Autorin: Odett Schumann
Wann habe ich mich eigentlich das letzte Mal bei meinen Freunden gemeldet? Wie schaffe ich die Abgabetermine für die nächsten drei Artikel einzuhalten? Und wo steht eigentlich gerade nochmal meine Teetasse? Die Wochen vor meiner Teilnahme am Punarjani Retreat am Tollensesee in Mecklenburg-Vorpommern waren alles andere als entspannt. Ich sehnte mich nach Erholung, ohne es zu bemerken. Dann, mitten in mein Berliner Tumultleben hinein ploppt eine Nachricht meiner Chefredakteurin auf: „Willst du an einem Ayurveda-Retreat teilnehmen?“ Sieben Worte, die nur ein Wort als Antwort brauchten: Unbedingt.
Wie durch ein Gemälde wandeln
Mit dem Zug machte ich mich von der Hauptstadt auf in Richtung Neustrelitz, in Richtung Park am See Nattika Ayurveda Resort, in Richtung Erholung und Entschleunigung. Angekommen, führt allein der Weg zu den einzelnen Unterkünften einmal durch das weitläufige malerische Gelände des Schlossparks. Schon jetzt fällt auf neben den sorgfältig restaurierten reetgedeckten Fachwerkhäusern und Hallen blitzen im vielen Grün des Parks immer wieder kleine, fast schon wildromantische Attraktionen auf. Da eine alte Holzbank, dort wilde Blumenwiesen mit allerlei summenden und brummenden Insekten. Später entdecke ich bei einem alten Spaziergang sogar noch eine 500 Jahre alte Eiche auf dem Areal. Und nur wenige Fußminuten entfernt wartet der unverbaute Tollensesee. Es ist ganz so als würde man durch ein Gemälde von Monet wandeln. Kurzum: Ich mag den Ort meines bevorstehenden Ayurveda-Retreats schon jetzt sehr.
Ayurveda-Retreat: mal einen Gong zurückschalten
Nach einer ersten sanften Yoga-Einheit folgt bereits ein Highlight meiner kleinen Auszeit im Ayurveda-Retreat: Es geht auf eine multisensorische Klangreise mit Gong, die ich so in dieser Form noch nie gemacht habe. Entsprechend neugierig bin ich auf das, was gleich passiert. Durchgeführt wird das Ganze von Stefan und Xiao Li, die uns nach einer kurzen Einführung bitten uns auf die Yogamatten zu legen und die Augen zu schließen. Nichts leichter und lieber als das! Es geht los: Mit den verschiedenen Gongs werden verschiedene tiefe und dumpfe Töne erzeugt. Ich habe das Gefühl mein ganzer Körper saugt die Klänge förmlich auf, insbesondere als es zu den hohen Tönen kommt, scheint es mir fast so als würde er vibrieren. Eine Art Ganzkörper-Gänsehaut überkommt mich, zumindest fühlt es sich so an. Besonders begeistert bin ich von dem Gong mit dem sich das Geräusch eines plätschernden Baches oder sogar kleinen Wasserfalls imitieren lässt. Wie betörend diese Klangreise ist, wird immer dann deutlich, wenn von irgendwoher ein zufriedenes Schnarchen ertönt. So beruhigend scheint die atmosphärische Sound-Kulisse auf so manche*n Teilnehmer*in zu wirken. Mit einem beeindruckten und irgendwie schwebenden Gemütszustand zieht es mich nur noch auf mein Zimmer. Muss es auch, immerhin rasselt am nächsten Morgen der Wecker bereits um 5:30.
Wider den Widerständen
Müde schlurfen alle in die beachtliche Yoga-Halle von 400 qm und begeben sich zunächst in eine Meditation im Sitzen. Ich werde sofort von einer Mücke geplagt und muss überhaupt zunächst mit allerhand inneren Widerständen kämpfen. „Na klar, der Stress der letzten Wochen“, denke ich mir. Fragen schießen mir immerzu durch den Kopf: Was war die Woche so los? Was erwartet mich in der nächsten? Und Moment: Habe ich eigentlich die letzten Heidelbeeren, die schon nicht mehr ganz frisch waren, vor meiner Abreise noch gegessen? Schluss. Fokus. Konzentration auf den Atem, lautete die Anleitung von Yoga-Lehrerin Laura. Allmählich kommen meine Gedanken und ich zur Ruhe und fast habe ich das Gefühl, ich döse ein. Fließend geht es in die Yoga-Session über, wo meine schreibtischverwöhnten Knochen, Muskeln und Bänder nicht gleich so wollen, wie ich. Okay, es ist auch noch sehr früh am Tag – fair enough! Die letzte Yoga-Stunde ist echt schon wieder viel zu lange her, ärgere ich mich kurz. Doch mit der Zeit kehren Motivation, Flexibilität und Energie wieder zurück in meinen Körper. Die Einheit endet mit einer Summ-Klang-Meditation. Stimmungsvoll ertönt ein lautes „Hmmmm“ in der Halle, was tatsächlich klingt wie ein echter umherschwirrender Bienenschwarm.
Ein Frühstück, das für Verwirrung sorgt
Vom ayurvedischen Frühstück sind zunächst alle noch ein wenig verwirrt. Dal? Masala? Am Morgen? Für den mitteleuropäischen Magen schwer vorstellbar, dass das jetzt auf dem Speiseplan steht. Und so halten sich die meisten erst einmal an das, was ihnen am ehesten vertraut vorkommt, scheint es mir. Ein neutral schmeckender Porridge mit etwas Obst, ab und an gibt es die ersten vorsichtigen Versuchen sich an einem Reistörtchen zu probieren. Immerhin bildet die Ernährung der ayurvedischen Philosophie nach den Schlüssel zu Gesundheit und Wohlbefinden. Jedes Gericht – aus frischen, saisonalen und lokalen Zutaten – ist in der Lage die Selbstheilungskräfte zu aktivieren.
Schon bald folgt eine weitere Klangreise und diese ist abermals besonders. Wieder liegen wir ruhig am Boden, während sich um uns herum langsam ein Sound, der einem Tornado gleicht, aufbaut. Das Gehörte wird mit der Zeit immer schneller, lauter und wilder gespielt, sodass es fast schon bedrohlich wirkt. Nicht nur mir geht es so, im Nachgespräch mit anderen Teilnehmer*innen erfahre ich, dass es sich für sie ganz ähnlich angefühlt hat und dennoch sind wir uns alle einig, dass dieser Part des gesamten Ayurveda-Retreat ein ganz besonderer war.
Töpfern im Einklang mit der Natur
Dennoch freuen wir uns bereits auf die nächste Attraktion, die auf dem Plan steht: Wir dürfen kreativ und aktiv zugleich werden. Im Kunstworkshop mit dem belgischen Töpfer Theo Michel sollen wir mit den Händen Lehm formen. Erst erspüren wir das Naturmaterial blind, um übers Ertasten ins Erspüren zu kommen. Im fließenden Übergang darf es – immer noch mit Augen zu – an erste kleine Kreationen gehen. Irgendwann dann auch sehend: Schnell machen sich die meisten ans Werk und scheinen direkt eine Eingebung zu haben. Zwischendrin erklärt uns Theo, dass wir das Ganze nicht für uns und unsere private Sammelleidenschaft machen, sondern das Geformte später wieder in die natürliche Umgebung zurückgeben werden. Spätestens mit dem nächsten Regenguss, und der sollte schneller folgen als uns lieb war, verschmilzt das Naturmaterial wieder mit Mutter Erde. Und so strömen nach und nach alle in sämtliche Himmelsrichtungen übers gesamte Gelände, um „ihren“ Spot für das Kunstwerk ausfindig zu machen. Einige wissen sofort, welcher ihrer Ort sein soll, meiner führt mich dahin, wo es mich in der Natur oft hinzieht: ans nahegelegene Wasser.
Am frühen Abend ergießt sich dann tatsächlich ein kleines Unwetter über unser Resort. Wie gut, dass wir genau zu diesem Zeitpunkt an einem Intensiv-Kochkurs teilnehmen und so die ayurvedische Küche noch besser kennenlernen dürfen. Zuvor gibt es aber noch einen Vortrag vom indischen Arzt des Hauses Dr. Jibin C Manjila. Von ihm erfahren wir einiges über eine gesunde Lebensführung, ganz besonders in Verbindung mit der eigenen Ernährung. Im Anschluss werden vor unseren Augen drei verschiedene Gerichte gekocht. Natürlich sind jede Menge Gewürze, alle voran Kreuzkümmel, Knoblauch und Koriander, mit dabei. Die ayurvedische Wunderwaffe für eine gute Verdauung. Immer wieder bekommen wir Tipps an die Hand. Schon gewußt? Unsere geliebte Brotzeit am Abend hierzulande ist eigentlich eher schlecht für die Verdauung, stattdessen sollte das Essen leicht und warm sein. Und zwar am besten jeden Tag, denn unser Körper liebt Routine.
Das Beste kommt zum Schluss
Auch am Morgen des letzten Tages im Ayurveda-Retreat gewinne ich den Kampf gegen meinen inneren Schweinehund nur schwer. Mittlerweile schon 2:0 für den Wecker. Nach spätestens 10 Minuten ‘erinner’ ich mich wieder, dass es sich lohnt. Und nach einer weiteren Yogaeinheit, die sich vor allem auf die Verdauung und Entgiftung fokussiert und Trainerin Laura entsprechend viele Twists, aber auch stehende Sequenzen einbaut, geht es auf die allerletzte Klangreise. Stefan und Xiao Li nehmen uns mit ihren Gongs und anderen experimentellen Musikinstrumenten erneut mit in andere Welten. Sie kündigen bereits vorher an, dass es dieses Mal eher ein kreatives Spiel wird. Irgendwann packt mich die Neugier und ich drehe mich auf die Seite, blinzle leicht und beginne sie zu beobachten. Kleine, feine Schläge mit übergroßen Trommeln lassen außergewöhnliche Sound-Effekte entstehen, die für mich alles andere wie ein Gong klingen. Ich bin fasziniert.
Und endlich steht auch meine Ayurveda-Behandlung an, die jede*r TeilnehmerIn im Laufe des Retreats erhalten sollte. Wie heißt es so schön, das Beste kommt zum Schluss? Und so war es auch: Nach einem kurzen Aufenthalt im Wellnessbereich führt mich meine Therapeutin Athira in den Behandlungsraum. Dort angekommen, positioniert sie sich vor mir und spricht ein kleines Gebet auf Sanskrit. Dann holt sie das warme Sesamöl und beginnt mit einer wohltuenden Kopf- und Nackenmassage. Anschießend ging es auf die Massageliege, wo ich einmal von Kopf bis Fuß ordentlich eingeölt und durchgeknetet wurde. Herrlich! Wie gut meinem Körper diese Behandlung tat, konnte ich noch tagelang danach spüren. Allein mein Haut fühlte sich wohl so weich und duftend wie noch nie an.
Schließlich nähern wir uns dem Ende unseres Ayurveda-Retreats. Langsam folgen die letzten Momente miteinander. Noch einmal sitzt man in verschiedenen Grüppchen am Mittagstisch zusammen und plaudert über das Ayurveda-Retreat, das Leben oder lernt sich einfach nur so kennen.
Alle Fotos: © Odett Schumann
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