Im Frühjahr ist soweit: wenige Wochen vor der Ernte, werden die sattgrünen, beinahe endlos wirkenden Felder mit Planen abgedeckt, sodass die Teepflanzen (Camellia Sinensis) fast vollständig vor dem Sonnenlicht geschützt sind. In Uji, einer der ältesten Tee-Regionen Japans, wird dafür seit Jahrhunderten Schilfrohr auf Bambusstäben ausgebreitet, ein Vorgang, den man „Oishitaen“ nennt. Heute halten nicht mehr alle Bauersleute an dieser traditionellen Methode fest, obwohl das Ergebnis für sich spräche. Der Schattenanbau ermöglicht es dem Tee nämlich, mehr Nährstoffe zu bilden. Sträucher, die keiner direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind, werden großflächiger und produzieren besonders viel Chlorophyll und die Aminosäure L-Theanin, die für das unverwechselbare Aroma verantwortlich ist. In dieser Phase könnten die Teeblätter auch zum losen, japanischen Blättertee Sencha verarbeitet werden. Erst die Prozesse danach machen daraus Matcha, ein völlig anderes Teeprodukt.
Grüntee im Trend
Und das leuchtend grüne Getränk ist längst mehr als ein Geheimtipp für Teefans. Heute begegnet es uns als Latte im Coffeeshop, in Donuts und Schokolade oder als viraler Trend auf TikTok, vermischt mit Erdbeer- oder Mangomuß. Der fein gemahlene Grüntee aus Japan gilt als Superfood, Lifestyle-Getränk und Statement für bewussten Konsum. Doch während der Hype immer größer wird, gerät aus dem Blick, dass Matcha ein rares, aufwendig hergestelltes Kulturgut ist und keine Massenware. Aber was steckt eigentlich genau drinnen und wo liegt der Unterschied zu anderen Grüntees?


Matcha entsteht aus derselben Pflanze wie der Grüntee Sencha, wird jedoch gedämpft und zu feinem Pulver vermahlen – dadurch entsteht ein völlig eigenes Teeprodukt. Fotos: © Felix Zimmer
Vom Blatt zum Pulver
Matcha entsteht aus Teeblättern, die mehrere Wochen heranwachsen, bis sie ihr charakteristisches, „grünes“ Aroma entwickeln. Direkt nach der Ernte werden die Blätter schonend gedämpft, um ihre leuchtende Farbe und ihr frisches Aroma zu bewahren. Anschließend trocknet man sie mit sanften Luftstößen, bis sie nur noch ein Sechstel ihres ursprünglichen Volumens haben. Im nächsten Schritt werden Stängel und Adern abgetrennt, die Blätter nach Größe und Farbe sortiert und schließlich getrocknet. Nur die kleinen, dunkelgrünen, perfekt gereinigten Blätter – „Tencha“ genannt – bleiben übrig. Dieses Rohmaterial wird im Funsai-Verfahren in Granitsteinmühlen zu feinstem Pulver vermahlen. Zwei Steine rotieren langsam und mahlen in einer Stunde gerade einmal 40 Gramm. Dieser aufwendige Prozess erklärt, warum Matcha eigentlich kein schnelles Massenprodukt sein sollte, sondern ein Tee für besondere Momente. Der Prozess erfordert Zeit und Präzision. Dank seiner pudrigen Textur verbindet er sich nun perfekt mit Wasser, ist dabei aber nicht löslich wie bspw. Kakaopulver.


Die Granitsteinmühlen mahlen das wertvolle Pulver langsam, so wird auch die strahlend grüne Farbe beibehalten. Fotos: © Felix Zimmer
Gesundheit aus der Teeschale
Matcha ist reich an Antioxidantien, Koffein und Aminosäuren. Er sorgt für einen sanften, langanhaltenden Energieschub und wirkt weniger nervös machend als Kaffee. Wichtig für die Zubereitung: Das Pulver sollte nicht mit kochendem Wasser übergossen werden, sondern mit maximal 70 Grad heißem Wasser. So bleiben Aroma und Inhaltsstoffe erhalten. Matcha kann übrigens auch kalt aufgegossen werden, ohne dass er seinen typischen Geschmack verliert. Manche Leute schwören außerdem auf gefiltertes Leitungswasser, für einen noch sanfteren Geschmack.
Zu den Matcha-Aficionados gehört auch Nancy Tabillion, Gründerin des Berliner Labels Health Bar. Gemeinsam mit Model und Unternehmerin Stefanie Giesinger rief sie 2019 Health Bar ins Leben, nachdem beide auf der Suche nach einer genussvollen Alternative zu Kaffee auf Matcha gestoßen waren. Auch Health Bar setzt bei ihrem Matcha auf Bio-Anbau in Familienbetrieben in der Region Uji. Das Gebiet ist bekannt für nährstoffreiche Böden, reines Wasser und ein Klima, das durch die Flüsse Uji und Kizu geprägt ist. Deren Nebel hält die Teepflanzen feucht und schützt sie vor Frostschäden. Produziert wird in einem Traditionsbetrieb, der seit Jahrzehnten Bio-Matcha herstellt. „Weil man beim Matcha das ganze Blatt konsumiert, ist er besonders nährstoffreich. Aber da man so auch etwaige Pestizide konsumiert, sollte man unbedingt auf Bio-Qualität achten“ erklärt Expertin Tabillion. Deshalb wird ihr Tee von der japanischen Organisation JONA mit dem JAS-Siegel zertifiziert und trägt zusätzlich das deutsche Bio-Siegel. Jede Charge wird auf enthaltene Nährstoffe und mögliche Verunreinigungen getestet. Neben Matcha-Pulver bietet Health Bar auch Matcha-Schokolade sowie passendes Zubehör zur Zubereitung an, zum Beispiel den Bambusbesen zum Aufschäumen, den man “Chasen” nennt.


Stefanie Giesinger und Nancy Tabillion zu Besuch in der Bio-Matcha-Produktion in Uji. Fotos: © Felix Zimmer
Der Hype im Netz
Auf TikTok sammeln Zubereitungsvideos unter dem Schlagwort „Matcha Tok“ Millionen Aufrufe. Matcha ist zum Symbol für Selfcare und gesunden Lifestyle geworden. Gleichzeitig wird er immer öfter auch als schnelle To-Go-Variante im Plastikbecher mit viel Milch(-Alternativen) und Eiswürfeln konsumiert, manchmal sogar mehrmals täglich. Der Trend treibt die Nachfrage weltweit in die Höhe. In Kyoto, einer der Hochburgen des Matcha, leeren Tourist:innen Augenzeugenberichten zufolge derzeit die Regale, noch bevor die Läden schließen. Gleichzeitig sorgen Hitzewellen für schlechte Ernten, während die Nachfrage weiter steigt. Die Folge: Lieferengpässe, steigende Preise und eine Zunahme minderwertiger Produkte. Nicht nur in Japan, auch hierzulande wird Matcha mittlerweile knapp. Dabei ist das Pulver nichts, was man in großen Mengen auf Vorrat lagern sollte. Sein Aroma verliert sich schnell. Umso bedauerlicher, dass hochwertiger Matcha oft in Rezepten „verkocht“ oder massenhaft in zuckrigen Lattes verarbeitet wird. Echte Kenner:innen plädieren daher dafür, Matcha bewusst, pur und sparsam einzusetzen, als Ritual, nicht als Massenkonsum. Immer nur eine Dose zu kaufen, diese kühl und dunkel zu lagern. Denn das gesunde Pulver ist wertvoll und hat nicht umsonst einen stolzen Preis.

Woran man gute Qualität erkennt
Die erste Matcha-Ernte findet meist Ende April bis Ende Mai statt, gefolgt von einer zweiten im Juni und einer dritten im August. Mit jeder Ernte nimmt die Qualität etwas ab. Die ersten Blätter sind am intensivsten und aromatischsten. Innerhalb einer Ernte gelten die zarten Spitzenblätter als Premiumqualität. Hochwertiger Matcha ist leuchtend grün, schmeckt mild, frisch und süßlich. Bitterkeit deutet auf minderwertige Ware oder auf zu heißes Aufbrühen hin. Auch der Preis ist ein klarer Hinweis: „Unter 10 bis 15 Euro pro 30 Gramm ist Spitzenqualität kaum möglich“ bestätigt Nancy Tabillion. Viele Produkte tragen außerdem den Hinweis „vegan“. Das sei nicht unbedingt notwendig, erklärt Tabillion: „Matcha selbst ist immer vegan, da es reines Grüntee-Pulver ist. Der Hinweis dient eher der Klarstellung, weil manche Mischprodukte Zusätze enthalten könnten. Und Verbraucher:innen deshalb teilweise unsicher sind. Wir stehen für 100% Bio-Qualität, ohne Zusätze und haben deshalb auch ‘vegan’ auf unserem Matcha stehen.“
Übrigens: „Ceremonial Grade“ bezeichnet die höchste Matcha-Qualität, die traditionell für die japanische Teezeremonie verwendet wird. Daraus lässt sich Usucha (dünner Tee) zubereiten, der leicht schaumig aufgeschlagen wird, oder Koicha (dicker Tee), bei dem deutlich mehr Pulver verwendet und der Matcha cremig angerührt wird.


Gute Qualität erkennt man unter anderem an der intensiven, hellgrünen Farbe. Fotos: © Felix Zimmer
Nachhaltigkeit und Verantwortung
Neben Geschmack und Nährstoffen spielen auch Anbaumethoden eine Rolle, wenn man hochwertigen Matcha kaufen möchte. Nachhaltige Teefarmen setzen z.B. auf Handpflückung, schonenden Umgang mit Böden und weitgehenden Verzicht auf Pestizide. Teilweise wird auch Solarenergie für den Betrieb eingesetzt. „Industrielle Methoden mit viel Dünger, Chemie oder maschineller Massenpflückung können hingegen die Biodiversität langfristig schädigen“, warnt Tabillion. Auch faire Arbeitsbedingungen und Transportwege sind entscheidend für die ökologische Bilanz. Transparenz über Anbau, Produktion und Verarbeitung ist also immer ein gutes Zeichen für einen Matcha-Anbieter. Wer Top-Qualität herstellt, kommuniziert das auch, denn Teeanbau ist in Japan auch eine Sache der Ehre.

Die traditionelle japanische Teezeremonie – Chanoyu – ist mehr als nur Teetrinken. Sie folgt einem festgelegten Ablauf, der Achtsamkeit, Respekt und Wertschätzung in den Mittelpunkt stellt. Zunächst wird das Teepulver sorgfältig abgewogen und in eine Schale gegeben. Mit heißem Wasser aufgegossen, wird der Matcha anschließend mit einem Bambusbesen, dem Chasen, zu einem feinen, schaumigen Getränk aufgeschlagen. Jeder Handgriff ist ritualisiert und wird mit höchster Aufmerksamkeit ausgeführt: vom Reinigen der Schale bis zum Servieren. Gäste nehmen den Matcha in Stille entgegen, drehen die Schale vor dem Trinken leicht in der Hand, damit etwaige Motive der Schale auf den Gastgeber zeigen, als Zeichen der Dankbarkeit. Anstatt zu sprechen, sollte man nun in sich gehen und die Aromen schweigsam genießen. Erst danach kehren die Gedanken wieder zum Alltag zurück. Die Zeremonie ist ein bewusstes Innehalten, ein Moment der Ruhe und Konzentration auf das Wesentliche. Wer das gesunde Trendgetränk konsumiert, sollte sich also stets daran erinnern, dass es aus einer Kultur stammt, in der schon ein einziger Schluck Teil einer ganzen Zeremonie ist. Die Zubereitung des wertvollen Getränks ist ein Moment der Ruhe, Achtsamkeit und Wertschätzung inmitten des Alltags.
Die Lieblingsprodukte der FOGS-Redaktion

1. „Everyday Matcha“ von Paper & Tea, gut geeignet für Matcha Latte.
2. Bio-Matcha in Ceremonial Grade von Alrighty.
3. Bio-Matcha „Gyokuro Shibushi“, erste Ernte von Yoshien.
4 Health Bar bietet Starter-Sets an, inklusive Matcha, Bowls und Bambusbesen.