Angeblich ist das meistverwendete Wort auf den Färöer-Inseln „kanska“, also „vielleicht“. Das mag wie ein unwichtiger Fakt klingen, vor allem, wenn man sich noch nie mit dem Archipel im Nordatlantik beschäftigt hat. Jene aber, die schon einmal für längere Zeit dort waren, werden wissend nicken. Denn bereits nach ein paar Tagen hat man dieses Wort bestimmt schon einige Male selbst benutzt. „Vielleicht können wir heute wandern, aber vielleicht kommt uns der Nebel in die Quere. Vielleicht werden wir heute einen Ausflug machen, vielleicht aber auch den Tag drinnen verbringen, weil es zu stark regnet.“ Und vielleicht verziehen sich die Wolken und eröffnen das schönste Panorama, das man je gesehen hat. Denn die raue Natur dieses beeindruckenden Ortes lässt sich nur ungern in einen engen Zeitplan sperren. Auch das wird hier allzu schnell klar.
Vorsicht, Schaf!
Die Färöer-Inseln bestehen aus insgesamt 18 bergigen Inseln, auf 17 davon verteilt sich die Bevölkerung von 52.000 Menschen und 70.000 Schafen. Letztere haben hier eine lange Tradition, was Nahrungs- und Rohstoffbeschaffung betrifft sowie die Angewohnheit, mitten auf den Straßen ein Nickerchen zu machen. Die Geschwindigkeitsbegrenzung von höchstens 80kmh sollte man daher ernst nehmen. Auch, wenn man wie so oft die einzige Menschenseele weit und breit ist, die sich ihren Weg durch das überschaubare Straßennetzwerk bahnt, das die Inseln miteinander verbindet. Das Angebot an Straßen, Tunnel- und Fährverbindungen (sowie insgesamt fünf Ampeln) ist dabei noch eine relativ neue Errungenschaft und der Tatsache geschuldet, dass sich die Inselgruppe zwischen Island und Schottland immer mehr dem Tourismus öffnet. Abgeschnittene Dörfer, die nur per Wanderung oder Helikopter zu erreichen sind, waren hier bis vor kurzem noch normal. Heute kann man sich bequem ein Auto mieten und damit entlang der gut beschilderten „Buttercup Route“ fahren, die die schönsten Orte der Inseln miteinander verbindet.
Trotz dieses neuen Komforts schwingt beim Entdecken der Färöer-Inseln stets ein Gefühl von Abenteuer und Aufbruch mit. Auf Reisende warten hier endlos weite Graslandschaften, sanfte Hügel und raue Felsformationen, in denen uralte Mythen und Sagen schlummern. Das tiefblaue Meer ist nie weit weg und durch die salzige Luft allgegenwärtig. Und natürlich die vorwitzigen Schafe, die sich ihrer Überzahl fast schon bewusst zu sein scheinen und hier außerdem als natürliche Rasenmäher auf den traditionellen Grasdächern der bunten Holzhäuser eingesetzt werden. Die Färinger, wie die Bewohner:innen der Färöer-Inseln genannt werden, sind offen für Modernes. Dennoch hat man stets auch das Gefühl, als würden die Uhren ein klein wenig langsamer ticken. Im besten Sinne, wohlgemerkt.
Wolle mit neuem Wert
Die Hauptstadt der Färöer-Inseln ist Tórshavn. Ein kleiner charmanter Ort, an dem man auch seine Zelte aufschlagen sollte, sofern man nicht in einem AirBnB mitten im Nirgendwo übernachten möchte. Das Regierungsviertel Tinganes, wo das Parlament im Jahr 825 erstmals zusammentrat, gilt als einer der ältesten parlamentarischen Versammlungsorte der Welt, der noch immer genutzt wird. Die bunten Holzhäuschen mit Picknickbänken im Garten wirken aber eher wie aus einem skandinavischen Bilderbuch. Hier sieht man den Premierminister auch schon mal mit dem Rad zur Arbeit fahren. Streift man weiter durch die wunderschönen Wohnbezirke (respektvoll und ohne Fotos zu machen, bitte!), beginnt man zu überlegen, wie das Leben hier wohl aussehen mag.
„Wir Einheimischen sind zwar hartgesotten und manche von uns wirken vielleicht ruppig. Aber die meisten sind gastfreundlich und aufgeschlossen für Neues“, erzählt Guðrun Ludvig. Sie ist eine der beiden Gründerinnen des hier ansässigen, aber bereits international bekannten Stricklabels Guðrun & Guðrun. Gemeinsam mit Business-Partnerin Guðrun Rógvadóttir gab sie lokaler Schafwolle wieder mehr Wertigkeit und tat damit gleichzeitig auch der Umwelt etwas Gutes. Denn davor waren Strickpullover nicht mehr als normale Arbeitskleidung und die eher kratzige Wolle wurde jahrzehntelang einfach verbrannt. „Dadurch setzt das Lanolin in der Wolle schädliches Kohlenmonoxid und Kohlendioxid frei. Das konnten wir nicht länger mitansehen“, sagt die Designerin. „Alles begann mit unserem Signature Piece, einer minimalistischen Version des Pullovers, den mein Vater besaß. Früher konnte man an dem speziellen Familienmuster im Strick verschollene Seemänner wiedererkennen, die vom Meer wieder an Land gespült wurden. Bis heute besitzt wohl jeder Mann auf den Inseln so einen Seemanns-Pullover“, so Guðrun – und dank ihrem Label auch immer mehr Menschen weit über die Grenzen hinaus.
James Bond und die Puffins
Aber nicht nur für ihre Schafe, die übrigens nicht mal vor den steilsten aller Klippen zurückschrecken, sind die Färöer-Inseln bekannt. Ungefähr 110 verschiedene Vogelarten, darunter unzählige sehr seltene sind hier beheimatet. Allen voran die putzigen, “Puffins“ genannten Papageientaucher. Sie tummeln sich zu Hauf auf der geschützten Insel Mykines, zu der man eigene Touren buchen kann. Muss man aber gar nicht, denn die rundlichen Puffins fühlen sich glücklicherweise auch an einigen der spektakulärsten Sehenswürdigkeiten wohl. Am berühmten Wasserfall, der bei Gásadalur ins Meer stürzt, zum Beispiel. Das Dorf liegt eingekesselt von den beiden höchsten Bergen der Insel Vágar in einem grünen Tal und besteht aus nur wenigen Häusern. Von hier aus kann man eine kleine Wanderung entlang der steilen Küste unternehmen.
Oder auf der Insel Kalsoy, auf die man nur per Fähre kommt, die einige Passagiere und etwa 12 Autos fasst. Letzteres benötigt man hier aber sowieso nicht, denn auf der Insel gibt es nur eine Straße und damit auch nur eine Buslinie, die zwischen den vier Dörfern hin- und herfährt. Besonders der Norden der Insel lockt mit einer kleinen und nicht allzu anstrengenden Wanderung an die Klippen – stets begleitet von spektakulären Aussichten. Kein Wunder, dass es dieser Ort in den letzten James Bond Film “Keine Zeit zu sterben“ schaffte. An den Klippen hat man nicht nur einen atemberaubenden – und schwindelerregenden – Ausblick auf die anderen Nordinseln, sondern trifft im Sommer eben auch auf die süßen Puffins.
Oder aber man bucht eine Bootstour zu den Vogelklippen von Vestmanna. Empfehlenswert nicht nur wegen der unzähligen Vogelarten, die hier nisten. Sanft gleitet das Boot durch tiefe Schluchten und Höhlen, das glasklare Wasser legt dabei den Blick auf ungeahnte Tiefen frei. Es sind Naturschauspiele wie diese, die einem hier stets in Erinnerung rufen, wie klein man eigentlich ist.
Wegen Wartungsarbeiten geschlossen
Dass man die einzigartige Natur um sie herum unbedingt schützen muss, realisierten die Färinger zum Glück schon vor langer Zeit. Bis zum Jahr 2030 soll die gesamte Elektrizität des Landes z.B. ausschließlich aus erneuerbaren Energien stammen. Derzeit sind es immerhin über 50%. Das rasante Wachstum der Tourismusbranche motiviert die Menschen zusätzlich, ihr Erbe zu bewahren – und das auf unkonventionelle Weise, wie die Initiative „Closed for Maintenance, Open for Voluntourism“ zeigt. Die mutige Idee: die Inseln wegen “Wartungsarbeiten“ für ein Wochenende zu schließen. Elf beliebte Attraktionen wurden im April 2019 erstmals für reguläre Reisende gesperrt, aber für freiwillige Helfer:innen geöffnet. Die ungewöhnliche Umwelt-Initiative wurde so positiv aufgenommen, dass es nun ein jährliches Projekt ist, zudem das Anlegen von Wanderwegen oder die Beschilderung von Vogelschutzgebieten zählen. Die Kampagne arbeitet mit Gemeinden im ganzen Land zusammen und bezieht Einheimische mit ein. Wer mitmachen möchte: Auf der Website anmelden, Flugticket buchen und den Rest übernimmt das Tourismusbüro, einschließlich Unterkunft, Verpflegung und Transport.
Ein Ort der Kontraste
„Die Färinger leben in einem ständigen Tanz mit der Natur. Ihr Leben wird von den Rhythmen des Meeres und des Himmels geprägt. Ihre Traditionen spiegeln einen tiefen Respekt vor den Kräften wider, die ihr Dasein bestimmen. Sie haben gelernt, angesichts von Unsicherheit widerstandsfähig zu sein. Sie haben einen Ausdruck dafür: ‚das Land des Vielleicht‘. Er fängt ihre Fähigkeit ein, sich an alles anzupassen, was das Leben ihnen entgegenwirft,“ schreibt Autor Tim Ecott in seiner literarischen Liebeserklärung „The Land of Maybe“.
Die Färöer-Inseln sind tatsächlich ein Ort der Kontraste. Schlürft man in der Hauptstadt Tórshavn feinste Ramen und selbstgebrautes Craft Beer, gehört das eigenhändige Töten von Tieren wie Schafen, Walen und Vögeln noch zum Alltag vieler Dorfbewohner:innen. Supermärkte führen exportierte Lebensmittel aus aller Welt, eigene Herstellung oder Anbau ist wegen des starken Windes und der steinigen Böden aber kaum möglich. Genießt man gerade den sanften Klang der Wellen, erwischt einen die eisige Meeresluft mit ungeahnter Härte. Und auch die saftig grünen Wiesen verschmelzen hier meist nicht langsam mit dem Strand, sondern werden abrupt von Klippen abgehakt, die oft mehrere hundert Meter in die Tiefe fallen.
Von Coolcation über Slow Travel
Das Stichwort, um diese einzigartige Destination so intensiv wie möglich zu erleben, heißt wohl „Slow Travel“. Sich also mehr Zeit nehmen, um länger zu verweilen. Denn, wie bereits erwähnt, können Ausflüge hier schnell ins Wasser fallen. Mit sommerlichen Höchsttemperaturen von 15 Grad eignen sich die Inseln im Nordatlantik aber gerade deshalb perfekt für eine “Coolcation“. Wer längere Wanderungen machen möchte, braucht neben wetterfester Kleidung im Zwiebellook außerdem einen lokalen Guide, um Sicherheit zu gewährleisten. Denn der Nebel setzt rasant ein und neue Windstärkenrekorde misst man regelmäßig. Am bequemsten klappt die Fortbewegung mit dem Mietauto, vorzugsweise elektronisch. So kann man jederzeit genügend Verköstigung mitbringen, denn im Gegensatz zur Hauptstadt sind Restaurants und Gaststätten auf den Inseln rar.
Tórshavn besitzt eine blühende Restaurantszene, die selbst internationale Gastrokritiker:innen ins Schwärmen bringt. Da die Preise dort aber jedes durchschnittliche Urlaubsbudget sprengen, gibt es die Initiative „Heimablídni“: Dabei isst man zuhause bei den Färingern, um ihre Kultur und Traditionen hautnah zu erleben und dabei Hausmannskost aus regionalen Produkten zu genießen. Wenn dann draußen der landestypische Nieselregen einsetzt und man drinnen gesellig zusammensitzt, erfährt man vielleicht auch aus erster Hand, wie das Leben so ist, an einem der unberührtesten Orte der Welt. Vielleicht aber auch nicht.
Alle Fotos: © Jenni Koutni
Eine weitere Slow-Travel-Destination in Österreich findest Du hier.