„Vielen Dank für deine Flexibilität“, sagt Markus Promberger, während er mich begrüßt. Gestern hatte er um eine Terminverschiebung unseres Interviews gebeten. „Ich will ehrlich zu dir sein, ich habe das schöne Wetter gestern für eine Skitour genutzt. Mein erster richtig freier Tag seit der stressigen Hoteleröffnung vor drei Monaten – und es war herrlich!“, sagt der Managing Director mit einem strahlenden Lächeln. Die Auszeit hat sich also gelohnt. Es bringt außerdem den Vibe rüber, den das neue Hotel AMA Stay versprühen möchte, in dem wir uns gerade befinden. Denn wie Markus mir gleich erklären wird, ist es weder Businesshotel, noch Wellness- oder Skihotel. Hier dreht sich alles um eine neue Art des Reisens: die „Workation“.
Workation in den Dolomiten
Begriffe wie „Remote Work“ oder „Hybrid Working“ sind uns mittlerweile bereits vertraut. Die Verbindung aus Arbeit und Vergnügen ist aber ein Reisetrend, der sich derzeit vor allem bei der jüngeren Generation durchsetzt. Der Hashtag #workation führt rund 330.000 Beiträge auf Instagram, meist in Verbindung mit exotischen Destinationen wie den Azoren, Portugal und natürlich Bali. Mit dem AMA Stay im Südtiroler St. Vigil hat nun auch die Alpenregion ihr erstes offizielles Workation-Hotel, das als solches sogar zertifiziert ist. Anfang 2019 wurde die Dachorganisation CoworkingALPS von drei vorausschauenden Pionierinnen gegründet, unter der nun das Workation-Angebot im Alpenraum zusammengefasst wird.

Das Problem mit Kurztrips
Das Konzept soll aber auch bei einem touristischen Problem helfen, unter dem Südtirol seit längerem leidet, wie Markus mir erzählt: „Aufenthalte werden immer kürzer und durch die ständigen An- und Abreisen verschlimmert sich die Verkehrssituation in unseren Tälern. Mit unserem Konzept arbeiten wir daran, Aufenthalte wieder zu verlängern.“
Dass man sich hier tatsächlich wie in einer Mischung aus Office, Café und eigenem Wohnzimmer fühlt, habe ich Tags davor selbst erfahren. Vom Hotelzimmer, über die offen gestaltete Lobby bis hin zum Bistro wurde hier alles so gestaltet, dass man sich gemütlich mit dem Laptop niederlassen kann. Mit jedem Aufenthalt bekommt man außerdem Zugang zu einem der bestens ausgestatteten Co-Working-Räume. Der rote Faden aus Erdtönen und Naturmaterialien aus der Gegend zieht sich bis in den behaglichen Wellnessbereich. „Das Feeling bei uns ist sehr heimelig, besonders bei Langzeitgästen. Du lebst ja quasi hier, bekommst z.B. in der Früh gleich deinen Lieblings-Cappuccino von unserer Lucia an der Bar serviert“, sagt Markus. Und tatsächlich höre ich herzliche Begrüßungen in den verschiedensten Sprachen, als ich mein temporäres Office mittags im Bistro aufbaue. Tourist:innen treffen hier auf Einheimische, konzentriertes Arbeiten auf einen entspannten Aperol Spritz.

Belastung für die Psyche?
Aber Workation bedeutet schlussendlich auch, dass der Urlaub keinen Abstand zur Arbeit bietet. Was das mit unserer Psyche macht, habe ich Alena Brügger gefragt. Sie ist Gründerin der New Work Unternehmensberatung Joypany und gibt zum Thema Workation sogar Workshops. Für sie ist diese Art des Reisens dazu da, die positiven Eindrücke aus anderen Orten zu nutzen, um leistungsfähiger zu arbeiten: „Wir kennen alle die positive Energie, die man bekommt, wenn man an einem anderen Ort ist. Im besten Fall arbeitete man dadurch kreativer, erholter und effizienter. Es soll im Prinzip unsere Psyche entlasten und uns Energie geben.“ Vormittags eine ausgedehnte Wandertour in den Dolomiten erleben und nachmittags erfrischt arbeiten, beispielsweise.
Grenzen und Regeln sind für die Expertin dabei wichtige Schlüsselworte: „Ich würde nicht raten, den ‚normalen Urlaub‘ mit Workations zu ersetzen. Denn wir brauchen 100%ige Auszeiten, um unsere Akkus aufzuladen. Es bedarf außerdem Regeln, um diese Balance aus Entspannung und Leistung zu halten. Nicht alle schaffen es, wirklich konzentriert zu arbeiten, wenn man z.B. den Wellnessbereich vor der Nase hat.“

Balance statt Burn out
Selbstverständlich ist Remote Work nicht für jeden Beruf möglich und auch rechtlich gesehen gibt es noch keine geregelten Grundlagen. Da eine Workation eher dem mobilen Arbeiten zuzuordnen ist, müssen die Bedingungen dafür verhandelt werden. Punkte wie Erreichbarkeit, steuer- sowie sozialrechtliche Aspekte oder die Rückkehrpflicht sollten jedenfalls geklärt werden.
Für Digital Nomads und Selbstständige ist diese Mischung aus Arbeit und Urlaub allerdings ideal. „Vor allem die Generation Z will strikten Grenzen zwischen Freizeit und Beruf nicht mehr. Es soll harmonisch miteinander funktionieren“, erklärt Alena Brügger. „Aber: wenn man schon im Home Office Schwierigkeiten hat – entweder, weil man seinen Job generell nicht mag oder keine Disziplin hat – dann wird es hier noch schwieriger.“ Der Expertin zufolge könnte eine Workation sogar einen positiveren Bezug zur Arbeit schaffen: „Wir müssen nur lernen, dass Beruf und Arbeit nichts Negatives sind. Ich kriege die Krise, wenn ich freitags im Radio höre ‚Endlich Wochenende!‘ und es nur darum geht, endlich Urlaub zu haben.“
Obstkörbe haben alle
Für Arbeitgeber:innen ist Remote Work freilich ein Stück Kontrollverlust, hat aber auch großes Potenzial, wie New-Work-Expertin Alena Brügger erklärt: „Am Arbeitsmarkt wird es immer schwieriger, neue Talente von sich zu überzeugen. Dinge wie ein Obstkorb sind keine ausreichenden Benefits mehr. Wenn man es richtig angeht, hat man mit mehr Freiheiten glücklichere und leistungsfähigere Arbeitnehmer:innen, die länger im Unternehmen bleiben. Macht eine Team-Workation daraus, mietet ein Häuschen und verbringt dort eine produktive, aber auch spaßige Zeit!“
Einfach drauflos zu arbeiten, kann in ungewohnter Umgebung allerdings schwierig sein. Besser funktioniert es, sich konkrete Termine und To-Do-Listen im Kalender einzutragen wirklich einzuhalten. Auch im AMA Stay befindet man sich noch in der Entwicklungsphase. Im Moment checken hier klassische Urlaubsgäste ein, Unternehmen mit ihren Teams als auch moderne Backpacker, die von überall arbeiten. Und da auch viele kreative Köpfe darunter sind, wäre Markus Prombergers Vision, dass hier eine Community entsteht und vielleicht sogar neue Arbeitsverhältnisse untereinander.

Workation Hotspots
Da sich das digitale Nomadenleben wachsender Beliebtheit erfreut, erweitern immer mehr Hotelbetriebe ihr Angebot mit passender Co-Working-Infrastruktur. Über 40 Länder, darunter Barbados, Sri Lanka oder Griechenland bieten mittlerweile sogar ein “Digital Nomad Visa” für Langzeitreisende an, damit mehrwöchige Workations auch rechtlich kein Problem sind.
Die Hotelgruppe Selina ist spezialisiert auf Remote Working und führt neben Destinationen wie Costa Rica und Brasilien auch eine Dependance im österreichischen Bad Gastein. Mit dem Projekt Emma Wanderer eröffnete kürzlich der erste Remote Work Campus im Nationalpark Gesäuse und am Wolfgangsee lässt es sich in der neuen, kunterbunten Villa Alma bestens arbeiten. Und auch in den Allgäuer Bergen können Freelancer ihre Workation auskosten: Im Hubertus Mountain Refugio pendelt man beispielsweise zwischen Workplace und luxuriösem Spa.