Der Ernährungswissenschaftler Niko Rittenau lebt seit zehn Jahren vegan. Aktuell engagiert er sich mit Oatly dafür, dass im EU-Schulprogramm pflanzliche Milchalternativen an Schulen angeboten werden. Das EU-Schulprogramm unterstützt die Verteilung von Milch, Obst und Gemüse an Millionen von Kindern, von der Vorschule bis zur Sekundarschule in der gesamten EU. Wie schwer ihm der Umstieg auf pflanzliche Alternativen fiel und wieso es so wichtig ist, Kindern früh Alternativen anzubieten, erzählt er im Interview.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass die Mehrheit der Deutschen pflanzliche Milchalternativen in Schulen fordert. Hättest du gedacht, dass der Wunsch so groß ist?
Ich denke, die meisten Menschen würden, wann immer es nachhaltigere oder ethischere Alternativen gibt, auf Alternativprodukte umsteigen, wenn diese breitflächig verfügbar, unkompliziert zugänglich, preiswert und schmackhaft sind. Leider ist das bei pflanzlichen Milchalternativen noch immer nicht der Fall. Wenn man – im Rahmen des EU-Schulprogramms – einige dieser Hemmschwellen senkt, kann das enorm helfen.
Wieso ist es so wichtig, dass man früh Alternativen zur Milch anbietet?
Um alle zu integrieren. Weltweit sind etwa 75 Prozent der Menschen laktoseintolerant, besser gesagt nur etwa 25 Prozent vertragen Milchzucker. Davon abgesehen lehnen mehr und mehr Menschen Milch von Säugetieren aus ethischen, religiösen oder ökologischen Gründen ab. Wenn die EU Kuhmilch fördert, muss sie auch Milchalternativen fördern. Für Kinder liefern Kuhmilchprodukte viel Kalzium und weitere wichtige Nährstoffe. Trinken sie weder Milch noch angereicherte Milchalternativen, fehlen diese Nährstoffe möglicherweise. Also muss man sie mit Pflanzendrinks abdecken, da gerade Kalzium bei pflanzlicher Ernährung ein potenziell kritischer Nährstoff ist. Viele Eltern haben sich noch nie mit veganen Alternativen beschäftigt. Außerdem ist die Schulzeit eine starke Prägungsphase in Sachen Geschmack und Verhaltensweisen. Wenn Kinder nicht mit guten, gängigen Optionen aufwachsen, werden sie diese als Erwachsene weniger in Erwägung ziehen. Im Hinblick auf eine enkeltaugliche Zukunft muss man Kinder darüber aufklären, welchen ökologischen Einfluss ihre Essens-Entscheidungen haben.
Viele entscheiden sich für klassische Milchprodukte, weil Alternativen viel teurer sind.
Gerade spricht man darüber, die Mehrwertsteuer von Produkten anhand der Klimaauswirkungen zu bemessen. Damit würden pflanzliche Alternativen automatisch günstiger. Grundnahrungsmittel werden aktuell mit nur sieben Prozent besteuert, auch klassische Milch. Pflanzliche Milchalternativen zählen noch nicht dazu. Der günstige Preis hängt damit zusammen, dass die klassische Milchwirtschaft etablierter ist und größere und teils effektivere Strukturen aufweist. Das muss der pflanzliche Sektor erst aufholen. Logischerweise ist es aber günstiger und einfacher, aus einem Haferkorn Pflanzendrinks zu machen, als den gesamten Kreislauf der Milchindustrie zu gehen. Beim Preis vergisst man oft die sogenannten „versteckten Kosten“ eines Lebensmittels. Das sind jene Kosten für Ressourcenverbrauch und negative Umweltauswirkungen, die nicht im Supermarkt von uns, sondern von Folgegenerationen aufgrund der Umweltschäden bezahlt werden. Wir müssen ein faires System finden, in dem sich Lebensmittelpreise an den tatsächlichen Gesamtkosten orientieren. Pflanzliche Lebensmittel schneiden hier deutlich besser ab.
Das EU-Schulprogramm steht dafür, Kinder die Natur näher zu bringen, zum Beispiel mit Besuchen am Bauernhof.
Das ist prinzipiell gut. Aber es bringt ihnen wenig, weil es nicht die Realität der Milchindustrie widerspiegelt. Der allergrößte Teil der Milch, der im Rahmen des EU-Schulprogramms ausgegeben wird, wird nicht unter diesen vermeintlich idyllischen Zuständen am Vorzeigebauernhof produziert. Würden wir Kinder ehrlich darüber aufklären, wie Milch produziert wird, würde das viele Kinder ziemlich verstören. Wenn wir nicht ertragen solche Produktionen anzusehen und es für unsere Gesundheit nicht unabdingbar ist, warum akzeptieren wir dann derartige Systeme weiterhin?
Was sind deine Tipps für den Einstieg in eine vegane Ernährung?
Grundlagenwissen schaffen. Die westliche Mischkost bekommen wir meistens von den Eltern mit, das ist für uns selbstverständlich. Es heißt, ohne Milch gibt es zu wenig Kalzium, ohne rotes Fleisch zu wenig Eisen, Fisch ist wichtig für Omega 3 und so weiter. Diese Nährstoffe können wir uns aber über pflanzliche Alternativen holen, denn tierische Produkte haben grundsätzlich kein Monopol auf diese Nährstoffe. Die Informationen gibt es zuhauf im Internet, in Büchern und in Dokus und im Rahmen der Ernährungsumstellung lernt man zumeist mehr neue Lebensmittel kennen, als man aus der Ernährung streicht. Obwohl es im Sinne der veganen Philosophie tatsächlich nur ein „Ganz oder gar nicht“ gibt, ist es aus gesundheitlichen und ökologischen Aspekten ein sehr bedeutender Schritt, wenn nicht nur ein kleiner Teil der Bevölkerung einen sehr strikten Wandel vollzieht, sondern der Großteil zumindest pflanzenbetonter isst und damit durchschnittlich ökologischere Entscheidungen im Hinblick auf Lebensmittel trifft.
Wie ging es dir mit der Umstellung?
Mir fiel es schwer. Ich habe heute noch feuchte Träume von Parmesan und Hüttenkäse (lacht). Es gibt noch keine eins-zu-eins Alternative für alle tierischen Produkte, aber es verbessert sich stetig. Ich wünschte, die Hauptgründe für eine Ernährungsumstellung wären Ethik, Gesundheit und Umweltbewusstsein. Untersuchungen zeigen, dass es leider eher auf Geschmack, Preis, Verfügbarkeit und Bequemlichkeit ankommt. Wenn wir es schaffen, pflanzliche Alternativen zu guten Preisen überall mit geringem Aufwand verfügbar zu machen, werden sich mehr und mehr Menschen dafür entscheiden. Dann erleben wir jene Ernährungswende, die unsere Gesellschaft dringend benötigt. Wir alle haben einen stressigen Alltag und ich verstehe, dass man sich nicht rund um die Uhr mit derartigen Themen beschäftigen will. Es ist also wichtig, dass die Politik Rahmenbedingungen für diesen Wandel schafft, die Lebensmittelindustrie im Rahmen dessen gute Alternativen anbietet und der Einzelhandel diese annimmt und fördert sowie Trends aktiv mit gestaltet, anstatt lediglich auf diese zu reagieren.