Im Bereich Nachhaltigkeit hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Viele sind „auf den Nachhaltigkeitszug aufgesprungen“, ob aus Marketing- und Imagegründen oder aus wirklicher Überzeugung. In den letzten Jahren hat es immer mehr neue nachhaltige Brands oder nachhaltigere Kollektionen von existierenden Marken gegeben, darunter auch scheinbare Green Collections wie beim Fast-Fashion Großkonzern H&M, wo in der Green Line teilweise 1% Biobaumwolle schon als Kriterium für ein umweltbewusstes Produkt gilt. Deswegen reicht es für wirklich nachhaltige Brands nicht mehr, zu vermarkten: „Wir sind nachhaltig, kaufe deswegen unsere Produkte!“ Es muss immer noch einen anderen Kaufgrund geben: besonders hohe Qualität, ausgefallene Schnitte, interessante Muster oder ein Lifestyleversprechen. Cornelia Westfehling ist seit 2016 beim Modelabel LANIUS in der Position als Nachhaltigkeitsmanagerin bzw. Produktmanagerin im Bereich Qualität und Nachhaltigkeit. Sie ist seit 10 Jahren in der Branche tätig und konnte so die Veränderungen im Markt beobachten. Gemeinsam beleuchten wir die Entwicklungen der letzten Jahren in der Kommunikation von Nachhaltigkeit und diskutieren, wie man Nachhaltigkeit zeitgemäß kommuniziert.

Was bedeutet Nachhaltigkeit eigentlich?
Laut dem deutschen Bundestag kommt der Begriff Nachhaltigkeit ursprünglich aus der Forstwirtschaft: Wer nur so viele Bäume fällt, wie nachwachsen können, sorgt dafür, dass der Wald für die künftige Nutzung zur Verfügung steht und auf Dauer seinen Wert behält. Das bedeutet beim Thema Kleidung, man sollte nur so viel produzieren, wie wirklich gebraucht wird – Stichwort Slow Fashion. Also keine Überproduktion mit wöchentlichen Kollektionen mit maximalem Profit und außer Acht der Lebenzeit der Kleidungsstücke.
Legitimierung & Kaufgrund
„Niemand kauft ein Kleidungsstück, allein weil es nachhaltig ist“, hat Cornelia Westfehling festgestellt. „Man kauft ein Kleidungsstück in erster Linie, weil man es braucht oder weil man es haben möchte, sonst wäre es am nachhaltigsten, es nicht zu kaufen. Wenn man es haben möchte und es einem steht, dann hat man noch eine Legitimierung zu sagen, es ist auch noch nachhaltig. Aber dafür muss das Kleidungsstück einem schon vorher gefallen haben.“ Darauf liegt der Fokus von LANIUS: „Wir sind ein nachhaltiges Unternehmen, aber vor allem sind wir ein Modeunternehmen und müssen mit unserer Qualität und unseren Styles überzeugen.“

Nachhaltigkeit bei Lanius
Claudia Lanius hat das nachhaltige Unternehmen vor über 25 Jahren gegründet. Damals stand sie damit noch ziemlich alleine da, mit Mitbewerbern wie auch hessnatur, Pioniere der Zeit für nachhaltige Mode. LANIUS hat sich immer als Ziel gesetzt, schöne Mode mit Rücksicht auf die Umwelt und die Menschen zu kreieren. „Wir legen viel Wert auf qualitativ hochwertige Kleidung, damit sie jahrelang getragen wird. Damit sie möglichst lange im Kreislauf bleibt, haben wir einen Care-, Repair-, Resale- und Rentservice auf unserer Website: Wir bemühen uns sehr, den Kund:innen Informationen darzubieten, wie sie ihr Kleidungsstück möglichst lange tragen können, indem sie es pflegen und reparieren. Wenn sie doch merken, sie ziehen es nicht mehr an, empfehlen wir, wo man es am besten verkaufen kann. Außerdem arbeiten wir mit der Kleiderei zusammen: Ein Fashion-Renting-Unternehmen mit Abomodell, bei dem man Mode mieten kann.“
LANIUS verwendet außerdem viele Monomaterialien, gerade aus dem Naturfaserbereich, also Kleidungsstücke, die aus einem reinen Material gefertigt sind (z.B. Biobaumwolle oder Schurwolle). Dadurch ist das Kleidungsstück am Ende seiner Lebenszeit leichter zu recyceln. Die Brand achtet auf Bio-Zertifizierung von Materialien, vertrauenswürdigen Lieferanten mit langjährigen Beziehungen und faire Arbeitsbedingungen. Nachgewiesen wird das durch die Zertifizierung der Artikel durch dritte, um sie zu verifizieren.

Coronakrise & Buzzwords
Vor vier Jahren, kurz vor und während der Corona-Krise war Nachhaltigkeit ein Must-Have für jedes Unternehmen. „Da wurde der Begriff von Nachhaltigkeit meines Erachtens unglaublich gedehnt“, erinnert sich Cornelia Westfehling. „Es war schon nachhaltig, einen nachwachsenden Rohstoff zu benutzen und nicht-fossile Stoffe. Ein Kleidungsstück aus Baumwolle war dahingehend nachhaltig, egal wo sie herkommt oder angebaut wurde. Ständig wurden Buzzwords verwendet, die man mit Nachhaltigkeit in Verbindung bringen konnte, wie klimafreundlich, grün, umweltfreundlich oder das Wort klimaneutral. Heute wissen wir: Klimaneutral ist nur, nichts zu produzieren.“
So wurde große Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt und fast jedes Unternehmen hat sich zumindest mit dem Thema befasst. „Beim Verbraucher kam eher an, dass Nachhaltigkeit kein Alleinstellungsmerkmal mehr sei“, stellte Cornelia fest. „Siegel und Zertifikate haben sich in dieser Zeit vervielfacht. Auch innerhalb der Modeindustrie fragte man sich: Was ist der Unterschied zwischen dem RWS-Zertifikat zu dem GOTS oder OCS- Zertifikat? Dadurch, dass sich diese auch in unterschiedlichen Zeitpunkten weiteretwickeln, muss man sich regelmäßig informieren. Einige Zertifikate begutachten nur, wo das Kleidungstück hergestellt wurde und die Arbeitsbedingungen, haben aber keinerlei Aussage über das Material. Dann gibt es Zertifikate, die sich nur mit den Chemikalien im Endprodukt beschäftigen. Für die Endkonsumenten ist es kompliziert geworden, Zertifikate auf einem Kleidungsstück zu identifizieren und zu evaluieren. Genau wie im Lebensmittelbereich: Wo der genaue Unterschied zwischen EU-Bio, Bioland-Bio, Fairtrade oder ähnlichem Logo ist, ist für Verbraucher schwer zu erkennen.“

Kommunikation von Nachhaltigkeit: Greenwashing Gefahr
Die EU Green Claims Directive (GCD) ist teil des European Green Deals, bei dem bis 2050 Klimaneutralität in der EU erreicht werden soll. Diese Richtlinie reguliert, welche umweltbezogenen Aussagen Unternehmen in Bezug auf ihre Produkte und Dienstleistungen treffen dürfen und wie diese zu belegen und zu kommunizieren sind. Das bedeutet: Unternehmen dürfen nichts mehr über ihre Produkte behaupten, was sie nicht belegen können. „Sie wird zwar wahrscheinlich erst 2027 in Kraft treten, aber allein dadurch, dass darüber vermehrt gesprochen und aufgeklärt wird, haben schon einige Unternehmen in ihrer Kommunikation zurückgerudert und sind vorsichtiger geworden, was Greenwashing angeht“, hat Cornelia beobachtet.
Egal, was vermarktet werden soll: Aus Marketingperspektive sollte es immer kurz und knackig sein. So gewinnt man die Aufmerksamkeit der Kund:innen, hält ihr Interesse und gibt ihnen zu verstehen, warum sie das Produkt kaufen sollen. Umweltfreundlich, grün, klimaneutral. Um Nachhaltigkeit korrekt und nachvollziehbar zu kommunizieren, muss man jetzt etwas weiter ausholen, weiß Cornelia. Zum Beispiel: „Das Produkt ist umweltfreundlich, weil wir zertifizierte Materialien verwenden, unsere Lieferanten kennen und nur zwei Kollektionen im Jahr produzieren. Da läuft die Gefahr, dass man Kund:innen schon beim zweiten Satz verloren hat, die eigentlich nur ein schönes Kleid kaufen wollen.“
Worauf sollte man als Konsument achten, um Greenwashing zu identifizieren?
Kund:innen sollten sich zunächst Fragen: Was bedeutet Nachhaltigkeit für mich? Dazu sollte sich Konsument:innen Gedanken darüber machen, was einem persönlich am wichtigsten ist: Der kontrolliert biologische Anbau, faire Bezahlung innerhalb der Lieferkette, Chemikalieneinsatz, Recycling-Anteil oder Secondhand. „Es sollte eigentlich keine Entweder-Oder-Frage sein, aber in der Realität ist es nicht so einfach, alle Anforderungen in Einklang zu bringen“, weiß Cornelia. „Dazu muss man sich zunächst ein Bild über die Komplexität der Lieferkette machen – was gerade bei Kleidungsstücken extrem differenziert ist. Im Vergleich – beim Kauf einer Gurke im Supermarkt stehen mir vielleicht Bio-Gurken aus Marokko oder regionale Gurken aus dem Umkreis, die nicht biozertifiziert sind, zur Auswahl. Dann muss ich für mich entscheiden – was ist mir wichtiger?“ Im nächsten Schritt sollten sich Konsument:innen mit den Zertifikaten der Textilbranche auseinandersetzen, die die eigenen Ansprüche widerspiegeln.
Nachhaltigkeit ist ein Spektrum und niemals Schwarz-Weiß. Sie ist von vielen Faktoren abhängig – kreiert man beispielsweise ein Kleidungsstück, das möglichst lange tragbar und haltbar ist, ist es am Ende seiner Lebenszeit eventuell nicht biologisch abbaubar oder schwierig zu recyceln. „Entwirft man einen schwereren Wollpullover aus besserer Qualität erhält man durch das Gewicht einen schlechteren CO2-Fußabdruck“, nennt Cornelia als Beispiel. „Sollte man deswegen einen dünneren Faden wählen, der eventuell schneller verschleißt? Man muss sich bei manchen Sachen bewusst entscheiden, was man in diesem Fall als nachhaltiger definiert.“
Wie schafft man es, Nachhaltigkeit als attraktiven Mehrwert zu positionieren?
Man spricht oft von der Wertschöpfungskette. Durch unsere Lieferkette schöpfen wir Wert, wir stellen einen wertigen Artikel her, der seinen Wert auch dadurch bekommt, wie mit dem Material umgegangen wird und wie bewusst der Artikel hergestellt wird. Das merkt man auch am Endprodukt: Wurden sich Gedanken darum gemacht, dass hochwertige Baumwolle aus kontrolliert biologischem Anbau verwendet wird, mit möglichst schonenden und zertifizierten Farben gefärbt, die teurer im Einkauf sind, von Menschen bearbeitet, die fair behandelt werden und auch eine Wertschätzung für das Produkt haben und wie es verpackt und transportiert wird? Das sind alles Gedanken in der Wertschöpfungskette, die auf das Produkt einzahlen und ein wertiges Produkt ausmachen. Und so ist es für uns selbstverständlich, das alles zu kommunizieren, und es wird Teil von unserem Produkt. Nachhaltigkeit wird mit Wert in Verbindung gebracht.


Stand heute: Wie geht es nachhaltigen Marken?
Während Corona hatten Konsumenten mehr Geld zur Verfügung, weil wir es nicht für Events, Urlaube oder Essen gehen ausgeben konnten. Lifestyle-Ausgaben haben gezwungenermaßen abgenommen. Das übrige Geld konnten wir für hochwertigere Kleidung ausgeben. „Das ist nur ein Erklärungsansatz von mir, den ich in meinem Umfeld beobachte“, legt Cornelia dar.“ Jetzt, wo wir wieder alles machen können und sich gleichzeitig die Lebenshaltungskosten erhöht haben, sparen wir an anderen Ausgaben wie für Kleidung. Während Corona hatte man auch mehr Zeit, sich mit der Herkunft von Kleidung auseinanderzusetzen und nachhaltigere Kaufentscheidungen zu treffen.“
Außerdem muss Kleidung, die qualitativ hochwertig ist und lange hält, nicht so schnell ersetzt werden. Somit wird generell weniger gekauft. Geringerer Konsum ist nachhaltiger, spiegelt sich für Unternehmen aber in geringeren Verkaufszahlen wider. Deswegen sollte man vielleicht hinterfragen, warum das neue iPhone nur knapp 3 Jahre voll funktionsfähig ist, bevor es an Akkulaufzeit, Kameraqualität etc. verliert und der Bedarf nach einem neueren Modell steigt. Jetzt setzt sich die EU damit auseinander, Richtlinien einzuführen, um alle Produkte reparierbar zu machen, denn Reparierfähigkeit beginnt im Design.
Entschleunigung und Wertschätzung
„LANIUS achtet darauf, dass die Artikel reparierbar sind“, erzählt Cornelia. „Unsere Strickwaren werden alle mit zusätzlichem Ersatzgarn für die Reparatur ausgeliefert. Nach Bedarf gibt es Ersatzknöpfe zu den Artikeln dazu. Zusammen mit der Kölner Änderungsschneiderei PlisseeBecker haben wir ein Programm entwickelt, bei dem die Kund:innen einen kaputten Artikel auf unserer Website anmelden und ihn dorthin senden. Die Schneiderei macht ein Angebot für die Reparatur und Lanius zahlt das Porto. Wer lieber selbst reparieren möchte, findet auf unserer Website Anleitungen zum Stopfen und Reparatur-Videos. Außerdem bieten wir Stopf-Kits, spezielles Waschmittel und Fusselrasierer an. Weil wir auf eine Kunstharz-Beschichtung der Wollfasern verzichten, um die natürliche Haptik der Wolle beizubehalten, kommt es durch Reibung von Fasern oftmals zu Pilling. Diese lässt sich aber einfach mit Fusselrasierern entfernen.“
Nachhaltigkeit ist teilweise eine Zeitfrage – man muss bewusst Zeit investieren, um sich zu informieren, zu recherchieren und sich mit dem Thema aktiv beschäftigen. Manchmal bedeutet es mehr Aufwand, wie beispielsweise das Reparieren, manchmal eine bedachtere Kaufentscheidung, die nicht ganz so spontan ist. Dadurch, dass man eigene Zeit investiert, bedeutet Nachhaltigkeit auch mehr Wertschätzung für Konsumgüter. Wie während Corona das Backen von Brot – natürlich hätte man es auch einfach in einer Bäckerei kaufen können. Backt man es jedoch aufwändig selbst, genießt und schätzt man es viel mehr. Die Pandemie hat uns in gewisser Weise an einigen Stellen innehalten und langsamer werden lassen, und einige haben währenddessen gelernt, Dinge wertzuschätzen, wenn man sie selber macht. Diese Entschleunigung der Pandemie sollten wir auch weiterhin beibehalten, und dann werden wir spüren, wie gut sie uns tut.
Hier findest Du Tipps für den Kauf von nachhaltiger Wolle.