus nachhaltiger Hanffaser gewebt, jedoch mit Leder-Etikett und Knöpfen aus Horn oder Perlmutt versehen. Spätestens hier beißt sich die vermeintliche Eco-Cat in den Schwanz. Denn nur wer sämtliche Bestandteile und Schritte der Herstellung seines Produkts kennt, kann und sollte behaupten dürfen, ein rein veganes Kleidungsstück herzustellen.
Gesetzeslücke Veganismus
Alle eingesetzten Pflanzenfasern müssten aus kontrolliert biologischem Anbau stammen. Verwendete Chemikalien sollten dabei in ihrer Zusammensetzung bekannt und dahin gehend getestet sein, dass sie nicht fischgiftig sind, wenn sie ins Abwasser gelangen. Außerdem muss klar sein, woraus Knöpfe, Aufnäher, Etiketten oder Schnürsenkel bestehen und welche Klebstoffe bei ihrer Produktion eingesetzt werden. Die Umstände in der Textilindustrie müssen sich nachhaltig ändern, damit kein Tier für unsere Kleider, Accessoires oder Schuhe leiden muss.

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Siegel wie die „Vegan Society England“ oder „PeTA – approved vegan“ zeigen dem Verbraucher, dass die Produkte frei von tierischen Inhaltsstoffen sind. Jedoch ist die Bezeichnung „vegan“ nicht gesetzlich definiert und so gibt es kaum transparente Kontrollinstrumente. Ob ein Kleidungsstück demnach über den Rohstoff hinaus wirklich vegan ist, ist nicht sichergestellt. Der Verzicht auf Fasern tierischen Ursprungs bedeutet, sich Alternativen zu suchen.
Und auch wenn bei vielen Produkten leicht auf pflanzliche Fasern zurückgegriffen werden kann, ist dies bei anderen nicht immer möglich. Beispielsweise kann eine Winterjacke im Rohmaterial aus Naturfasern bestehen, spätestens bei der Wattierung ist der Griff zur synthetischen Faser nötig. Auch bei Lederprodukten ist es schwierig, Ersatz aus ausreichenden, natürlichen Rohstoffen herzustellen. Und gerade Fasern aus Synthetik und das derzeit so stark gehypte Kunstleder sind in der Regel nicht biologisch abbaubar. Sie werden größtenteils aus nicht erneuerbaren Rohstoffen wie Erdöl und Erdgas hergestellt. Und nicht nur bei der Herstellung von Kunstfasern entstehen Umweltschäden, sondern auch der konventionelle Anbau von Pflanzenfasern geht stark zu Lasten unseres Planeten.

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So, what now?
Long story short: Der reine Verzicht auf tierische Fasern ist in Sachen ehrlicher Nachhaltigkeit gewiss ein Schritt in die richtige Richtung. Doch man überschreitet hierbei längst nicht die Zielgerade eines veganen Langstreckenlaufs. Verbraucher sollten bei der Auswahl möglicher, tierfreier Alternativen die Ursprünge hinterfragen. Konsequenter Veganismus bedeutet, jegliche Schädigung der Tierwelt zu vermeiden, auch die durch negative Umwelteinflüsse hervorgebrachten. Mode aktiv nach Tierschutzaspekten zu hinterfragen erfordert Recherchezeit, sorgt aber für einen klareren Fokus und unterstützt diejenigen Hersteller, die tatsächlich im Zeichen der Tiere handeln.
Manchmal nutzt es dem Tierwohl mehr, „gute“ Wolle zu kaufen, anstatt den leichten Weg zu wählen und kategorisch auf Wolle zu verzichten. Der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft e.V., kurz IVN, rät, sich für Textilien zu entscheiden, die „IVN BEST“ gesiegelt sind. Dieses Zertifikat verbietet alle Formen der Tierquälerei, regeln artgerechte Tierhaltung, Transport und Schlachtung, schließen den Einsatz von Chemikalien aus und schreiben eine ökologische Landwirtschaft vor. So kann jeder Veganer dann selbst wählen, sich innerhalb dieser zertifizierten Produkte für die nicht tierischen Varianten zu entscheiden. Vegan Best Practice leichtgemacht.
Titelbild: Sam Carter über Unsplash