„Roter Lippenstift hat die Kraft, dein Aussehen zu verändern – und vielleicht sogar deine Einstellung“, sagte Make-Up-Ikone und Unternehmerin Bobbi Brown einst, als man sie nach einem kleinen Handgriff für mehr Selbstbewusstsein fragte. Und dennoch wird der Akt des Schminkens oft als „Mädchenkram“ bezeichnet und belächelt. Betrachtet man dessen Geschichte allerdings näher, wird schnell klar: Make-up war nie nur eine Frage von bloßer Eitelkeit. Denn besonders in Krisenzeiten wird es zum politischen Statement. Eine tragende Rolle dabei spielt roter Lippenstift, der eine lange Tradition als Symbol für Stärke, Widerstand und Emanzipation hat. Einige Zeit galt er deshalb sogar als „teuflisch“: 1770 erließ das britische Parlament ein Gesetz gegen rote Lippen und klagte Frauen, die einen Mann mit dessen Hilfe „zur Eheschließung verführten“ des Betruges oder sogar der Hexerei an. Kein Wunder also, dass diese starke Farbe auf den Lippen eng mit der Geschichte des Feminismus verwoben ist – von den Suffragetten bis zur #MeToo-Bewegung.
Die Revolution auf den Lippen
New York im Jahr 1912. Hunderte Frauen marschieren zum ersten Women‘s March durch die Straßen, Banner schwenkend und ihre Stimmen erhebend. Neben gleicher Chancen und Respekt fordern sie etwas, das heute in vielen Ländern zu den fundamentalsten Rechten von Frauen zählt: das Wahlrecht. Einige von ihnen schminken ihre Lippen leuchtend rot und auffällig. Der Legende nach soll unter ihnen Elizabeth Arden gewesen sein, die später eine der bekanntesten Kosmetikmarken der Welt gründete. Dass sie den Frauen einen kleinen Stift im noch heute erhältlichen Farbton „Red Door“ aushändigte, wie in vielen Artikeln zu lesen ist, kann leider nicht ausreichend belegt werden.
Fest steht aber, dass roter Lippenstift an diesem Tag zum Zeichen des Widerstands wurde und Arden ihn als fixen Bestandteil ihres Kosmetiksortiments machte. Das Rot wurde zu einer Art Uniform gegen die vielen Stimmen, die die Auflehnung dieser Frauen belächelten. Die Suffragetten trugen ihn ab diesem Zeitpunkt als Statement und Botschaft: Wir lassen uns nicht länger zum Schweigen bringen. Und Feministinnen wie Simone de Beauvoir oder Frida Kahlo taten es ihnen fortan gleich.

Die 1940er: Ein Hauch Farbe gegen die Dunkelheit
Im Zweiten Weltkrieg kämpften Männer an der Front, ihre zurückgelassenen Frauen hielten währenddessen die Wirtschaft am Laufen. Sie arbeiteten in Fabriken und meisterten klassisch männliche Jobs. Aus purer Not entstanden erste „Beweise“, dass Frauen ihren männlichen Kollegen am Arbeitsmarkt ebenbürtig sind. Während Bomben fallen und Städte in Schutt versanken, erfanden sich viele Frauen neu. In Arbeitsoverall, Kopftuch und auffälligem Make-Up wurde Rosie the Riveter damals zu einer Ikone, die bis heute Teil der Popkultur ist. Make-Up und dabei ganz besonders roter Lippenstift wurden erneut zum Statement für Mut.
Die US-Regierung begann sogar, roten Lippenstift als patriotische Geste und Zeichen der Stärke zu empfehlen. „Victory Red“ nennt sich eine der beliebtesten Farben jener Zeit. Dass Make-Up auch ein kleines Stück Normalität in dunkelste Zeiten zu bringen vermag, belegen Funde im Konzentrationslager Ravensbrück, wo hauptsächlich Frauen interniert waren: Hier fand man vergrabene Lippenstifte. Gefangene schminkten sich damals, um gesünder zu erscheinen – denn wer krank war, wurde abtransportiert. Zeitzeuginnen beschrieben es außerdem als eine Möglichkeit, sich daran zu erinnern, wer man war – trotz des Grauens um sie herum.
Feminismus, Freiheit und Widerspruch
In den 1970ern erlebt die Gesellschaft ihre zweite Welle des Feminismus. Erneut fordern Frauen Selbstbestimmung über ihre Körper, ihre Karrieren, ihr Leben. Inmitten dieser Bewegung entsteht eine Debatte: Ist Make-up ein Zeichen der Unterdrückung oder der Emanzipation? Einige Aktivistinnen lehnen es ab – sie sehen darin ein Instrument des Patriarchats, das Frauen zwingt, sich zu schmücken, um akzeptiert zu werden. Andere tragen roten Lippenstift mit Absicht und Stolz. Sie sagen: Es geht nicht darum, was wir tun, sondern warum wir es tun. Make-up ist keine Maske der Anpassung – es ist eine Waffe der Selbstbestimmung. Bis heute führt diese Frage immer wieder zu hitzigen Diskussionen. Über ihr steht im heutigen Feminismus allerdings die wichtige Prämisse: Jede weiblich gelesene Person sollte mit ihrem Körper tun dürfen, was sie will.

Madonna, Marilyn und die Macht der Farbe
Trotz seiner geschichtlichen Bedeutung ist roter Lippenstift natürlich nicht nur ein politisches Statement – er ist auch ein Symbol der Popkultur. Marilyn Monroe macht ihn zum Inbegriff der Verführung, Sängerin Madonna zu einem rebellischen Zeichen, das aussagen soll: niemand sagt mir, was ich zu tun habe. In den 1980ern und 90ern wird er zum perfekten Accessoire des sogenannten „Power Dressings“: Frauen in hochrangigen Jobs, in der Mode, in den Medien – sie alle nutzen roten Lippenstift gemeinsam mit starken Silhouetten und Schulterpolstern, um ihre Präsenz zu unterstreichen. Weiblichkeit sollte dadurch nicht unterdrückt, sondern sogar noch plakativer ausgedrückt werden. Der sogenannte „Lipstick Feminism“ kam auf eine Strömung, die sich für die Idee einsetzt, dass Frauen feministisch sein können, ohne traditionelle Weiblichkeit, Schönheit oder Sexualität abzulehnen.
Roter Lippenstift in unsicheren Zeiten
Seit dem ersten Women‘s March hat sich die Welt immer wieder radikal verändert. Doch eines blieb konstant: Will man ein Zeichen setzen, greift man zu starken Farben. Statistiken beweisen sogar, dass in Krisenzeiten die Verkaufszahlen von Lippenstift nach oben schnellen – denn starkes Make-Up ist eine schnelle Ersatzhandlung, um sich selbstsicherer zu fühlen. Den jüngsten Beweis lieferte die #MeToo-Bewegung, in der sich Hashtags wie #RedForRevolution oder #PowerLips verbreiteten. Hollywood-Stars, Aktivistinnen, Unternehmerinnen – sie alle griffen auf satten Rottöne auf den Lippen zurück, um bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Denn manchmal braucht es nicht viele Worte, um Haltung zu zeigen.
2018 wurde die 28- jährige Aktivistin Alexandria Ocasio-Cortez beispielsweise als jüngste Frau aller Zeiten in den US-Kongress gewählt. Sowohl bei der Angelobung als auch bei allen öffentlichen Auftritten sah man Ocasio-Cortez selten ohne ihren Lippenstift. Auf TikTok rufen junge Aktivist:innen dazu auf, das „Victory Red“ von früher wiederaufleben zu lassen und damit ein nonverbales Statement gegen die Trump-Regierung zu setzen. Der Unterschied zu damals? Nicht nur weiblich gelesene Personen, sondern auch Menschen aus der queeren Community zeigen sich solidarisch. Denn Frauenrechte sind Menschenrechte und die gehen uns eben alle etwas an.
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