Die Modeindustrie produziert nicht nur Trends, sondern auch immense Mengen an Abfall. Selbst wenn man annimmt, dass im Altkleidercontainer gespendete Ware Bedürftigen zugutekommt, sieht die Realität oft anders aus: Ein Großteil der abgelegten Kleidung landet auf riesigen Deponien in Ländern, die keine entsprechende Recyclinginfrastruktur besitzen. Katja Wagner, Expertin für Kreislaufwirtschaft und Mitgründerin der Plattform TURNS, setzt sich gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Angelique Thummerer aktiv für eine Veränderung dieses Systems ein. Denn noch immer gilt das Motto: „Aus den Augen, aus dem Sinn“.
Doch langsam aber sicher schärfen die Bilder von Müllbergen aus Altkleidung, die Wüsten und Strände verschmutzen, das Bewusstsein für dieses Problem. „Die Berichterstattung verschiedener Umweltverbände zeigt die drastischen Auswirkungen fehlender Recyclingsysteme“, erklärt Wagner. „Der europäische Überkonsum und das System des Altkleiderexports von Second-Hand Kleidung in Ländern ohne textile Recyclingsysteme hat über die Jahre hinweg (bild)gewaltige Auswirkungen angenommen. Gleichzeitig fehlt es an objektivem Zahlenmaterial. Woher genau kommen die Textilien? Und zu welchem Prozentsatz landen sie getragen bzw. ungetragen auf den Deponien?“ Eine Lösung sieht Wagner in der Änderung des hier vorhandenen Altkleidersystems, sodass deutlich weniger Ware exportiert wird. Vor allem müsse der Export stark reduziert werden. Doch was können Konsument:innen selbst tun?

Altkleider sind keine Spende mehr
Wie so oft, ist jeder Kauf wie ein Stimmzettel. Kaufen wir weniger Kleidung, setzen wir damit ein Zeichen gegen Verschwendung und Überkonsum, sagt auch die Expertin: „Sicherlich ist der gezügelte Konsum ein großer Hebel. Gleichzeitig benötigen wir aber auch ein neues Bewusstsein für unsere Altkleider. Die sind nämlich schon lange keine Spende mehr, sondern ein zu recycelnder Rohstoff.“ Das Recycling verursache Kosten, die getragen werden müssten. Und die schiebt man gerne auf andere, meist ärmere Länder. Daher sei es sinnvoll, schon beim Kauf auf Produkte mit wenigen Komponenten zu achten, etwa auf Kleidung aus 100 % Baumwolle. Nachhaltiger Konsum bedeute weniger, aber hochwertigere Kleidung zu kaufen. Nur so könne eine stabile Textilverwertungskette innerhalb Europas entstehen, so Wagner.
Einer neuer Weg für Second Hand
Ein weiteres Problem ist die niedrige Qualität vieler Kleidungsstücke, insbesondere bei Fast Fashion. „Die Kosten für Sammlung, Sortierung und Faserrückgewinnung lohnen bei den minderwertigen Materialien nicht, weil kaum Fasern zurückgewonnen werden können“, so Katja Wagner. Hinzu komme, dass es derzeit technisch schwierig sei, die Qualität der Fasern bei der Sortierung zu erkennen und minderwertige Ware direkt der thermischen Verwertung zuzuführen. Viele Menschen spenden ihre Kleidung in der Hoffnung, dass sie entweder wiederverwendet oder Bedürftigen zugeführt wird. Doch derzeit gibt es für Verbraucher:innen kaum eine Möglichkeit, ihre Textilien mit der Sicherheit abzugeben, dass sie in Deutschland als Second-Hand-Ware verkauft oder recycelt werden. Die Lieferketten hinter den klassischen Altkleidersammlungen seien wenig transparent.

Mit ihrem Unternehmen TURNS gehen Wagner und Thummerer daher einen anderen Weg: „Wir nehmen Textilien direkt von Firmen bzw. deren take-back Boxen zurück und garantieren 100 % transparentes Recycling – damit sind wir aber die Ausnahme am Markt.“ Die Textilrecycling-Industrie wächst, doch viele Materialien, insbesondere Mischfasern, sind schwer wiederverwertbar. Zwei Recyclingarten sieht Wagner als vielversprechend: „Das mechanische Recycling ist bereits weit entwickelt und bietet gute Möglichkeiten zur regionalen Faserrückgewinnung, insbesondere von Polyester/Cotton. Das chemische Recycling ist ein sensiblerer Prozess, der jedoch hochwertigere Qualitäten hervorbringen kann.“ Aktuell arbeiteten einige Firmen daran, Pilotanlagen zu bauen und zu skalieren.
Den Bann durchbrechen
Um den Trend zur „Wegwerfmode“ zu durchbrechen, plädiert Wagner für eine generelle Verbesserung der Qualität von Kleidung. Höhere Qualität bedeute höhere Preise, was zu bewussteren Kaufentscheidungen führe. Zudem sollten Recyclingkosten separat ausgewiesen werden, um das Bewusstsein für die Entsorgungskosten zu schärfen. Initiativen großer Modemarken, etwa Rücknahmesysteme oder Recycling-Programme, seien ein guter Schritt, aber nicht ausreichend. „Wir müssen zwischen der Altkleidersammlung bei Verbraucher:innen und der Sammlung bei Unternehmen unterscheiden“, sagt Wagner. Während für Firmen neue Prozesse notwendig seien, sehe sie für Privatpersonen eine große Verantwortung bei den Kommunen. „Bevor jedes Unternehmen selbst Waren sammelt, könnte das öffentlich bereits akzeptierte System für Altkleidercontainer genutzt werden. Die Sammelweise ist ja grundsätzlich sinnvoll, nur das Verwertungssystem dahinter nicht.“

Zukunfsvisionen bei TURNS
Für die Zukunft hat Wagner eine klare Vision: „Wir wollen Textilrecycling in Deutschland zum Standard machen und recycelte Textilfasern in die Lieferketten der deutschen Brands integrieren.“ Dafür müsse jedoch auch die Politik handeln. Gesetzliche Maßnahmen wie die Förderung des Textilrecyclings, eine strengere Regulierung von Second-Hand-Exporten sowie ein Vernichtungsverbot für unverkaufte Neuware könnten den Wandel beschleunigen. Die Unternehmen wiederum sollten ihre Kollektionen an den aktuellen Recyclingmöglichkeiten ausrichten und minderwertige Qualitäten aus dem Sortiment streichen. Mit TURNS GoCircular geht Wagner einen innovativen Weg: Erstmals werden die tatsächlichen Recyclingkosten für ein Stück Textil offengelegt. „Das ist für viele völlig neu und interessant und ermöglicht eine Diskussionsgrundlage“, sagt sie. Doch das allein reicht nicht. Nur wenn Politik, Wirtschaft und Verbraucher:innen gemeinsam handeln, kann aus einem umweltschädlichen Kreislauf ein nachhaltiges System entstehen – und Altkleider tatsächlich sinnvoll wiederverwertet werden.
Immer besser als wegwerfen: Reparieren! Hier findest du nachhaltige Labels mit Reparaturservice.