„Willkommen in meinem 800km2 großen Büro“, begrüßt uns Werner Schuh an diesem sonnigen Morgen im Februar. Mit einer weiten Handbewegung deutet er auf das Bergpanorama vor uns, in dessen Mitte der Kitzsteinhorngletscher 3.200m in die Höhe ragt. Werner ist seit über 40 Jahren als Bergführer und Ranger tätig, früher weltweit, heute vorwiegend hier im Nationalpark Hohe Tauern, dem größten Schutzgebiet der Alpen. Von der Talstation im Salzburger Kaprun aus geht es heute mit insgesamt vier Liften durch vier Klimazonen rauf auf den Gletscher. Nebenbei erzählt der Nationalpark-Ranger von seinem Beruf, Wissenswertes über Tierwelt und Klima als auch einige überraschende Fakten über den Schnee. Denn Werners Karriere startete mit einem Studium in „Snow Science“ in Kanada.
„Kaum zu glauben, dass das hier mal Meeresboden war, oder?“ sagt Werner noch und zeigt auf einen Stein. Raunen geht durch die Jüngsten der Gruppe. Der Ranger pickt nun laufend Spuren von Tieren auf, die hier trotz des Skitourismus leben. Ob dieser die Tierwelt störe, frage ich besorgt. „Die Tiere haben sich gut mit dem Tourismus arrangiert. Pisten usw. nehmen nur einen kleinen Teil ein und die meisten Tiere starten ihren Tag ohnehin erst, wenn die Menschen verschwunden sind. Wir beobachten, dass sich die klugen Murmeltiere sogar absichtlich unter Liftpfeilern ansiedeln, um geschützt vor Raubvögeln zu sein“, entgegnet Werner, während er Spuren von Schneehasen, Gämsen und Füchsen aufliest. Darunter auch eine des Menschen – eine alte Bierdose.
Oben angekommen
Ranger-Touren wie diese finden am Kitzsteinhorn einmal pro Woche statt und auch heute ist sie ausgebucht. Die Truppe besteht aus Menschen vieler Herkunftsländer, von Kroatien bis Griechenland. „Wir Ranger beobachten die Veränderungen durch den Klimawandel bereits seit langem. Es ist unser Job, alles aufmerksam zu beobachten, Spuren zu lesen sowie Tier- und Pflanzenpopulationen genau zu dokumentieren. Erst letztes Jahr fand ein Kollege im Nationalpark eine neue Vogelart – es wird nie langweilig in meinem Job“, plaudert Werner während er sein sonnengegerbtes Gesicht in die Sonne hält. Es ist ein herrlicher Tag und selbst auf der Mittelstation lässt es sich in der Sonne gut aushalten.
Das Highlight der Tour ist die Aussichtsplattform auf 3.029 Meter Seehöhe, von der aus man ein Panorama über den Nationalpark, sowie Zugspitze und Großglockner genießt. Was die vielen riesigen Nägel im Gestein bedeuten, will eines der Kinder wissen. „Nun, der Permafrost am Gletscher wird immer brüchiger, das Eis schmilzt zwischen den Felsen, deshalb müssen sie mit Eisenzangen stabilisiert werden. Der Klimawandel macht die Bergwelt immer instabiler“, erklärt Werner. Mittlerweile ist es recht voll hier oben, ob in den Gondeln, den Schirmbars oder auf der Piste. „Heute wollen alle den Vormittag nutzen, denn bereits am Nachmittag wird der Schnee beinahe zu weich. Es ist zu warm für diese Jahreszeit“, erklärt Werner, während wir die unglaubliche Aussicht genießen. Denn trotz Höhenlage wird auch hier oben künstlich beschneit – Skifahrer:innen verlangen schließlich perfekte Pistenverhältnisse. Die Frage, die sich sowohl Skiregionen als auch Wintersport-Fans aber stellen müssen: Wie geht es weiter, wenn Winter immer wärmer und schneeloser werden?
„Wir müssen realistisch sein“
„Skiregionen wie unsere müssen aktiv werden, die Natur rund um uns ist schließlich auch unser Kapital“, erklärt mir Thomas Maierhofer unten im Tal, Vorstand der Gletscherbahnen Kaprun AG. Die Klimaerwärmung spüre man am Gletscher schließlich noch massiver als im Tal. Seit mittlerweile elf Jahren betreibt man deshalb gemeinsam mit renommierten österreichischen Universitäten wissenschaftliche Forschung hier am Kitzsteinhorn, in den Gebieten Klima, Gletscher, Felsstabilität und Permafrost. „Das ist wichtig, um den sicheren Tourismus für die Zukunft zu planen. Je weiter der Gletscher schmilzt, desto mehr muss außerdem beschneit werden, da müssen wir realistisch sein.“
Die Region Zell am See-Kaprun arbeitet deshalb schon lange an konkreten Strategien, auch um einen sanfteren Wintertourismus voranzutreiben. „Das Kitzsteinhorn hat drei unterschiedliche Nutzungsformen, die sich eigentlich ausschließen: Auf der einen Seite den Nationalpark Hohe Tauern, auf der Nord-Westseite die touristische Nutzung und auf der Ostseite die energetische Nutzung mit den Kraftwerksanlagen“, erklärt Maierhofer. „Das schafft einen recht einzigartigen Wasser- und Energiekreislauf. Wir verzichten bewusst auf große Speicherteiche am Berg und nutzen stattdessen das Wasser der Kraftwerksanlagen in Kaprun zur Beschneiung.“ Im Sommer fließt dieses Wasser zurück in die Kraftwerksanlagen und erzeugt Strom. Mittlerweile ist daraus sogar ein Energiekreislauf geworden, denn seit kurzem verwendet man ausschließlich Strom aus dem Kraftwerk. Die Eigenstromerzeugung soll in den nächsten Jahren außerdem Schritt für Schritt ausgebaut werden.
Mission: CO2 einsparen
Die Region ist voll von Leuchtturmprojekten wie diesem. Die neue, 12km lange „3K K-onnection“-Seilbahn bringt Tourist:innen vom Zentrum Kapruns aus aufs Kitzsteinhorn und gilt als modernste Seilbahn der Welt. Da sie den Individualverkehr im Tal deutlich reduziert, spart man so jährlich bis zu 1,5 Millionen PKW-Kilometer. Anfang 2023 wurde Zell am See-Kaprun außerdem von der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) mit der offiziellen Auszeichnung „Best Tourism Village“ geehrt. Das Siegel gilt als wichtigste Auszeichnung für nachhaltigen und naturnahen Tourismus. „Durch unsere Dekarbonisierungsstrategie wissen wir, dass unser größter CO2-Abdruck die Pistenfahrzeuge sind. E-Pistenraupen testet man gerade in vielen Skigebieten, ihre Leistung ist derzeit aber noch ernüchternd. Diese Technologie braucht definitiv noch Zeit“, so Maierhofer. Seit kurzem laufen Pistenfahrzeuge im gesamten Skigebiet deshalb mit sogenanntem „Hydrogenated Vegetable Oils“-Treibstoff (HVO), der, wie vom Umweltbundesamt bestätigt, 90% CO2 einspart. „Er kostet ein Drittel mehr als fossiler Diesel, dadurch können wir aber ca. 1500 Tonnen CO2 einsparen“, so Maierhofer stolz. Emissionen gleich zu vermeiden ist klimatechnisch sinnvoller, als sie mit Geld zu kompensieren.
Wintersport und Nachhaltigkeit
Noch nicht miteinbezogen in solche Nachhaltigkeitsmaßnahmen sind allerdings die Auswirkung von sogenannten „ewigen Chemikalien“, die beinahe alle Wintersportler:innen an sich tragen, in Form von Imprägnier-Sprays oder Skiwachsen. Wie viel Auswirkung diese auf den Mensch haben, müssen Langzeitstudien zeigen, neueste Erkenntnisse weisen aber auf eine negative Auswirkung auf die Gesundheit hin. Fest steht, dass sie ins Grundwasser gelangen und somit Umwelt und Trinkwasser belasten. Beim Internationalen Skiverband FIS gilt seit dieser Saison sogar ein Verbot von sogenannten Fluorwachsen, die eine hohe Konzentration von per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) aufweisen. Ein EU-weites Verbot solcher PFAS ist gerade in Bearbeitung. Bleibt noch das Mikroplastik, das durch Abrieb von Skikleidung und Skiern abgegeben wird. Beides Gebiete, deren ökologische Auswirkung gerade erst erforscht wird.
Schnee anbauen
Derzeit tüftelt man an offensichtlicheren Themen, zum Beispiel dem fehlenden Schnee. Mit der ressourcenschonenden Methode des „Snowfarmings“ wird beispielsweise Schnee vom Vorjahr konserviert, um ihn im nächsten Winter wiederzuverwenden. Zehn Depots mit einer gesamten Schneemenge von 200.000m³ übersommern so im Gletscherbereich des Kitzsteinhorns. Der Schnee des letzten Winters sorgt dann für die perfekte Grundlage für eine Fläche von etwa sieben Fußballfeldern. Selbst bei warmen Temperaturen können so bis zu 80% des „angebauten“ Schnees über den Sommer konserviert werden. „Und da unser Kernskigebiet auf einer Höhe beginnt, wo andere enden, ist der Skitourismus auch in Anbetracht des Klimawandels gesichert. Man muss sich aber auf den steigenden Energieaufwand einstellen“, kommentiert Thomas Maierhofer.
Und energiesparen kann man auch mit vermeintlichen Kleinigkeiten, lerne ich im Skigebiet gegenüber, der Schmittenhöhe. Hier geht das verschneite Winterpanorama an diesem Tag im Februar bereits in weiße Streifen zwischen grünen Wiesen über. Der Einsatz von Schneekanonen und Pistenraupen ist hier also ebenfalls essentiell. Um beim Fahren möglichst viel Sprit zu sparen, gibt es für die Fahrer:innen der Pistenfahrzeuge regelmäßig Schulungen. Bereits 2013 ging die Schmittenhöhebahn mit der größten gebäudeintegrierten Photovoltaikanlage Österreichs ans Netz. Heute liefert die Anlage rund 230.000 KWh sauberen Strom. Auch hier zeigt sich ein praktischer Kreislauf: für die Beschneiung wird Wasser aus dem Zeller See genutzt.
Vergnügen abseits der Pisten
In Österreich scheinen die größten ökologischen Fußabdrücke des Wintersports vielerorts also gut gelöst zu sein, Dank ihrer Lage. In Gebieten, die regelmäßig über Wassermangel und Trockenheit klagen, sieht das anders aus. „Die Beschneiung ist energieintensiv, deshalb ist es essentiell dafür Ökostrom zu nutzen“, fügt Thomas Maierhofer an. Glücklicherweise, so der Experte, werde die Technik dafür von Jahr zu Jahr energiesparender. Verglichen mit anderen Tourismus-Aktivitäten rund ums Jahr ist der Energieverbrauch von Schneekanonen allerdings nicht ungewöhnlich hoch. Überall, wo Menschen urlauben, entsteht ein ökologischer Fußabdruck, das lässt sich nicht vermeiden.
Der wirkliche Kern des Problems: Typischer Skitourismus ist Massentourismus. So kommt es, dass mittlerweile sogar viele Amerikaner:innen nach Zell am See-Kaprun reisen, weil die Reise samt Flug immer noch billiger und besser ist, als alle Skigebiete in den USA. Die Wintersportregionen Österreichs versuchen deshalb seit einigen Jahren Aktivitäten abseits den Pisten anzubieten, Winterwandern oder Schneeschuhausflüge zum Beispiel. Mittlerweile haben 30% der Gäste am Kitzsteinhorn keine Sportgeräte mehr mit, sondern genießen die Landschaft oder nehmen an Rangertouren teil, wie ich. Auch die Kulinarik rückt weiter in den Fokus, weg vom Fast-Food-Buffet auf der Hütte und hin zu regionaler Küche in den Restaurants im Ort.
Massentourismus stoppen
Sinnvoller, als den Skitourismus an den Pranger zu stellen, wäre es, dem sogenannten Übertourismus Einhalt zu gebieten. Ständiges Wachstum liegt auch nicht im Ermessen der Region, versichert Thomas Maierhofer: „Wir haben keine Expansionsstrategie. Der Raum, den wir bewirtschaften ist groß genug und den wollen wir qualitativ immer weiterentwickeln. Klassische Wintersporttourist:innen sind das aber gar nicht mehr gewohnt.“ So kennt man im Tourismusverband Geschichten über Beschwerden zum Mangel an Blauen Pisten am Gletscher. Man solle doch einfach noch welche „dazubauen“.
„Weiter, höher, schneller“ davon halten auch Jessica und Jenny Reitzer nichts, die gemeinsam das Hotel Soul Sisters in Kaprun führen. Vor einigen Jahren mussten die Schwestern die Betriebe der Eltern von einem Tag auf den anderen übernehmen und beschlossen, im Sinne von Qualität und Nachhaltigkeit ein Hotel zu verkaufen und sich ganz auf das Rebranding des Soul Sisters zu konzentrieren. „Ein radikaler Schritt, ja. Aber wir wollten unsere Vision voll umsetzen können. Und von angestaubten Konzepten halten wir sowieso nichts“, so Jessica. Man setzte unzählige Schritte zur Ressourcenschonung, wie plastikfreie Kosmetik in den Zimmern oder die Umwandlung des Pools in einen chemiefreien Schwimmteich. „Da müsste sich allein schon bei den veralteten Anforderungen für die Sternebewertung etwas ändern. Um Vier Sterne zu bekommen, müssten wir beispielsweise Dinge wie Schuhputzmaschinen im Hotel aufstellen. Vieles an dieser Liste hindert Hotels an wirklicher Nachhaltigkeit“, so Jessica. Das Team aus fast ausschließlich Frauen machte aus dem Familienbetrieb ein modernes Boutiquehotel, ohne unnötiges Chichi, in dem es dennoch an nichts fehlt. Die Region Zell am See-Kaprun solle auch weiterhin für familiengeführte Betriebe und Pensionen bekannt sein und nicht für riesige Hotelketten. Und auch für weiße Berggipfel im Winter, auch wenn das in Zukunft etwas anders aussehen wird.
20 Jahre
„Unser Kitzsteinhorn-Gletscher schmilzt ca. zwei Meter pro Jahr, 40 Meter ist er derzeit dick“, sinniert Ranger Werner, als wir in der Gondel Richtung Tal sitzen. Ich rechne im Kopf nach – kann das sein? Das Ergebnis dieser Rechnung stimmt mich traurig: In 20 Jahren ist dieser Gletscher unwiderruflich verschwunden. Und er teilt sein Schicksal mit vielen anderen auf dieser Welt.
Fotos: © Jennifer Koutni
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