In Kürze kommt mein Zug in Bad Hofgastein an. Im Winter sieht man in dieser Region im Bundesland Salzburg noch wunderschön-verschneite Landschaften am Fenster vorbeiziehen – auch in Österreich keine Selbstverständlichkeit mehr. Im Ort angekommen, schlendere ich vorbei an einer Mischung aus Trachtenläden, urban-aussehenden Cafés und alteingesessenen Wirtshäusern. Die letzten Jahre hinterließen auch hier Spuren. „Liebe Gäste, wir mussten schließen“ lese ich nicht nur in einer verlassenen Auslage. Dabei hat das Gasteinertal, samt seinen Gemeinden Bad Hofgastein, Bad Gastein und Dorfgastein auch abseits der Skipisten einiges zu bieten:
Brunchen auf Sterneniveau mitten im Wald, beispielsweise. Spezielle Hauben-Gerichte, die man nur in ausgewählten Hütten bekommt. Oder ein 4-Gänge-Mondscheindinner auf 1.590 Höhenmetern, umgeben von den weiß leuchtenden 3.000ern der Gasteiner Bergwelt. Und natürlich eine wachsende Community an jungen Gastronom:innen, die mit modernen Konzepten das Erbe der Region sinnvoll in die Jetztzeit bringen wollen. Ich checke gerade in eines der besten Beispiele dafür ein: das Hotel Sendlhofer’s.
Wohnzimmeratmosphäre
1928 als Kurhaus eröffnet, wird es mittlerweile in dritter Generation von Lukas Sendlhofer zusammen mit Partnerin Eva Goldmann und Schwester Martina Sendlhofer geführt. Dass man hier ein besonderes Gespür dafür hat, Neues und Altes perfekt zu vermischen, merkt man bereits im offen gestalteten Eingangsbereich. Cooler Industrial-Chic trifft hier auf alpine Elemente und liebevolle Details wie alte Vitrinen der Großeltern oder Samtmöbel im Wes-Anderson-Look.
Begrüßt werde ich nicht nur von Gastgeberin Eva, sondern auch von vielen regionalen oder selbstgemachten Produkten um mich herum. Der verglaste Reiferaum für Fleisch sowie der ansehnliche Weinkeller, der auch viele moderne, antialkoholische Drinks beherbergt, deuten schon auf das besondere Kulinarik-Konzept des Sendlhofer’s hin. „Alle Gäste sollen ihren persönlichen Lieblingstisch finden“, erzählt Eva, als wir durch das hauseigene Restaurant Luke’s Wohnzimmer gehen. „Wir haben viel vegetarisches und veganes auf der Speisekarte. Wenn wir Fleisch verarbeiten, dann das ganze Tier. Es wird erst etwas aus dem Reiferaum geholt, wenn alles vom vorherigen Tier aufgebraucht ist. Daher und auch, weil wir von den Bäuerinnen und Bauern nie die gleiche Anzahl an Obst und Gemüse bekommen, kommt es vor, dass manche Gerichte in der Karte einfach aus sind. Aber das Konzept erklärt dir Lukas am besten persönlich“.
Alpine Tapas
Den Chef zum Gespräch zu erwischen, ist aber gar nicht so einfach. Seit der großen Umgestaltung im Jahr 2021 ist Luke’s regelmäßig gut gebucht und auch heute herrscht geschäftiges Treiben. Ich darf mich also erst einmal durch die Speisekarte kosten. Im Tapas-Prinzip werden kleine Portionen serviert, die zum Teilen einladen. Eine Hilfestellung bieten die Kategorien: Leidenschaft, Ursprung, Kreativ, Einheimisch und Süß enthalten kreative Gerichte wie das vegane Krautfleisch, “Funky Rona Salat” mit Frischkäsebällchen und Popcorn oder Churros, bis hin zu österreichischen Klassikern wie Salzburger Nockerl und gefüllten Paprika. Die Portionen im Mini-Format haben eines gemein: ihre Zutaten stammen aus kleinem Radius, der meist nicht größer ist als 30km. So auch bei Craft Bier, Reis oder Sojasoße.
„Wir wollten, dass man bei uns so viele regionale Produkte wie möglich kosten kann. Genauso, wie es unsere eigene Familien gern im Urlaub macht“, sagt Lukas Sendlhofer dann, als wir uns bei einem Glas Weißwein unterhalten, der, wie alle Weine hier, aus Österreich stammt. „Wir müssen lernen, weniger zu essen, dafür besser. Durch unsere Tapas muss man wieder selbst nachdenken: was passt wozu? Dadurch kann man spielerisch die Lust am guten Essen wiederentdecken“, erklärt er die Konzept-Idee. An der Bar hinter uns tratscht gerade der DJ, der am Vorabend Luke’s Wohnzimmer bespielte, mit zwei Mitarbeitern. „Das passiert hier öfters“, lächelt Lukas wissend. „Aus Einheimischen und Stammgästen werden hier Freunde. Mittlerweile kommen Leute aus dem Ort nachmittags mit ihrem Laptop, um in gemütlicher Atmosphäre zu arbeiten.“ Ein richtiges Wohnzimmer eben.
Vergessene Werte
Durch die rigorose Regionalität und Saisonalität soll die Wertschätzung für Produkt und Produzent:innen wieder in den Fokus treten. „Bei uns in der Region haben die meisten Bauern und Bäuerinnen zwei Jobs, damit sie sich über Wasser halten können. Wenn sie von ihren Betrieben aber wieder 100% leben könnten, werden auch die Produkte besser und die Gastronomie profitiert wiederum davon. Wenn die Ernte dann einmal nicht gut war, dann müssen wir Gerichte eben spontan verändern.“ Solange der Vorrat reicht – ein Satz, den man als Konsument:in, geschweige denn als Gast nicht mehr gewohnt ist. Die Reaktionen auf ein freundliches Tut uns leid, das ist heute bereits aus vom Servicepersonal fallen deshalb unterschiedlich aus, wie Lukas schildert: „Menschen, die es gewohnt sind, immer das zu bekommen, was sie wollen, sind natürlich irritiert. Aber wenn du offen durchs Leben gehst und dich auf Neues einlassen kannst, dann lässt du dich auch gerne auf eines unserer Überraschungsmenüs ein.“
Alles außer konventionell eben. Obwohl, so unkonventionell und neu ist es hier gar nicht. Die Werte, die man hier lebt, sind nur bereits in Vergessenheit geraten. Altes wertschätzen, regionale Produkte beziehen, näher zusammenwachsen, als Familie und auch als Region. Im hippen Sendlhofer’s geht man wieder zurück zur Zeit, als natürliche Kreisläufe noch funktionierten. Gut, zu Großeltern’s Zeiten stand veganes Sushi mit gedämpfter Marille wohl nicht in der Karte. Ein ausgeklügeltes Konzept sorgt dafür, dass trotz durchschnittlich 75 Gerichten nichts in der Tonne landet. Ein wichtiger Punkt, denn immerhin wird pro Jahr rund ein Drittel der Lebensmittel weltweit einfach weggeworfen.
Zukunftsvision Farm-to-table
Diesem und vielen anderen Problemen der modernen Zeit stellt sich seit letztem Jahr Bad Hofgasteins erste Farm-to-table Akademie, die Ende Januar in die dritte Runde geht. Die von den Tourismusverbänden des Gasteinertals unterstützte Initiative bietet Workshops für regionale Betriebe in Gastgewerbe, Hotellerie und Landwirtschaft. Kurse werden unter anderem in den Bereichen Vegane Küche, Nachhaltigkeit & Kreislaufwirtschaft sowie Nose to tail abgehalten. Das Prinzip Farm-to-table soll wichtige Netzwerke zwischen Landwirtschaft und Gastronomie schaffen, die Kreislaufwirtschaft forcieren, Arbeitskräfte weiterbilden – und Neulinge auch langfristig im Beruf halten. Denn wie so viele Tourismusregionen, steht auch das Gasteinertal vor einem ernsthaften Fachkräftemangel.
Ein Problem, das auch am Sendlhofer’s nicht spurlos vorübergeht, wie Lukas erzählt: „Wir müssen die Wertschätzung für unseren Beruf wiedererlangen. Weg vom lieblosen Kochen mit Convenience-Produkten, 70-Stunden-Wochen und schlechten Löhnen. Da wurde in den vergangenen Jahrzehnten viel kaputt gemacht.“ Eine wichtige Maßnahme der Farm-to-table Akademie besteht deshalb auch darin, die regionale Lebensmittelproduktion auf den Bedarf von großen Tourismusbetrieben abzustimmen. Denn wie Gastronom:innen wie Lukas Sendlhofer beweisen, braucht es keine Mango zum Frühstück und keinen Avocadotoast zum Lunch – Bad Hofgastein bietet genug kulinarische Abwechslung. Obwohl, so streng abgrenzen will man sich hier gar nicht mehr, wie Lukas kurz vor der Verabschiedung noch einwirft: „Schreib’ bitte Gastein und nicht Bad Hofgastein. Uns Jungen ist es nämlich wichtig, zu vermitteln, dass wir eins sind. Frühere Neiderei hat hier keinen Platz mehr.“ Offen ist hier also nicht nur das Hotelkonzept, sondern auch der Spirit, den man in einer der altehrwürdigsten Kurorte des Landes etablieren will.
„Wenn ich noch vor drei Jahren mit zerrissenen Jeans die Gäste empfangen hätte…“ wirft Lukas mit einem kurzen Augenrollen noch ein, bevor er sich ins Getümmel stürzt und ich noch kurz in meiner Holzschaukel verweile, die als Barhocker fungiert.
Bildcredits: Sendlhofer’s; Marktl-Photography (Beitragsbild)