„Wir besticken hier keine Kissen“, musste sich die damals 24-jährige Charlotte Perriand von Architekturikone Le Corbusier anhören, als sie ihn 1927 um eine Anstellung bat. Gerade einmal ein halbes Jahr dauerte es, bis er seine Worte revidierte: Perriands Entwurf einer Bar, den sie am Pariser Herbstsalon ausstellte, war industriell, geometrisch und durch den Einsatz von Glas und Metall seiner Zeit definitiv voraus. Genau dieser Stil sollte das Interiordesign des nächsten Jahrzehnts prägen und Perriand bis zu ihrem Tod als Frau in der Design- und Architekturwelt Geschichte schreiben.
Möbeldesignerin Paola Navone ging schon in jungen Jahren raus in die Welt. Bereits ihre Diplomarbeit über die neue Avantgarde im Möbeldesign erweckte so viel Aufsehen, dass sie in das radikal moderne Designstudio Alchimia an der Seite von heute weltbekannten Designern wie Ettore Sottsass aufgenommen wurde. Nur schwer konnte man Kritikern erklären, dass die unkonventionellsten Ideen des Studios aus der Feder des einzigen weiblichen Mitglieds stammten.
Denkt man an Designklassiker der letzten Dekaden darf ein Name nicht fehlen: Inga Sempé. Die Französin ist erfolgreich, weiß, was sie will und kommuniziert das direkt. Wahrscheinlich liest man in Interviews männlicher Autoren deshalb recht oft, sie sei schwierig. Auch zur Frage, ob es im Design einen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt, hat sie eine deutliche Meinung: „Das ist irrelevant, eine weitere Einschränkung. Man möchte uns glauben machen, dass es ein weibliches Design gibt, während niemals ein mögliches männliches Design erwähnt wird. Letzteres wird weiterhin einfach als ‚Design‘ präsentiert.“ Ein guter Punkt. Ist diese Unterscheidung heute also ähnlich passé wie Raufasertapete und Fliesentisch?
Sinn für Sinnlichkeit
„Ich bin überzeugt, dass man weibliches Design spürt, in jedem Betrieb“, sagt Martina Ganthaler, als wir gemeinsam beim Aperitivo im Loungebereich des Hotel Muchele sitzen, das sie gemeinsam mit ihren Schwestern Anna und Priska führt. Als Design-Enthusiast bekommt man im Hotel der drei Schwestern an jeder Ecke Schnappatmung: Einmal im verschnörkelten Stuhl „Shadowy“ von Moroso sitzen, den Drink auf Beistelltisch „Aram“ von Gandia Blasco abstellen oder sich in den Loungechair „Cloudscape“ versinken lassen. Letzterer stammt ebenfalls von Moroso, kostet stolze 2400 Euro und steht einfach so in meinem Zimmer. „Was soll ich sagen, wir sind komplett wahnsinnig“, lacht die charismatische Hotelière über diese mutige Entscheidung. „Schau, wir als Designfreaks haben selbst die größte Freude, wenn wir durchs Hotel gehen und das überträgt sich schließlich auf die Gäste.“
Mit überschaubaren 40 Zimmern hat das Boutiquehotel im Südtiroler Ort Burgstall nahe Meran auffallend viele Stammgäste, mit denen hier geplaudert wird, als gehören sie zur Familie. „Wir wollen designaffine Genießer:innen anlocken, keine Schnösel. Und ich glaube schon, dass unsere feminine Handschrift da durchkommt“, so Martina. Von veralteten Girly-Klischees ist aber keine Spur. „Feminin ist bei uns die stimmungsvolle Beleuchtung, die liebevollen Details, die ansprechende Musik, die nie stört und eher für Hintergrundstimmung sorgt. Und unsere Kulinarik, die verführerisch, leicht und sinnlich ist. Alles ist ausgerichtet, um sich absolut wohlzufühlen – mit allen Sinnen.“
Ein Designansatz, den auch die „derzeit wichtigste Designerin der Welt“ verfolgt, wie sie das Wirtschaftsblatt Financial Times betitelte. Patricia Urquiola steht quasi in jedem Portfolio namhafter Interior-Brands von Italien bis Skandinavien. Sie entwarf die drei Penthouse-Suiten und die Terrasse des Hotel Muchele. Man lernte sich im Moroso-Showroom in Udine kennen und es funkte auf Anhieb.
Herzensangelegenheit
„Unser Hotel ist kein Konzept, es kommt aus dem Herzen raus“, sagt Martina während ihre Augen bei diesem Thema noch ein bisschen strahlender wirken als sonst. Erstaunlicherweise entstand vieles, das hier so besonders ist, durch Zufall und reine Intuition. Sogar den passenden Architekten und Küchenchef fand man auf diese Weise, erzählt Martina: „Weißt du, wie das ist, wenn du jemanden kennenlernt und es funkt vom ersten Moment an? Glaubt man an seine Vision, ergibt sich einfach alles und es muss auch nichts perfekt sein.“ Da kommt es schon mal vor, dass Martina gemeinsam mit einer belgischen Möbelverkäuferin, die hier zufällig urlaubte, spät abends noch die halbe Rezeption verschiebt, um ein Sofa richtig zur Geltung zu bringen. „Ich liebe so etwas“, sagt sie über diese Anekdote lachend. „Diese gegenseitige Unterstützung ist etwas Besonderes zwischen Frauen, das müssen wir vorantreiben.“
Konzept mit Persönlichkeit
Man will fast nicht weg von diesem bunten Ort, an dem man ständig neue Details entdeckt. Aber dennoch geht es für mich weiter in die kleine Gemeinde Algund, in der sich ein weiteres, durch weibliche Hand geführtes Hotel befindet. Eingebettet in Apfelhaine und ebenfalls nicht weit von Meran entfernt, findet man den Forsterhof. Hier führen das Mutter-Tochter-Gespann Christine und Magdalena Erlacher ein Hotel mit charmantem Konzept.
Statt Frühstücksbuffet bekommen die Gäste ein liebevoll-zusammengestelltes Etagere mit regionalen Produkten, die frisch vom Hof und den Streuobstwiesen der Familie stammen. Wer den Nachmittag am ruhigen Pool im Garten verbringen möchte, kann in der Bistro-Karte stöbern oder in der Bar den Lieblingscocktail selbst zubereiten – völlig ungezwungen, als wäre man daheim. Anstatt lautem Wellness-Bereich gibt es vier Spa-Suiten mit Whirlpool und/oder Sauna.
Das Abendessen wird genutzt, um die Gegend kennenzulernen und die lokale Gastwirtschaft zu unterstützen. Vor allem Mama Christine steht dabei mit passenden Ratschlägen zu Seite, wie Tochter Magdalena erzählt: „Den Kaiserschmarrn auf der Alm nicht probieren, weil man zum Mittagsbuffet ins Hotel zurückhetzen muss? Das wäre zu schade. Das schönste ist, wenn sich unsere Gäste untereinander austauschen, Restaurants und Ausflugsziele empfehlen und dabei sogar Freundschaften entstehen. “
Seine Wuzeln spüren
Ursprünglich als kleine Frühstückspension mit Landwirtschaft von den Großeltern geführt, stand Magdalena mit ihrer Familie irgendwann vor der schwierigen Entscheidung: Auflösen oder zeitgemäß weiterentwickeln? „Das Haus lag mir viel zu sehr am Herzen, ich bin hier aufgewachsen. Also bauten wir um.“ Hell, einladend und offen ist es hier nun. An jeder Ecke springen Familienschätze ins Auge – ein Gemälde oder eine alte Holzvitrine mit Schnitzereien.
„Männliches oder weibliches Design – mit dieser Unterscheidung tu ich mir dennoch schwer“, sagt Magdalena, als wir im Garten sitzen. „Dann denkt man wieder in Schubladen, was ich nicht möchte.“ Ein Hotel mit Herz zu führen, sei eine Sache von Leidenschaft, nicht von Geschlechterrollen. „Uns ist unsere Geschichte wichtig. Dass man weiß, woher man kommt und es nicht vergisst.“ Spätestens beim herzlichen Abschied spürt man, mit wie viel Empathie und Herzlichkeit Mutter und Tochter hier Gäste bewirten.
Weibliches Design als Chance
Typisch weiblich, typisch männlich – die einen sehen darin feine Unterschiede, die man zelebrieren sollte. Die anderen sehen größere Chancen darin, Design als genderfrei zu definieren. Die weltbekannte Architektin Zaha Hadid sah die Wahrheit irgendwo dazwischen: „Ich mochte es früher nicht, als ‘female architect’ bezeichnet zu werden. Ich bin eine Architektin, nicht nur eine Variante davon. Aber ich sehe immer wieder, wie sehr andere Frauen die Bestätigung brauchen, dass dieser Karriereweg auch für sie möglich ist – und das stört mich überhaupt nicht, es spornt mich an“, sagte die Architekturikone einst und beantwortet damit vielleicht auch unsere Frage.
Fotos: © Jennifer Koutni